Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Sieht man sich um in „unserer“ Hamburger Justiz, sucht man vergeblich Nachrichten, die Aufbruch signalisieren, die Motivation verbreiten. Es gibt Krisensitzungen zur endlosen Diskussion der immer gleichen Hindernisse, es gibt Gesprächszirkel, in denen mit viel Aufwand und Herzblut über Gestaltung nachgedacht wird – Konsequenzen werden kaum erlebbar.
Bewegung ist wahrnehmbar vor allem in immer neuen Gesetzesänderungen, deren teilweise Unsinnigkeit nur von Ministerialen erdacht worden sein kann, die von der gerichtlichen Praxis Lichtjahre entfernt sind.
Änderungen des Zivilprozessrechts, die uns als Vereinfachung und/oder Beschleunigung verkauft werden und die Arbeit erschweren, tragen nicht zur Freude bei. Wenn die sofortige Beschwerde eine Abhilfe zulässt, bedeutet dies in der Praxis einen zweiten begründeten Beschluß, der auf den zwischenzeitlich von beiden Parteien vorgetragenen, in Schriftsätzen erheblichen Umfangs befindlichen weiteren Sachvortrag eingeht. Die sogenannte Stärkung der ersten Instanz – als wenn sie dieser angesichts der geringen Berufungsquote bedurft hätte – hat uns eine Flut von Papier beschert, die die Anwälte in Angst vor Präklusion über die erste Instanz schütten.
Eine besondere Art von Waldzerstörung erleben die Wettbewerbskammern in Form der Schutzschriften, die - per Fax vorab und dann per Post – an alle in Betracht kommenden Gerichte gesandt werden, wobei die dazugehörige einstweilige Verfügung ja nur an eines dieser Gerichte gelangt. Wirksam gegensteuern könnte man mit einer Gerichtsgebühr, die ich schon mehrfach in Stellungnahmen zu Gesetzesänderungen vorgeschlagen habe. Sie wäre angemessen, muß doch die Geschäftsstelle allein meiner Kammer im Jahr etwa 500 Akten hierfür anlegen.
Soweit das Alltagsgenörgel über „unsere“ Justiz. MHR widmet sich natürlich weitergespannten Fragen, wie Sie unserem umfangreichen Heft entnehmen können. Wolfgang Hirth hat einmal mehr die freudige Last der Redaktion auf sich genommen.
Ein rechtspolitisches Lehrstück finden Sie in dem Artikel des Segmentsleiters der Freiwilligen Gerichtsbarkeit des Amtsgerichts Hamburg zu den politischen Bestrebungen, das Handelsregister zu „privatisieren“, sprich: es der Handelskammer zu überlassen, die dies offenbar zur Mehrung ihres Prestiges wünscht.
In unserer Tradition des offenen Wortes zum Zeitgeschehen finden Sie auch diesmal Beiträge zur sogenannten „Folterdiskussion“, wobei die Mahnung des Kollegen Florentin Krauß’, sich über dem spontanen Entsetzen, das das Wort auslöst, die Frage zu stellen, wie man Eltern eines durch Schweigen des gefassten Täters zu Tode gekommenen entführten Kindes entgegentreten will, wenn nicht alle Mittel, den Aufenthaltsort zu erfahren, ausgeschöpft wurden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Antwort mag dann immer noch lauten, das letzte Mittel dürfe nicht angewandt oder angedroht werden – die Frage muß aber gestellt und beantwortet werden.
Die Laudatio Günter Bertrams für den streitbaren Demokraten Rudolf Wassermann birgt viele Leseanregungen. Wassermanns private Seite habe ich als eine höchst liebenswürdige erlebt. Wir traten vor rund 10 Jahren in einen Briefwechsel über Gerichtsgebäude – er hatte meine Abhandlung darüber erbeten, weil er an einem Buch über „Deutsche Gerichtsgebäude – Von der Dorflinde über den Justizpalast zum Haus des Rechts“ arbeitete, das er mit nach Erscheinen schickte. Schon im Untertitel wird deutlich, welche Feinheit seine Sprache leistet – auch unsere Hamburger Justizgebäude sind „Justizpaläste“, in denen wir versuchen, „Häuser des Rechts“ zu schaffen. In diesem Bemühen wünsche ich Ihnen eine angenehme Lektüre und einige unbeschwerte Sommerwochen. Ich werde an der Eider nachsehen, wie es den fünf jungen Waldohreulen geht ……..
Ihre
Karin Wiedemann