Wassermann – ein
Urgestein der Justiz*
I.
Inzwischen ist es stiller geworden um diesen einstmals stürmenden, drängenden, unermüdlichen und keinem Streit abholden Kämpen. Wer als Justizjurist seine berufliche Sozialisation allerdings in den 60er, 70er und 80er Jahren erfahren hat, der kommt schwerlich umhin, sich Rudolf Wassermanns auf das lebhafteste zu entsinnen: in Zorn oder Begeisterung, mit Zustimmung oder im Widerspruch, als Weggefährte und Freund oder als Skeptiker und Widersacher - vielleicht ja auch in einem Wechselbad der Urteile und Gefühle. Jedenfalls ließ er niemanden einfach gleichgültig oder kalt.
Vielleicht kann man den Aufsatz „Der Richterbund – eine Oligarchie“ (DRiZ 1962,49) als sein Entree-Billett in den DRiB bezeichnen, in dem er dann jahrelang als Reformer, Anreger, Antreiber, als Schriftsteller und Debattenredner, als Ärgernis, Freund und Kritiker wirkmächtig werden sollte (vgl. – um allein aus der DRiZ einiges der ersten Jahre herauszugreifen - z.B. DRiZ 63, 294; 63, 227; 64, 240; 65, 281; 65, 400; 66, 9; 66, 151; 66, 228; 67,41; 68, 371; 69, 169; 70, 79; 70, 241).
Wassermann tritt, nach seiner Flucht aus der SBZ/DDR, wo er noch 1950 in Halle die erste juristische Staatsprüfung abgelegt hatte, 1956 in Westberlin das Richteramt an. 1959 wird er Landgerichts-, 1963 Kammergerichtsrat. 1967 – Zeit der Bonner Großen Koalition – folgt ein Ausflug des SPD-Mitglieds Wassermann in das BMJ (Horst Ehmke) – dort betraut mit Öffentlichkeitsarbeit und Reformprojekten. 1968 LGPräs in Frankfurt am Main und letztlich 1971 bis zur Pensionierung i.J. 1990 Präsident des OLG Braunschweig. In dieses dürre Gerüst wären nun natürlich seine fast unzählbaren justizpolitischen Aktivitäten einzuflechten: 1968 - 1970 „Aktionskommitee Justizreform“ (überparteilich), Ausbildungsreform (insb. Loccumer Modell der nieders. Einstufigen Juristenausbildung) - Vorsitz der ASJ (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen - von 1974 bis 1981) und noch viel mehr. Was nützt das Herzählen? Vielleicht sollte noch die Vierteljahresschrift Recht und Politik er-
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*) Besprechungsaufsatz zu Rudolf Wassermann: Politik und Justiz im demokratischen Verfassungsstaat. Aus Reden und Schriften 1989-1999 – Berlin Verlag A. Spitz, 2000, 229 Seiten
wähnt werden, weil sie – unbeschadet seines weitgespannten sonstigen literarischen Schaffens - später so etwas wie seine engere Heimat wird. Aber alles Weitere kann ebensogut nachgeschlagen werden - in Literatur, die weiter unten bezeichnet werden wird.
Weniger leicht aufzufinden sind andere Spuren und Prägungen, die für eine (jedenfalls durchweg) verlässliche Mitgift von Realismus und sachlicher Härte in Wassermanns reformerischem Elan gesorgt hatten, was dann allerdings bei vielen Weggefährten und politischen Freunden zu tiefen Irritationen geführt haben muss:
Von Erfahrungen in der SBZ/DDR war die Rede und wird unten wieder zu reden sein. Ein Weiteres steuerten in den Jahren 1968/69 die Justizkampagne des SDS und überhaupt die 68er-Aktionen bei, die Wassermann Ende April 1968 als sozusagen frischgebackener LG-Präsident in Frankfurt brühwarm aufgetischt bekam: aggressiv, justizfeindlich, anmaßend, selbstgerecht – kriminell. Ihm war sofort klar, dass diese Leute nur darauf erpicht waren, alle Reformansätze zu zerschlagen, an denen sein Herz hing: die Justiz sollte als faschistisch entlarvt, gedemütigt, lächerlich gemacht und gerade nicht verbessert oder humanisiert werden. Begriffe, die Wassermann in ganz anderer Absicht geprägt hatte, wie den des „politischen Richters“, wurden von der APO verdreht und missbraucht. Vielleicht wird man eines Tages darüber ein paar hochinteressante Erinnerungen aus Wassermanns Feder lesen können.
Aber genug der Vorrede:
Die Redaktion von Recht und Politik hatte mir unlängst die Anregung gegeben, mich an einer Besprechung von Rudolf Wassermann: Politik und Justiz im demokratischen Verfassungsstaat. Aus Reden und Schriften 1989- 1999, Berlin-Verlag A. Spitz, 2000 zu versuchen. Das habe ich getan und fand schließlich, dass auch die Leserinnen und Leser der MHR es – wieder oder auch erstmals - interessant finden könnten, anhand des Resultats von einem (wie man gern, selbst in Deckung gehend, zu sagen pflegt) nicht unumstrittenen, aber zweifellos bedeutenden und couragierten alten Justizreformer zu hören.
II.
Prekäres Gleichgewicht -
Staat, Recht und Justiz in den
Herausforderungen der Gegenwart
„Rudolf Wassermann vergleicht das Gemeinwesen mit einem Boot, das sich auf See befindet. ... hat es Schlagseite nach links, muss es auf der rechten Seite belastet werden ...“, schreiben Ernst Zivier und Jan-Hendrik Wassermann in ihrem Vorwort. Die hier getroffene Auswahl und zeitliche Begrenzung habe schon deshalb um so näher gelegen, „als Wassermann in diesen Jahren weniger wie in früheren Jahrzehnten als Stürmer und Dränger in Erscheinung getreten ist denn als Mahner, Warner und Kritiker. Wo er geirrt hat oder die Verhältnisse sich anders als vorgestellt entwickelt haben, scheut er sich heute nicht, das einzugestehen und Korrekturen anzumahnen ...“.
Die jetzt vorgelegte Sammlung umfasst über dreißig Aufsätze, Vorträge oder Abhandlungen (überwiegend aus Recht und Politik, NJW (Kommentar) und MUT), die der Berlin-Verlag Arno Spitz aus Anlass von Wassermanns 75. Geburtstags zusammengestellt und herausgegeben hat: zu den übergreifenden Themen Verfassung und Politik, Wiedervereinigung und Folgeprobleme sowie Justiz–Reform und Kritik. Wer Recht und Politik kennt, weiß natürlich, dass es sich hier um lediglich einen winzigen Teil eines weit ausgreifenden literarischen Lebenswerks handelt: man durchblättere nur die Schrifttumsverzeichnisse hier S. 203-229 (für die Jahre 1985 bis Ende 1999) und S. 1089-1116 der Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag, 1985 (für die mehr als zwanzig davor liegenden Jahre), denen noch viele spätere Kommentare, Glossen und Streitschriften seit Anno 2000 hinzuzuschlagen wären! Aber es geht hier nicht um Fülle im Sinne schierer Masse, sondern um Qualität und Lebenssumme. Friedrich Karl Fromme, der in früheren Jahren nicht mit bissigen Seitenhieben auf Wassermann gegeizt hatte, beschließt die Besprechung einiger von dessen Werken und der erwähnten Festschrift in der FAZ vom 21.01.1986 (Den eigenen Standpunkt relativieren - Bücher von und für Rudolf Wassermann) mit der scheinbar bangen Frage: „Wie viele Wassermänner erträgt unsere Justiz?“ und seiner respektvollen Antwort – sozusagen gesenkten Degens: „diesen einen jedenfalls, und diesen braucht sie!“.
Heute, nach vielen weiteren Jahren und dem Erlebnis der Epoche deutschen Zusammenwachsens (1989 – 1999), aus welcher die vorliegende Sammlung ihren Stoff schöpft, wird man Frommes Urteil nur wiederholen können, es freilich zugleich ergänzen müssen: Wir brauchen heute nicht nur einen, sondern viele so wortmächtige und unerschrockene Rufer im Streit wie den Jubilar. Wieso und warum ?
Als Antwort kann hier nur weniges – sozusagen pars pro toto und exemplarisch: als allgemeine Leseempfehlung – aus der Sammlung herausgegriffen werden:
1. Als Wassermann im Frühjahr 1989 sich Verzweiflung und Grimm darüber von der Seele schreibt, dass der politische Verzicht auf die Wiedervereinigung die Nation ins Mark treffe und die Verfassung zum Anachronismus degradiere (/13/:Verfassung auf dem Prüfstand), galt allein schon der Begriff Wiedervereinigung weithin, in fortschrittlichen Ohren zumal, als anrüchig, revanchistisch und verdächtig[1]. Bemerkenswerterweise schoss der Eifer westdeutscher Medien, dem Volke dieses Verdammungsurteil einzutrichtern und jeden Gegenredner als kalten Krieger niederzumachen, noch kräftig ins Kraut, als 1985 in Moskau mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows bereits das Ende des real existierenden Sozialismus eingeläutet worden war und die Verfallserscheinungen in der DDR keinem, der die Welt noch mit eigenen Augen wahrnehmen konnte, verborgen blieben. „Woher (also) kamen die schiefen Bilder, woher die Blickverzerrungen?“, fragt Wassermann ( / 69 /: Zensurfreiheit und Selbstzensur) und knöpft sich dafür die ZEIT vor, deren überschwänglicher DDR-Reise-Bericht („Die Bürger des anderen deutschen Staates bringen ihm (Honecker) fast so etwas wie stille Verehrung entgegen ... usw. usw.“)[2] ironischerweise nach dem Mauerfall den westdeutschen Büchermarkt überschwemmt hatte[3]. Man braucht daraus nur zu zitieren – das Kommentieren besorgt sich dann fast von selbst, und dieses Vergnügen lässt sich Wassermann dann auch nicht entgehen. Er analysiert die damalige DDR-Euphorie, andernorts die spätere DDR-Nostalgie und unterlässt es nicht, den Zusammenhang beider zu zeigen (vgl. z.B. /66/: Nichtjuristen als Verfassungsrichter (Fall Daniela Dahn); /95/: SED-Diktatur – kein Unrechtsstaat?; /98/: Grundrechte in ostdeutscher Sicht; /115/:Amnestie – eine endlose Debatte; /126/: PDS und Streitbare Demokratie ).
Hier mag, statt referierender Wiedergaben, welche ohnehin die Lektüre nicht ersetzen könnten, eine Bemerkung zur Biographie[4] nützlich sein:
Schon sein persönlicher Lebensweg war es, der Wassermann gegen jede Neigung immun machte, kommunistischen Schalmeienklängen und Parolen sein Ohr zu leihen oder den Fortschritt ausgerechnet von dort zu erwarten – er kannte die Brüder genau, nicht weniger gut als den Nazismus. Das Leben hatte ihm reichlich Gelegenheit geboten, den Marxismus-Leninismus sozusagen in flagranti - dort wo er herrschte - zu studieren. 1950 legte er das erste Staatsexamen in Halle ab – und floh dann nach Westberlin, von wo aus er die Entwicklung im Zonen/DDR-Staat mit scharfem Auge verfolgte - später mit Entsetzen über die hier aufkommende und bald herrschende DDR-Euphorie und die geflissentliche Anbiederung beim „Entspannungspartner“ jenseits der Mauer. Da blieben ihm nur Widerrede, Diskussion und Zuflucht zur schonungslosen Glosse: zum Wort. Damit allerdings kann er sich schwerlich Freunde gemacht haben; solch’ Querkopf war ein Ärgernis – für seine Partei umso mehr, als er ihr damit die Erinnerung an Illoyalität und Schäbigkeit der SPD gegenüber den verfolgten und gequälten Ost-Genossen eintränkte[5].
2. Zur Ämterpatronage:
„Den Parteieneinfluss schätzt Wassermann vielleicht etwas zu gering ein, wenn man den Durchschnitt der Karrieremacher in den skeptischen Blick nimmt“, meint Fromme in seiner Anmerkung vom Januar 1986 (FAZ vom 21.01.1986). Aber das ändert sich dann bald[6].
„Die Parteien wirken heute nicht bloß an der politischen Willensbildung mit, sie beherrschen diese und zugleich die meisten Aktionsfelder der Politik (und sind) zu Großagenturen informeller Stellenvermittlung und personalpolitischer Kontrollen geworden...“, schreibt Wassermann 1989 mit dem bedauernden Zusatz, „mir fällt diese Kritik keineswegs leicht, schließlich bin ich das engagierte Mitglied einer politischen Partei, und nichts liegt mir ferner, als parteifeindlichen Tendenzen Vorschub zu leisten /13 ff (18/19) /. Zehn Jahre später ist der Befund staatspolitisch so verheerend, dass Wassermann ihn ohne jede salvatorische Klausel nur noch geißelt. Seine Glosse „Ämterpatronage durch politische Parteien (1999)“ / 77 ff/ wird zur scharfen Abrechnung mit allen, auch den damals frisch zur Macht gelangten Regierungsparteien:
„... Seither (scil. 1987) hat sich die Tendenz zur Parteipolitisierung noch verstärkt. Vor allem betrifft sie nicht mehr nur die oberen Ränge, sondern durchdringt die gesamte Apparatur auf allen Ebenen und Stufen. Galt früher das Diktum, man könne es ohne Patronage bis zum Ministerialrat bringen, so ist heute schon das Amt des Regierungsdirektors ohne Patronage kaum noch erreichbar. Wie ein Krebsgeschwür breitet sich die Ämterpatronage im Körper des Staates aus /77/ Man kann davon sprechen, dass Ämterpatronage der den politischen Parteien immanenten Dynamik entspricht, also gleichsam für sie natürlich ist. Wer Macht hat, will mehr Macht – das ist sozusagen ein soziales Gesetz“ – welches der Autor alsdann am Beispiel der GRÜNEN vorführt /78/ ... „Besonders übel ist es, dass die parteipolitische Ämterpatronage mehr und mehr auch die „normalen“ Beförderungsämter durchdringt. Derjenige, der nicht das richtige Parteibuch besitzt, kann vom Zugang zu öffentlichen Ämtern praktisch ausgeschlossen sein. Was das für den einzelnen Beamten, der zurückgesetzt wird, bedeutet, können Berufspolitiker nur schwer nachvollziehen. Wer mit Angehörigen des öffentlichen Dienstes spricht, merkt jedoch alsbald, wie schnell sich daraus Berufs- , Staats- und Parteiverdrossenheit entwickeln und wie stark diese jetzt schon geworden sind. Es ist für tüchtige Männer und Frauen ein Schock, wenn sie merken, dass sie in dem erwählten Beruf nicht vorankommen können, wenn sie sich nicht in einer Partei engagieren ....“/79/.
3. Die Justiz - blind auf dem rechten Auge ! –
Kann man gegen diesen nahezu unstreitigen Befund etwas vortragen, wenn man der Abstempelung als Rechtsaußen nicht geradezu ins Messer laufen will? Wassermann hatte in seiner umfangreichen Publizistik immer wieder die Tatsachen über das Versagen auch der Justiz zusammengetragen und sie kommentiert: das Versagen während der Weimarer Republik, zur Nazizeit und nach dem Kriege bei der Aufarbeitung schließlich auch der eigenen Vergangenheit. Gerade deshalb musste es ihn ergrimmen, wenn auch seine Analysen teils leichtfertig, teils vorsätzlich missbraucht wurden, um ein inzwischen längst substanzloses, nur noch zur Diffamierung taugliches Totschlag-Wort mit literarischem Prestige zu hinterfüttern. „Selten ist der Gebrauch eines Stereotyps so an der Wirklichkeit vorbeigegangen wie in diesen Fällen“, bemerkt Wassermann zur modischen Kritik an der als geflissentlich milde unterstellten Bestrafung rechtsradikaler Gewalttäter durch heutige Gerichte, „liberale Richter wenden liberales Recht an: das und nichts anderes ist der Sachverhalt. Die Vorwürfe fallen auf die zurück, die sie erhoben haben“ (/176 ff: Ist die Justiz auf dem rechten Auge blind ?(1994)/182/)[7].
4. Dass Wassermann von der Kreation eines „Kinderwahlrechts“ nichts hält (/57/: Kinderwahlrecht – ein Irrweg ? (1999) ), wird angesichts seines Verfassungsverständnisses niemanden verwundern. Und doch verdient das Thema alle Aufmerksamkeit, weil es in einem für Staat und Gesellschaft vitalen Zusammenhang steht:
Konrad Löw[8], der es selbst letztlich empfiehlt, bezeichnet Wassermann als den wohl namhaftesten Opponenten und findet bei ihm eine Befürchtung ausgesprochen, die wohl weit verbreitet sei, aber selten unverblümt offengelegt werde: „Politisch am einflussreichsten“ zitiert er „wären dann ... Eltern mit vielen Kindern, vermutlich also Einwanderer, was eine Brücke zu Bestrebungen schlagen würde, die auf die Etablierung und Festigung eines multikulturellen gesellschaftlichen Systems zielen“. In der Tat bezeichnet Wassermann Wahlrechtsfragen als Machtfragen / 57/, hält die entsprechenden Rechtserweiterungen („Mehr Wahlberechtigte durch Einbürgerung“ /57) für durchaus untaugliche Mittel zur (angeblich dadurch bewirkbaren und angestrebten) Integration, aber für starke Hebel der Machterweiterung und kommt dann hinsichtlich des Kinderwahlrechts zum oben mit offensichtlichem Befremden zitierten Fazit /59/. Ist es aber wirklich unerhört und empörend oder nicht vielmehr nur inkorrekt und deshalb unüblich[9], klar zu reden und Fragen deutlich zu stellen: Das Staatsvolk – was ist es heute, was will es morgen sein und wozu übermorgen werden? Kein Volk auf Erden sonst verfällt auf die Idee, diese Fragen zu unterdrücken. Nur wir tun so, als seien sie ungehörig. Wassermann stört dieses stille Einverständnis – verdienstvollerweise!
Damit sind, wie bemerkt, nur einige der zahlreichen Themen skizziert, an denen Wassermann wieder seine Feder gewetzt hat. Ob man – um noch einmal das Vorwort zu bemühen - nun auf die Begriffe links und rechts zurückgreifen will oder nicht: die Diagnose, dass unser Boot im Wasser schief liegt, wird von ihm viel zu gut begründet und kenntnisreich illustriert, als dass sie sich leichterhand als Schwarzmalerei abtun ließe. Ein Wassermann allein als Mahner und Antreiber ist deshalb viel zu wenig. Für den einen aber muss man umso mehr hoffen und wünschen, dass ihm Kraft und Macht des Wortes noch lange zu Gebote stehen.
[1] Im Jahre 1982 maßt sich eine SINUS-Studie (rororo aktuell Nr. 4929, 1982) an, unter Rekurs auf eine sog. Faschismus-Skala die Verneinung des Satzes: „man sollte sich endlich damit abfinden, dass es zwei deutsche Staaten gibt“ als Element eines rechtsextremen Weltbildes zu denunzieren. Angesichts des für die Autoren erschütternden Befundes, dass mehr Leute den Satz für völlig falsch denn für völlig richtig gehalten hatten (25:19, vgl. aaO. S. 80), konnte die Studie - die sich auch sonst durch methodische Fragwürdigkeiten auszeichnet: so wird jede Abwertung der DDR (z.B. durch ein Feiern des 17. Juni) über den gleichen Leisten geschlagen - nur zu erschütternden Resultaten kommen: „13% aller Wähler in der BRD verfügen über ein abgeschlossenes rechtsextremes Weltbild!“ (vgl. aaO. S. 8, 78). So ridikül sich solche Deduktionen aus heutiger Sicht auch ausnehmen: Die Sinus-Leute lagen damals ganz im Trend des Zeitgeistes und inmitten des intellektuellen Mainstreams - und trieben ihn zugleich kräftig voran: „Was die Sinus-Untersuchung an Material bietet, liefert der politischen Bildung für Jahre Stoff. Es kann von jedem Lehrer, jedem Studienleiter unmittelbar verwandt werden, ohne dass gründliche psychologische, tiefenpsychologische, soziologische oder sozialhistorische Kenntnisse erforderlich wären ... Die Sinus-Untersuchung liefert zur Selbstaufklärung unserer politischen Kultur einen wichtigen Beitrag ... und sollte anderen Studien Vorbild sein ...“, so die Empfehlung Martin Greiffenhagens (aaO. S. 13).
[2] Reise ins andere Deutschland, Reinbek 1986 S. 38; diese Reise vom Frühjahr 1986 war die Reprise einer Tour von 1964: Reise in ein fernes Land, Hamburg 1964.
[3] Viele Medienfunktionäre und Journalisten, die in der Bundesrepublik zu maßgeblichem Einfluss gelangt waren, wurden, ohne es zu merken, vom MfS manipuliert und zu DDR- Propagandisten aufgebaut; andere – nicht wenige! - haben das Spiel wissentlich mitgemacht. Vgl. dazu im Einzelnen (in Auswertung von Gauck-Material) Hubertus Knabe: Der diskrete Charme der DDR – Stasi und Westmedien, Berlin 2001, der auch über die ZEIT-Reisen 1964/1986 und die Rolle des Chefredakteurs Sommer Bemerkenswertes zu berichten weiß (aaO. S. 47 –53 ).
[4] Der Vorbemerkung in RuP 4/99 S. 193 zufolge wird man demnächst – hoffentlich! – alles viel genauer und im dramatischen Detail in Wassermanns eigenen Erinnerungen beschrieben finden.
[5] Über den Umgang der auf Entspannung eingeschworenen SPD mit solchen Genossen, die von der KPD/SED kujoniert und vertrieben worden waren, gibt es inzwischen beklemmende Berichte; vgl. z.B. Konrad Löw (Hrsg.) Verratene Treue – Die SPD und die Opfer des Kommunismus, Köln 1994. In diesem Sinne war Wassermann zwar selbst kein Opfer; indessen hatten seine persönlichen Studien und Erfahrungen ihn besonders befähigt, die Perspektive der Opfer zu begreifen, zu durchdringen und ihnen seine Stimme zu leihen. So vor dem „Bautzen-Forum“(vgl. S. 108: DDR-Richter vor Gericht): “...Es war bitter, dass in den Jahrzehnten vor der Wiedervereinigung des Schicksals der verfolgten Sozialdemokraten immer weniger gedacht und der von ihnen geleistete Widerstand so gut wie totgeschwiegen wurde, weil er nicht in die politische Landschaft der „Sicherheitspartnerschaft“ und des Verständnisses für das SED-Regime passte ...“ .
[6] Auf diese Verschärfung in Wassermanns Beurteilung hat der Rezensent in der Glosse Konkurrentenklagen – „Bestenauslese“ (NJW 2001, 3167) an Hand der Alternativ-Kommentierungen zu Art. 95 GG hingewiesen.
[7] Zur Bestätigung dieser These:
Eine kriminologisch-empirische Täteruntersuchung (Frank Neubacher: Fremdenfeindliche Brandanschläge, Godesberg 1998), die auch den o.e. Vorwurf (aaO. S. 60 ff : „Die Justiz ist auf dem rechten Auge blind“-eine Sichtung notorischer Vorwürfe) unter die Lupe nimmt, kommt zu dem Ergebnis, dass – soweit dort die Datenbasis reicht – Richter, die sich selbst als „eher rechts“ einstufen, zu härteren Strafen gegen Rechtsextremisten gelangen als die „eher linken“ Richter (aaO. S. 321-323, 332-334 ) – was in der Tat mit moderner Richtersozialisation unschwer erklärt, mit dem fraglichen Stereotyp aber schlechterdings nicht unter einen Hut zu bringen ist.
[8] Kinder und Wahlrecht, ZRP 2002, 448 (450) ).
[9] Die FAZ vom 09.05.2003 (S. 33: Kinderstimmen ) allerdings greift das Thema ganz im Sinne Wassermanns auf: „ ...Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann sind alle bisher bekannt gewordenen Anhänger des Vorschlags zugleich Freunde eines großzügigen Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsrechts. 3,5 Sprösslinge hat eine aus der Türkei eingewanderte Familie hierzulande im Durchschnitt. Käme es zu jener Änderung des Grundgesetzes, dürfte sich die Gründung einer Partei, die diese fünfeinhalb Stimmen abholt, wirklich lohnen.“