Auch wenn alle (geistige) Welt 2004 den 200. Todestag Immanuel Kants begeht und sein Appell „Bediene Dich Deines Verstandes“ nötiger denn je ist, gilt es doch für Juristen, auch einen anderen Gedenktag zu begehen, das Inkrafttreten des Code civil am 21. März 1804. Das französische Zivilgesetzbuch, der Code civil oder auch kurzeitig in den Jahren 1807 bis 1811 und 1852 bis 1870 als „Code Napoleon“ bezeichnet, spielt in der Hamburgischen Geschichte keine geringe Rolle. Hamburg war im wahrsten Sinne betroffen, als die Truppen des damals noch unbezwingbar scheinende Napoleon Bonaparte am 19. November 1806 mit 6000 Mann unter „klingendem Spiel“ in die Stadt einrückten[1] und der Kaiser das nordwestliche Deutschland kurzerhand dem französischen Reich zuschlug. Hamburg wurde der Sitz einer französischen Regierungskommission, die die Neuordnung vorbereiten sollte. Nachdem der französische Kaiser die Vereinigung der Hansestädte mit dem französischen Reich zum 10. Dezember 1810 verfügt hatte, war in Hamburg die gute alte Zeit vorbei.
Für die Départments Ems-Weser-Elbe richtete Frankreich in Hamburg ein Obergericht ein, den Cour Impériale. Zum ersten Präsidenten wurde am 14. Juli 1811 Pierre François Hercule de Serre (1776-1824) ernannt[2], der es im weiteren Verlauf seiner Karriere zum französischen Justizminister brachte. In seinem neuen Wirkungsgebiet fremdelte de Serre beträchtlich. Er schrieb während der Gerichtsferien 1812, die er in Travemünde verbrachte, an seinen Freund Graf von Puymaigre, der in der französischen Steuerverwaltung Hamburgs tätig war: “Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, ich kann nicht glauben, dass ich in französischen Gewässern bade!“
Nachdem durch Dekret vom 14. Juli 1811 die wichtigsten Funktionsträger der Justiz ernannt worden waren, wurden zum 20. August alle bestehenden Institutionen aufgelöst. Alle früheren Einrichtungen und Rechtsvorschriften traten außer Kraft; französisches Recht und französische Gerichtsorganisation ersetzten sie. Neben dem Cour Impériale und neun Friedensgerichten wurde ein Tribunal erster Instanz errichtet. Sein Sitz war das Rathaus, das auch zur Lottoziehung und zum Losen der Conscribierten benutzt wurde.
Französisches Recht bedeutete die Einführung der Gewaltenteilung, eines geregelten Verfahrensganges, die Beachtung von Verteidigerrechten und verbindliche Vorgabe des Rechtsweges. Ein praxisnahes Handelsgericht wurde avisiert, um den Wirtschaftsverkehr zu fördern. Konkret wurden code civil, code de procédure civile, code d’instruction criminelle, code pénal und code de commerce geltendes Recht. Ihre Einführung bezeichnete der französische Staatsrat als „ein Eindringen des Lichts und der Zivilisation in unheilvoll verwirrte und barbarische Zustände“.[3]
Diese Bemerkung ist auch auf dem Hintergrund der eigenen französischen Rechts- und Justizentwicklung zu verstehen:
Erste Versuche zu einer Vereinheitlichung des Rechtes in Frankreich begannen im 16. Jahrhundert unter König Heinrich III., führten aber nicht zu einem Erfolg. Zu stark waren die entgegenstehenden Interessen, zu schwach die Zentralmacht.
Die französische Revolution griff die Forderung nach bürgerlicher Neuordnung des Rechts früh auf. Die Verfassung des Jahres 1791 bestimmte, dass ein „Code des lois civiles communes à tout le royaume“[4] geschaffen werden sollte. Zunächst aber erging das revolutionäre Privatrecht in Form von Einzelgesetzen. Diese hoben feudale Lasten auf, regelten das Erbrecht unter Einschränkung des Rechtes der Erstgeburt, beseitigten fideikommissarische Bindungen und brachten den Eigentümern die Jagdfreiheit. Zivilehe und Scheidungsrecht wurden für alle Bürger eingeführt und Anfänge des Urheberrechts geschaffen. Die Gerichtsorganisation wurde geordnet und die Unabhängigkeit des Richterstandes proklamiert.[5]
Am 12.8.1799 wurde eine Viererkommission eingesetzt[6]. Ihr gehörte auch der spätere Kultusministers Napoleons Jean-Etienne Portalis (1746 bis 1807) an. Ab 1803 legte die Gruppe 36 Einzelgesetze im Bereich des Zivilrechts vor. Mit Gesetz vom 21.3.1804 wurden diese als „Code civil des Français“ zusammengefaßt.
Dieser umfasst 2281 Artikel. Dem „Titre préliminaiere“ folgen drei Bücher (Personenrecht, Güter und Eigentumsabwandlungen, Eigentumserwerbsgründe). Das System des Code ist klar und durchsichtig. Es folgt dem römischen Institutionen-Grundmuster des Personen-, des weitgefaßten Sachen- und Obligationenrechts, bringt aber im ersten Buch auch das gesamte Familienrecht.
Das zweite Buch behandelt vom Sachenrecht nur die Regelung des Eigentums und der beschränkten Nutzungsrechte an fremden Sachen. In dem weit gespannten dritten Buch ist unter den verschiedenen Eigentumerwerbsarten zunächst das Erbrecht geregelt. Es folgen die verschiedenen schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte einschließlich der güterrechtlichen Verträge, weiter Regeln über die Sicherung und Durchsetzung der Rechte, wobei auch das Pfandrecht und die Hypotheken behandelt werden, und schließlich die Verjährung. Der umfangreiche dritte Teil über die Verträge im allgemeinen enthält allgemeine Regelungen für Willenserklärungen und Schuldverhältnisse.
Nicht zu Unrecht sieht man im ersten Buch den revolutionären Grundsatz der Gleichheit und Freiheit, im zweiten den des Eigentums, und im dritten den der Vertragsfreiheit verwirklicht. „Die Bestimmungen“, so schreibt Köbler, „verwirklichen antifeudalistische, egalitäre und zentralistische Grundsätze der Revolution, bewahren aber auch in gewissem Umfang fränkisches bzw. germanisches Gedankengut“[7].
Die Kodifikation des 21. März 1804 verband die Errungenschaften der Revolution, insbesondere auch das liberale Wirtschaftssystem und die Sicherung der in der revolutionären Zeit erworbenen Eigentumsrechte mit den bewährten Grundlagen der französischen Rechtswissenschaft. Aus den mittelalterlichen Elementen der französischen Coutumes und Ordonnances des Ancien Regime, wie sie sich vor allem im Familien-, Sachen- und Erbrecht zeigen, den fortbestehenden Einflüssen des römischen Rechtsdenkens (vornehmlich im Obligationenrecht) und den naturrechtlichen Traditionen (so z.B. der privatrechtlichen Garantie der Grundrechte) wurde eine neue Rechtsordnung geschaffen.
Der Code civil fußt nicht zuletzt auf dem klassischen System des Richters Robert Joseph Pothier aus Orléans (1699-1772). Sein Ziel war es, Römisches Recht und Gewohnheitsrecht in eine rationale und praktisch brauchbare Ordnung zu bringen.[8] Seine in langer Entwicklung gereiften Vorstellungen verbanden sich bei der Schaffung des Code civil mit dem praktischen Blick für die Bedürfnisse des Lebens, der den ersten Konsul Napoleon Bonaparte auszeichnete. Dessen persönliche tatkräftige Mitwirkung an der Kodifikation läßt es nicht unberechtigt erscheinen, daß das so rasch entstandene, vorzügliche Werk lange auch seinen Namen getragen hat.
Der Stil des Code civil wird als eine dem französischen Geist und französischer Sprache entsprechende leichte, elegante und einprägsame Schöpfung angesehen, die ein übriges getan habe, um dem die Gedanken der neuen Zeit widerspiegelnden Gesetzbuch eine glänzende Aufnahme zu sichern. Es war mit seinen 2281 knapp und präzise gefaßten ArtikeIn hervorragend geeignet, die Gedanken der Revolution über die ganze Welt zu tragen. Die französische Kodifikation wirkte unmittelbar oder als Vorbild für eine entsprechende nationale Gesetzgebung weit über die heutigen Grenzen Frankreichs hinaus. Maßgeblich dafür waren neben der Qualität des Werkes selbst auch politische Gründe. Frankreich hatte sich unter Napoleon außerordentlich vergrößert und seine Grenzen bis an den Rhein, in Norddeutschland bis an die Ostsee ausgedehnt. Sein Verbreitungsgebiet erfasste Belgien, Luxemburg, Holland, Teile Deutschlands, Danzig, Polen, Italien, Portugal, Spanien und Rumänien und übte Einfluß auf die Gesetzgebung Russlands, Lateinamerikas, einige der ehemals französischen Gebiete der USA und Kanadas aus. So übertraf der Code civil das Gebiet des Corpus Iuris Justinians hinsichtlich seiner geographischen Ausbreitung bei weitem. Der Code civil ist zu einem Gesetzesbuch der romanischen Völker geworden.[9]
Karin Wiedemann
[1] Burghart Schmidt, Hamburg im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons, Hamburg 1998, Teil I, Seite 330.
[2] Schmidt, aaO, Seite 612
[3] Eugène Ribes, La Cour impériale de Hambourg. Etudes sur l’organisation judiciaire…., Paris 1908, zitiert nach Schmidt, aaO, Seite 603
[4] Buch der dem gesamten Königreich gemeinsamen bürgerlichen Gesetze
[5] Wesenberg/Wesener, Neuere Deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtssprechung, 3. Aufl. 1976, Seite 146.
[6] Tronchet, Portalis, Bigot de Préameneu, Maleville
[7] Köbler, Lexikon der europäischen Privatrechtsgeschichte, 1997, Stichwort „Code civil“
[8] Stein, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, Seite 187.
[9] Wesenberg, aaO, Seite 148.