(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/03, 2) < home RiV >

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Das Weihnachtsheft liegt vor Ihnen zur entspannten Lektüre. Feierstunden wie diejenige zum Geburtstag des Hamburgischen Verfassungsgerichts sind immer schöne Anlässe, die richterliche Unabhängigkeit zu feiern. In der Praxis kann diese manchmal Manchem lästig sein, wie die einsetzende Richterschelte zeigt, wenn die Entscheidungen der Öffentlichkeit mißfallen. Dem Präsidenten des Verfassungsgerichts sei Dank für seine Bekräftigung, Maßstab der Justiz sei die geltende Rechtsordnung, und wer in der Politik meine, sie sei unvollkommen, müssen auf ihre Veränderung hinzuwirken versuchen und dafür die nötigen Mehrheiten finden – er dürfe aber von der Dritten Gewalt nicht erwarten, daß sie durch Subsumtion unter politische Programme, groß gedruckte Schlagzeilen oder die „Zeichen der Zeit“ helfe. So ist es! Lassen Sie uns dieses Bewußtsein auch im Alltag bewahren.

Kollisionen zwischen richterlichem Selbstverständnis und der Exekutive können schon groteske Formen annehmen. Im Rahmen eines Markenrechtsstreites suchte ich jüngst nach dem Begriff „Metrosex“ im Internet. Die Markeninhaberin METRO sah sich durch die Domain „metrosex.de“ in ihren Rechten verletzt. Die Gegenseite trug vor, „Metrosex“ sei ein Kultbegriff für den „Neuen Mann“ à la David Beckham (ja, so weltläufig können Markenrechtsstreitigkeiten sein). Um meine Unkenntnis über diese zeitgeistige Revolution zu beenden, suchte ich im Internet nach dem Begriff und wurde auch fündig. Als ich die Seite aufrufen wollte, um endlich zu erfahren, was es mit dem Kult auf sich hat, erschien ein Hinweis der Finanzbehörde, der PC sei nicht für außerdienstliche Betätigung gedacht, diese Seite sei gesperrt. Auf meine empörte Email, man behindere mich gerade in der Entscheidungsfindung bei einer durchaus dienstlichen und dazu noch eiligen Verrichtung, erhielt ich Tage später die Antwort, es sei technisch unmöglich, Extrawürste für Richter zu braten und vor allem dürfe man einem hochrangigen Vertreter der Finanzbehörde keine empörten Emails schicken. So sehr man Verständnis dafür haben kann, dass der Zugang zu pornografischen Darbietungen des weltweiten Netzes, um die es sich bei der angepeilten Domain nach Meinung der Finanzbehörde wohl handeln sollte (sperren sie alles, was die Silbe SEX enthält?) grundsätzlich im Dienstgebrauch versperrt werden soll, so gibt es doch auch berechtigte Gründe für Richter und Staatsanwälte, gerade hier zu recherchieren - insbesondere bei den Kollegen des Strafrechts. Es wird die Aufgabe der Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften sein, diese Notwendigkeit zu verdeutlichen und  zu befriedigenden Lösungen zu gelangen, die unsere Arbeit nicht behindern.

Ein Lichtblick ist die geplante Veranstaltungsreihe zur Verhandlungsführung, die im Heft angekündigt wird. Rhetorik und Gewandtheit bei der Diskussion im weitesten Sinne kommt in Deutschland zu kurz. In angelsächsischen Ländern haben Debattierclubs zur Übung der Argumentationsfähigkeit schon in der Schule und erst recht auf den Universitäten eine große Bedeutung. Diese wünschte man sich auch bei uns. Gepaart mit Hinweisen, wie Verhandlungen gut vorbereitet und konsequent durchgeführt werden, wird dies eine Bereicherung unseres Fortbildungsangebotes werden. Dem Vorhaben kann nur rege Beteiligung gewünscht werden.

Wir sind am Jahresende 2003 angelangt. Der Advent als Zeit der Besinnung und Vorbereitung auf das Weihnachtsfest ist uns längst abhanden gekommen, ebenso wie der Reformationstag oder Buß- und Bettag aus dem Alltag verschwunden sind. Auch in der Vorweihnachtszeit geht das Getriebe weiter, erschlagen uns die Akten. Wann also kommen wir zur Be-Sinnung? Ich wünsche Ihnen, dass Sie Zeit zur Beantwortung dieser Frage finden: Wie geben Sie privatem und beruflichem Dasein Sinn?

Dazu die besten Wünsche der Redaktion für die anstehenden Feiertage und das Neue Jahr, in dem natürlich dank allgemeiner guter Vorsätze alles besser werden wird .............

 

Ihre
Karin Wiedemann