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Abrupter Bruch mit Tradition

Leserbrief an Hamburger Abendblatt und WELT (unveröffentlicht)


Dienstag, 5 November 2002, 16 Uhr 15: Präsidiumssitzung des Amtsgerichts Hamburg. Der Präsident erhält die Nachricht, daß ein bekannter Hamburger Journalist ihn sprechen möchte, weil der Justizsenator die Dezentralisierung des Bezirksjugendgerichts bekannt gegeben habe. Der Präsident, auch Präsident der Stadtteilgerichte, scheint überrascht. Er war davon offenbar bisher nicht informiert.

Im Hamburg Journal führt der Senator abends zur Begründung aus, der Jugendrichter, der im Stadtteil richte, der die Sozialarbeiter und die Sozialen Dienst kenne, habe eine viel breitere Entscheidungsbasis, um die richtige erzieherische Maßnahme festzusetzen. Er sei den sozialen Brennpunkten im Stadtteil näher. Ich bin verblüfft. Kann es wirklich angehen, daß der Justizsenator seine Pläne nicht mit dem Amtsgerichtspräsidenten besprochen hat und daß er (deswegen?) die Struktur des Bezirksjugendgerichts  womöglich gar nicht kennt?

Das Bezirksjugendgericht ist regional organisiert. Jeder Kollege ist für bestimmte Hamburger Stadtteile zuständig. Er arbeitet mit immer denselben Mitarbeitern der Jugendämter zusammen und ist über die Probleme und Strukturen seines Bezirks bestens informiert. Ich frage mich, ob das Vorhaben wohl mit der Staatsanwaltschaft erörtert worden ist. Hat man an die Schwierigkeiten gedacht, die eine Dezentralisierung im Ermittlungsrichterbereich nach sich ziehen wird? Auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden fallen eilige Anträge auf Erlaß von Haftbefehlen, Wohnungsdurchsuchung, Telefonüberwachung usw. an, die nur nach Aktenkenntnis beschieden werden können. Wird die Staatsanwaltschaft eine Fahrbereitschaft einrichten, die auf Abruf Akten zu den Stadtteilgerichten transportiert, wenn es darum geht, noch am gleichen Tag eine Entscheidung des Ermittlungsrichters zu erreichen ?

Mit dem Justizhaushalt, so der Senator ausdrücklich, sei das Konzept vereinbar. Sicher hat man ja auch bedacht, daß die angeschlossenen Gerichte zusätzliche Zu- und Vorführzellen erhalten und Polizei- und Vollzugsbedienstete zusätzliche Wege zurücklegen müssen. So kann ich doch eigentlich froh sein, daß der Stadtsäckel offenbar doch nicht so leer ist, wie gemeinhin beklagt wird. Was verschlägt es da schon, daß der Amtsgerichtspräsident zuerst durch die Medien erfährt, welche Organisationsaufgaben auf ihn zukommen? Wer huldigt nicht der 4. Gewalt?

 

Dr. Ulrike Weintraud (Jugendrichterin)