Seitenwege
zum
„Die
Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden“ (§ 176
GVG: Sitzungspolizei); zeitlich davor
und außerhalb des Saales gilt das Hausrecht
des Präsidenten. Während der Verhandlung selbst sind die elektronischen Medien
von Gesetzes wegen ausgeschlossen (§
169 S. 2 GVG). So der schlichte, jedem Praktiker geläufige Rahmen des Gesetzes
– von praktischem Gewicht zumal für die Hauptverhandlung
des Strafgerichts.
Ehe
am 16. April 2002 vor dem 5. Strafsenat des OLG Frankfurt der Prozess gegen fünf
mutmaßliche El-Kaida-Terroristen
begann, hatte der Senatsvorsitzende verfügt,
wie er seine Sitzungspolizei ausüben werde und den Medien bis zu 90 Minuten
vor Sitzungsbeginn ihren Betrieb im Saal gestattet; dann sei er zu beenden, weil
später Persönlichkeitsrechte und besondere Sicherheitsgründe entgegenstünden.
Das ZDF protestierte unter Berufung auf das „ äußerst hohe
Informationsinteresse der Öffentlichkeit “ beim Vorsitzenden, verlangte,
jeweils bis zum Beginn einer Sitzung fünf
Minuten lang im Verhandlungssaal filmen zu dürfen - und drohte mit dem BVerfG.
Nach Anhörung aller Prozessbeteiligten, die dem Antrag einhellig widersprachen,
blieb der Vorsitzende bei der getroffenen Verfügung.
1.
Im 15. April spielt der erste Akt des
folgenden Stücks:
Das
ZDF beantragt beim BVerfG, die unliebsame Verfügung durch eine einstweilige
Anordnung zu kassieren und den Vorsitzenden anzuweisen, an jedem Verhandlungstag
je fünf Minuten vor deren Beginn das Filmen im Saal – jedenfalls einem sog. FS-Pool
- bei Anwesenheit der fünf Angeklagten und ihrer zehn Verteidiger zu gestatten.
Der Vorsitzende schickt ebenfalls sein FAX nach Karlsruhe, bleibt bei seiner
Entscheidung und erinnert dabei auch an besondere Sicherheitsgründe1.
Am
gleichen Tage noch erläßt die erste Kammer des Ersten Senats des BVerfG
(Richter: Steiner, Hohmann-Dennhardt,
Hoff-mann-Riem) ihren Beschluß, entspricht im wesentlichen dem Antrag des
ZDF und fügt hinzu:
„Die
Gesichter abgebildeter Personen sind vor der Veröffentlichung und der
Weitergabe der Aufnahmen an andere Fernsehveranstalter durch ein technisches
Verfahren so zu anonymisieren, dass nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich
bleibt “
Begründet
wird die Stattgabe lediglich mit der
Wendung :
„Erginge
die beantragte EAO nicht, so könnte eine Fernsehbildberichterstattung über das
Strafverfahren, das eine erhebliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit
gefunden hat, nicht in einer dem Informationsinteresse gerecht werdenden Weise
stattfinden.“2
Zur
einschränkenden Klausel heißt es:
„Unter
Hinweis auf die Besonderheiten dieses gegen mutmaßliche El-Kaida-Terroristen
gerichteten Strafverfahrens hat der Vorsitzende seine Verfügung u.a. auf
Risiken für Leib oder Leben der Angeklagten und gegebenenfalls weitere am
Verfahren beteiligter Personen gestützt. Werden die Gesichter abgebildeter
Personen vor der Weitergabe und Veröffentlichung der Bilder im Fernsehen
anonymisiert, ist ausgeschlossen, dass ein solches Risiko von der
Fernsehberichterstattung ausgeht ... “.
2.
zweiter Akt:
Der
erste Verhandlungstag am 16. April beginnt mit Stunden Verspätung und wird –
aus der Sicht der elektronischen Medien – zum Desaster: Die mit
unterschiedlichen Mitteln und Methoden herbeigeführten Selbst - Anonymisierung
Beteiligter und Unbeteiligter hat zur Folge, dass die Kameras nur Flackern,
Flimmern, Verkästelungen und Mummenschanz, aber weder Gesichter noch Personen
oder Szenen, also nichts für ihr abendliches Publikum Unterhaltsames einfangen
können. Was tun ? Das ZDF wird erneut beim Berichterstatter vorstellig. Der
ruft seine Kammer wieder zusammen.
3.
Am 17. April 2002 beschließt die Kammer - dritter
Akt ! - , den Tenor ihrer jüngst erlassenen Entscheidung
in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen:
dahin, dass dem letzten Satz des ersten Absatzes (s. oben: Die Gesichter pp.) der Halbsatz angehängt wird: „ ..., es
sei denn, die betroffenen Personen sind mit der Veröffentlichung ihres
Bildnisses einverstanden“.3
Man
reibt sich die Augen – mehrfach ! - :
Wie
sollte diese Klausel dem Chaos des
ersten Tages abhelfen ? Einverstanden,
gefilmt zu werden, waren doch offensichtlich all’ die gerade
nicht gewesen, die den Mummenschanz veranstaltet hatten - mithin so gut wie
alle nicht ! Im übrigen steht dem Praktiker
sogleich ein überfüllter, von Wachtmeistern mühsame im Zaum gehaltener
Saal vor Augen: wie sollten dort
die Medientechniker - selbst bei bestem Willen ! - Einverstandene und
Widersprechende auseinanderhalten, um die einen
freiweg zu filmen, die anderen aber zu
verfremden ? Schließlich kann Einverständnis hier schon aus Rechtsgründen
kein Allheilmittel sein: Der Einverstandene wird zwar sein Recht des § 22
KunstUrhG. verlieren; hier aber waren auch
und vorrangig Sicherheitsgründe für
die Vorsitzendenverfügung bestimmend gewesen; gerade ihnen hatte die verfassungsrechtlich verfügte Anonymisierung
Rechnung tragen sollen. Insoweit bleibt Einwilligung belanglos, denn die Justiz
muss ganz in eigener Verantwortung dafür
sorgen, dass ihre Gerichtsverhandlungen, soweit irgend möglich, nicht Gefahren
für Leib oder Leben Beteiligter oder des Publikums heraufbeschwören4.
Rätsel über Rätsel !
4.
Nun aber folgt am gleichen Tage der vierte
Akt, der jedenfalls einiges Licht ins Dunkel zu bringen verspricht.
Der
Berichterstatter schreibt nach Frankfurt:
„Die
1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat ihren Beschluss vom 15. April 2002
zwecks Klarstellung ergänzt. Sie finden die Ergänzung in der Anlage. Die
Kammer geht davon aus, dass die Einwilligung – wie auch sonst in der
Rechtsordnung – ausdrücklich oder konkludent gegeben werden kann. Dies gilt
auch für die Zuschauer. Ist ihnen bekannt, dass Fernsehaufnahmen durchgeführt
werden und bleiben sie im Raum, obwohl sie die Möglichkeit hätten, ihn zu
verlassen, dann liegt darin eine konkludente Einwilligung nicht nur in die
Aufnahme der Bilder, sondern auch in deren Veröffentlichung.
Mit
freundlichen Grüßen
W. Hoffmann-Riem, Richter des BVerfG“.
Dem
ZDF wird also versichert, es brauche sich den Kopf doch nicht (wie oben von mir
in Erwägung gezogen) zu zerbrechen und dürfe jedenfalls das Publikum unbesorgt filmen. Denn wer unter den
obwaltenden Umständen nicht beizeiten den Saal verlassen habe, dessen Einverständnis
sei konkludent erteilt. Die Ausnahme (es
sei denn) des nachgeschobenen Berichtigungsbeschlusses wird mithin zur
praktisch unausweichlichen Regel gemacht und die Anonymisierungsklausel des
Ursprungsbeschlusses im Ergebnis gestrichen.
Man
muss das Ohr spitzen und die Brille putzen, denn hier werden Neuigkeiten auf den
juristischen Markt lanciert: - still und leise, nicht durch Senatsentscheidung,
noch nicht einmal durch einen förmlichen Kammerbeschluss, sondern in einem
schlichten (üblicherweise nirgends zitierten5) Anschreiben.
a.
Das Verhältnis der Saal – zur
Medienöffentlichkeit wird gegenüber dem geltenden Recht umgedreht und auf
den Kopf gestellt:
Wer
und was Öffentlichkeit ist, steht
schlicht und klar in § 169 GVG: Wer im Saale sitzt, ist die Öffentlichkeit – was die schreibenden Journalisten und
zeichnenden Künstler einschließt, ohne dass es dafür erst des Umkehrschlusses aus § 169 S. 2 GVG bedürfte. Die Medienöffentlichkeit
wird vom Gesetz ausdrücklich und mit triftigen Gründen6 im
Wortsinne aus dem Saal (scil.: für die eigentliche
Verhandlung – die uneigentliche, gelegentlich
auf Medienwunsch zelebrierte, ist Theater) verwiesen und darf nur an ihrem Rande
(wie in den beiden ersten Akten des vorliegenden Stückes noch vorausgesetzt)
ihre Wurzeln schlagen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung des §
169 GVG dem Einwand der Mediendiskriminierung gegenüber noch kürzlich für
verfassungsmäßig erklärt, allerdings im Widerspruch zu drei abweichende
Stimmen, auch der des Richters
Hoffmann-Riem7.
Dem
„ergänzten“ BVerfG-Beschluss vom 15. / 17. April zufolge gerät nun die
(gesetzlich allein anerkannte) Saalöffentlichkeit unter die Knute der (vom
Gesetz an den Rand verwiesenen) Medienöffentlichkeit und wird ihr duldungs- und
gehorsamspflichtig, wie leicht zu zeigen ist:
Die
Saalöffentlichkeit muss längst hergestellt sein, ehe das Gericht - ernstlich,
nicht nur zu theatralischen
Zwecken ! - eintritt. Wer aber seinen Platz im Publikum geräumt hatte, weil fünf
Minuten vor dem feierlichen Beginn die Medien erschienen waren und ihre
Apparaturen in Anschlag gebracht hatten, er aber kein Komparse werden wollte,
der kann nicht darauf zählen, im Saale erneut Platz zu finden, jedenfalls nicht
vor der Pause. Also befinden die Medien darüber, wer im konkreten Falle zum
entscheidenden Zeitpunkt als Saalöffentlichkeit
(noch) vorhanden ist – nichts anderes als die diametrale Umkehrung
gesetzlicher Wertung und rechtlicher Ordnung !
b.
Die Kammer8 wandelt auf ungewöhnlichen Pfaden zu ihrem Ziel:
Über
ihre etwas abenteuerliche Zurechnung angeblich konkludenter Willenserklärungen sozusagen ins Publikum hinein
lässt sich ernstlich nicht
diskutieren – zumal nicht angesichts des Anlasses, der bei diesem Einfall Pate
gestanden hat. Der Respekt für das hohe Gericht nötigt zum Verzicht auf
weitere zivilrechtliche Kommentierungen .
c.
Über den prozessualen Teil möchte
man zunächst mit dem gleichen Takt hinweggehen. Kann man doch mit § 319 ZPO
bekanntlich ungerügt so allerhand anstellen. Aber dass ein wesentlicher Teil
eines Tenors (hier:
Anonymisierungsgebot) durch schlichte Tenorberichtigung –
§ 319 ZPO in entsprechender Anwendung
! - praktisch aufgehoben und das Regelungsgefüge des GVG außer Kraft
gesetzt werden könne: das ist dann doch zuviel der Originalität, ohne Präjudiz9
und Rechtfertigung.
5.
Wie viele Akte folgen noch – und was wird darin aufgeführt werden ?
Das
El-Kaida-Verfahren trudelt zur Zeit dahin; die elektronischen Medien
interessieren sich nicht mehr für dessen Alltag – bis Plädoyers und Urteil
sie wieder aufwecken ... Hier und jetzt dreht es sich aber nicht mehr um den
Frankfurter Prozess, sondern den Karlsruher
Kurs in Sachen Medienöffentlichkeit, den die elektronischen Medien - unter
Mithilfe einiger Bundesverfassungsrichter des zuständigen Ersten Senats - zu ihrem
Nutzen weiter und immer weiter ändern wollen. Über die Sache selbst mag
man streiten, wobei ich kein Hehl daraus mache, dass mich die Argumente des
Minderheitsvotums (NJW 2001, 1637) und auch frühere Auslassungen seiner
Protagonisten wenig beeindrucken, weil sie das öffentliche
Unterhaltungsinteresse, an dessen Bedienung die Medien begreiflicherweise
ein immenses wirtschaftliches
Interesse haben, leichterhand und fast beflissen in sein Gegenteil: zum öffentlichen
Informationsinteresse umetikettieren.
Hier
ist kein Platz zu weiterem Raisonnement. Wir sollten aber mit Argusaugen darauf
sehen, wie der Streit fortgeführt
wird und mit welchen Methoden. Um
was von Fall zu Fall gekämpft wird, mag jeweils unterschiedlich heißen: Sitzungspolizei
(§ 176 GVG), demnächst vielleicht auch einmal „ Hausrecht“ oder – und vor allem! -: Verhandlungsöffentlichkeit (§ 169 GVG). Substanziell aber sind
alles nur verschiedene Seiten derselben
Medaille Immer geht es um weiteres Ausgreifen oder um Begrenzung der Medienmacht Die Minderheitsposition im
Senat im ersten Durchgang wird durch eine (leichter beschaffbare) Kammer -
Mehrheit im zweiten wieder wettgemacht: ausgesprochen faszinierend! Die Nonchalance,
mit der notfalls Rechtsregeln ignoriert oder von hoher Hand gegen ihren Sinn
ausgelegt werden, lassen Energie und Entschlossenheit jedenfalls ahnen, die den Fortschritt
zur alles - auch die Justiz – ergreifenden Infotainment
-Gesellschaft antreiben....
Wem
an einer Rechtspflege liegt, die ihren Namen verdient, hat – wie die Dinge
jetzt liegen und demnächst laufen könnten – triftige Gründe, die Augen
offen und sein Pulver trocken zu halten !
Anmerkungen:
1) die
Richterräte von AG und LG Frankfurt hatten diese Gründe für so gewichtig
gehalten, daß sie beim BGH darum nachgesucht hatten, den Prozess an ein
anderes OLG – vorzugsweise Stuttgart (Stammheim !) - zu übertragen,
vgl. dazu BGH vom 04.04.2002 in NJW 2002,1589
2) Im
Beschluss vom 11.11.1992, mit dem der Senat Neuland betrat, indem er dem
Vorsitzenden des Berliner Honecker-Verfahrens in seine Sitzungspolizei
hineinregierte (NJW 1992, 3288 und 1995, 184), hatte er zur
Rechtfertigung des Eingriffs immerhin noch „die politische und historische
Dimension, die diejenige anderer Strafprozesse, selbst wenn sie Aufsehen
erregende Taten betreffen, weit überragt“ angeführt. In einem
Wirtschaftverfahren reichte der 1. Kammer für ihren FS-freundlichen Beschluss
schon die erhebliche öffentliche
Aufmerksamkeit auch in den Medien (B. vom 21. 7. 2000: NJW 2000, 2890), so
dass die Beschränkung nunmehr auf einen hingeworfenen Halbsatz kaum noch überraschen
kann, zumal die Berichterstattung damals in der gleichen Hand lag wie jetzt.
3) Die
Mitteilung in NJW 2002, 2021 lässt nicht erkennen, dass der BVerfG-Beschluss
vom 25.4. tatsächlich ein Kompott ist.
4) hoheitlich
- wenn man das Wort nicht scheut. Jedenfalls ist die Justiz einstweilen noch
kein Servicebetrieb, darauf beschränkt, sich im Kräfteparallelogramm von
Kundenwünschen und – beschwerden durch die Märkte treiben zu lassen.
5) freilich
hängen im vorliegenden Falle alle
einschlägigen Papiere in Frankfurt vor dem Saal !
6)
die lang und breit erörtert worden sind und weiter diskutiert werden, vgl. nur
Wolf NJW 1994, 681, ders. ZRP 1994, 681, ders. JR 1997, 441; Hoffmann ZRP 1994,
399; Huff NJW 1996, 571, ders. NJW 2001, 1622; Ernst Benda NJW 1999, 1524
usw. usw.; hier ist kein Platz, das auszuspinnen.
7) Urteil
des 1. Senats vom 24.o1.2001 in NJW 2001, 1633 (Hauptentscheidung im sog. Politbüro-
und Kruzifix-Verfahren), das (frei nach
Isensee) § 169 GVG noch einmal „ mit einem blauen Auge“ hat
„davonkommen lassen“. Zum abweichenden Votum vgl. NJW 2001, 1637
8) Man
wird den Brief des BE sicherlich der
Kammer insgesamt zurechnen und als Teil
des Beschlusses vom 17.o4. zu nehmen haben, denn erst zufolge seiner
Interpretationsanweisung wächst dem zunächst sinnlosen Ergänzungsbeschluss
vom 17.o4. sein halbwegs schlüssiger Inhalt zu.
9) Nicht
das gleiche, obwohl keineswegs der Kritik entzogen, sind nachgeschobene
Entscheidungskorrekturen durch spätere verfassungsgerichtliche Erklärungen;
vgl. dazu Flume in NJW 1995, 2904: Das
Kruzifixurteil und seine Berichtigung
Günter
Bertram