(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/02, 13 ) < home RiV >

Seitenwege zum Infotainment?

 

„Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden“ (§ 176 GVG: Sitzungspolizei); zeitlich davor und außerhalb des Saales gilt das Hausrecht des Präsidenten. Während der Verhandlung selbst sind die elektronischen Medien von Gesetzes wegen ausgeschlossen (§ 169 S. 2 GVG). So der schlichte, jedem Praktiker geläufige Rahmen des Gesetzes – von praktischem Gewicht zumal für die Hauptverhandlung des Strafgerichts.

 

Ehe am 16. April 2002 vor dem 5. Strafsenat des OLG Frankfurt der Prozess gegen fünf mutmaßliche El-Kaida-Terroristen begann, hatte der Senatsvorsitzende verfügt, wie er seine Sitzungspolizei ausüben werde und den Medien bis zu 90 Minuten vor Sitzungsbeginn ihren Betrieb im Saal gestattet; dann sei er zu beenden, weil später Persönlichkeitsrechte und besondere Sicherheitsgründe entgegenstünden. Das ZDF protestierte unter Berufung auf das „ äußerst hohe Informationsinteresse der Öffentlichkeit “ beim Vorsitzenden, verlangte, jeweils bis zum Beginn einer Sitzung fünf Minuten lang im Verhandlungssaal filmen zu dürfen - und drohte mit dem BVerfG. Nach Anhörung aller Prozessbeteiligten, die dem Antrag einhellig widersprachen, blieb der Vorsitzende bei der getroffenen Verfügung.

 

1. Im 15. April spielt der erste Akt des folgenden Stücks:

 

Das ZDF beantragt beim BVerfG, die unliebsame Verfügung durch eine einstweilige Anordnung zu kassieren und den Vorsitzenden anzuweisen, an jedem Verhandlungstag je fünf Minuten vor deren Beginn das Filmen im Saal – jedenfalls einem sog. FS-Pool - bei Anwesenheit der fünf Angeklagten und ihrer zehn Verteidiger zu gestatten. Der Vorsitzende schickt ebenfalls sein FAX nach Karlsruhe, bleibt bei seiner Entscheidung und erinnert dabei auch an besondere Sicherheitsgründe1.

 

Am gleichen Tage noch erläßt die erste Kammer des Ersten Senats des BVerfG (Richter: Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoff-mann-Riem) ihren Beschluß, entspricht im wesentlichen dem Antrag des ZDF und fügt hinzu:

 

„Die Gesichter abgebildeter Personen sind vor der Veröffentlichung und der Weitergabe der Aufnahmen an andere Fernsehveranstalter durch ein technisches Verfahren so zu anonymisieren, dass nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich bleibt “

Begründet wird die Stattgabe lediglich mit der Wendung :

„Erginge die beantragte EAO nicht, so könnte eine Fernsehbildberichterstattung über das Strafverfahren, das eine erhebliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden hat, nicht in einer dem Informationsinteresse gerecht werdenden Weise stattfinden.“2

Zur einschränkenden Klausel heißt es:

„Unter Hinweis auf die Besonderheiten dieses gegen mutmaßliche El-Kaida-Terroristen gerichteten Strafverfahrens hat der Vorsitzende seine Verfügung u.a. auf Risiken für Leib oder Leben der Angeklagten und gegebenenfalls weitere am Verfahren beteiligter Personen gestützt. Werden die Gesichter abgebildeter Personen vor der Weitergabe und Veröffentlichung der Bilder im Fernsehen anonymisiert, ist ausgeschlossen, dass ein solches Risiko von der Fernsehberichterstattung ausgeht ... “.

 

2.  zweiter Akt:

Der erste Verhandlungstag am 16. April beginnt mit Stunden Verspätung und wird – aus der Sicht der elektronischen Medien – zum Desaster: Die mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden herbeigeführten Selbst - Anonymisierung Beteiligter und Unbeteiligter hat zur Folge, dass die Kameras nur Flackern, Flimmern, Verkästelungen und Mummenschanz, aber weder Gesichter noch Personen oder Szenen, also nichts für ihr abendliches Publikum Unterhaltsames einfangen können. Was tun ? Das ZDF wird erneut beim Berichterstatter vorstellig. Der ruft seine Kammer wieder zusammen.

 

3. Am 17. April 2002 beschließt die Kammer - dritter Akt ! - , den Tenor ihrer jüngst erlassenen Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen: dahin, dass dem letzten Satz des ersten Absatzes (s. oben: Die Gesichter pp.) der Halbsatz angehängt wird: „ ..., es sei denn, die betroffenen Personen sind mit der Veröffentlichung ihres Bildnisses einverstanden“.3

Man reibt sich die Augen – mehrfach ! - :

Wie sollte diese Klausel dem Chaos des ersten Tages abhelfen ? Einverstanden, gefilmt zu werden, waren doch offensichtlich all’ die gerade nicht gewesen, die den Mummenschanz veranstaltet hatten - mithin so gut wie alle nicht ! Im übrigen steht dem Praktiker sogleich ein überfüllter, von Wachtmeistern mühsame im Zaum gehaltener Saal vor Augen: wie sollten dort die Medientechniker - selbst bei bestem Willen ! - Einverstandene und Widersprechende auseinanderhalten, um die einen freiweg zu filmen, die anderen aber zu verfremden ? Schließlich kann Einverständnis hier schon aus Rechtsgründen kein Allheilmittel sein: Der Einverstandene wird zwar sein Recht des § 22 KunstUrhG. verlieren; hier aber waren auch und vorrangig Sicherheitsgründe für die Vorsitzendenverfügung bestimmend gewesen; gerade ihnen hatte die verfassungsrechtlich verfügte Anonymisierung Rechnung tragen sollen. Insoweit bleibt Einwilligung belanglos, denn die Justiz muss ganz in eigener Verantwortung dafür sorgen, dass ihre Gerichtsverhandlungen, soweit irgend möglich, nicht Gefahren für Leib oder Leben Beteiligter oder des Publikums heraufbeschwören4. Rätsel über Rätsel !

 

 4. Nun aber folgt am gleichen Tage der vierte Akt, der jedenfalls einiges Licht ins Dunkel zu bringen verspricht.

 

Der Berichterstatter schreibt nach Frankfurt:

 „Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat ihren Beschluss vom 15. April 2002 zwecks Klarstellung ergänzt. Sie finden die Ergänzung in der Anlage. Die Kammer geht davon aus, dass die Einwilligung – wie auch sonst in der Rechtsordnung – ausdrücklich oder konkludent gegeben werden kann. Dies gilt auch für die Zuschauer. Ist ihnen bekannt, dass Fernsehaufnahmen durchgeführt werden und bleiben sie im Raum, obwohl sie die Möglichkeit hätten, ihn zu verlassen, dann liegt darin eine konkludente Einwilligung nicht nur in die Aufnahme der Bilder, sondern auch in deren Veröffentlichung.

 

Mit freundlichen Grüßen

W. Hoffmann-Riem, Richter des BVerfG“.

 

Dem ZDF wird also versichert, es brauche sich den Kopf doch nicht (wie oben von mir in Erwägung gezogen) zu zerbrechen und dürfe jedenfalls das Publikum unbesorgt filmen. Denn wer unter den obwaltenden Umständen nicht beizeiten den Saal verlassen habe, dessen Einverständnis sei konkludent erteilt. Die Ausnahme (es sei denn) des nachgeschobenen Berichtigungsbeschlusses wird mithin zur praktisch unausweichlichen Regel gemacht und die Anonymisierungsklausel des Ursprungsbeschlusses im Ergebnis gestrichen.

 

Man muss das Ohr spitzen und die Brille putzen, denn hier werden Neuigkeiten auf den juristischen Markt lanciert: - still und leise, nicht durch Senatsentscheidung, noch nicht einmal durch einen förmlichen Kammerbeschluss, sondern in einem schlichten (üblicherweise nirgends zitierten5) Anschreiben.

 

a. Das Verhältnis der Saal – zur Medienöffentlichkeit wird gegenüber dem geltenden Recht umgedreht und auf den Kopf gestellt:

Wer und was Öffentlichkeit ist, steht schlicht und klar in § 169 GVG: Wer im Saale sitzt, ist die Öffentlichkeit – was die schreibenden Journalisten und zeichnenden Künstler einschließt, ohne dass es dafür erst des Umkehrschlusses aus § 169 S. 2 GVG bedürfte. Die Medienöffentlichkeit wird vom Gesetz ausdrücklich und mit triftigen Gründen6 im Wortsinne aus dem Saal (scil.: für die eigentliche Verhandlung – die uneigentliche, gelegentlich auf Medienwunsch zelebrierte, ist Theater) verwiesen und darf nur an ihrem Rande (wie in den beiden ersten Akten des vorliegenden Stückes noch vorausgesetzt) ihre Wurzeln schlagen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung des § 169 GVG dem Einwand der Mediendiskriminierung gegenüber noch kürzlich für verfassungsmäßig erklärt, allerdings im Widerspruch zu drei abweichende Stimmen, auch der des Richters Hoffmann-Riem7.

Dem „ergänzten“ BVerfG-Beschluss vom 15. / 17. April zufolge gerät nun die (gesetzlich allein anerkannte) Saalöffentlichkeit unter die Knute der (vom Gesetz an den Rand verwiesenen) Medienöffentlichkeit und wird ihr duldungs- und gehorsamspflichtig, wie leicht zu zeigen ist:

 

Die Saalöffentlichkeit muss längst hergestellt sein, ehe das Gericht - ernstlich, nicht nur zu theatralischen Zwecken ! - eintritt. Wer aber seinen Platz im Publikum geräumt hatte, weil fünf Minuten vor dem feierlichen Beginn die Medien erschienen waren und ihre Apparaturen in Anschlag gebracht hatten, er aber kein Komparse werden wollte, der kann nicht darauf zählen, im Saale erneut Platz zu finden, jedenfalls nicht vor der Pause. Also befinden die Medien darüber, wer im konkreten Falle zum entscheidenden Zeitpunkt als Saalöffentlichkeit (noch) vorhanden ist – nichts anderes als die diametrale Umkehrung gesetzlicher Wertung und rechtlicher Ordnung !

 

b. Die Kammer8 wandelt auf ungewöhnlichen Pfaden zu ihrem Ziel:

 

Über ihre etwas abenteuerliche Zurechnung angeblich konkludenter Willenserklärungen sozusagen ins Publikum hinein lässt sich ernstlich nicht diskutieren – zumal nicht angesichts des Anlasses, der bei diesem Einfall Pate gestanden hat. Der Respekt für das hohe Gericht nötigt zum Verzicht auf weitere zivilrechtliche Kommentierungen .

 

c. Über den prozessualen Teil möchte man zunächst mit dem gleichen Takt hinweggehen. Kann man doch mit § 319 ZPO bekanntlich ungerügt so allerhand anstellen. Aber dass ein wesentlicher Teil eines Tenors (hier: Anonymisierungsgebot) durch schlichte Tenorberichtigung § 319 ZPO in entsprechender Anwendung ! - praktisch aufgehoben und das Regelungsgefüge des GVG außer Kraft gesetzt werden könne: das ist dann doch zuviel der Originalität, ohne Präjudiz9 und Rechtfertigung.

 

5. Wie viele Akte folgen noch – und was wird darin aufgeführt werden ?

Das El-Kaida-Verfahren trudelt zur Zeit dahin; die elektronischen Medien interessieren sich nicht mehr für dessen Alltag – bis Plädoyers und Urteil sie wieder aufwecken ... Hier und jetzt dreht es sich aber nicht mehr um den Frankfurter Prozess, sondern den Karlsruher Kurs in Sachen Medienöffentlichkeit, den die elektronischen Medien - unter Mithilfe einiger Bundesverfassungsrichter des zuständigen Ersten Senats - zu ihrem Nutzen weiter und immer weiter ändern wollen. Über die Sache selbst mag man streiten, wobei ich kein Hehl daraus mache, dass mich die Argumente des Minderheitsvotums (NJW 2001, 1637) und auch frühere Auslassungen seiner Protagonisten wenig beeindrucken, weil sie das öffentliche Unterhaltungsinteresse, an dessen Bedienung die Medien begreiflicherweise ein immenses wirtschaftliches Interesse haben, leichterhand und fast beflissen in sein Gegenteil: zum öffentlichen Informationsinteresse umetikettieren.

Hier ist kein Platz zu weiterem Raisonnement. Wir sollten aber mit Argusaugen darauf sehen, wie der Streit fortgeführt wird und mit welchen Methoden. Um was von Fall zu Fall gekämpft wird, mag jeweils unterschiedlich heißen: Sitzungspolizei (§ 176 GVG), demnächst vielleicht auch einmal „ Hausrecht“ oder – und vor allem! -: Verhandlungsöffentlichkeit (§ 169 GVG). Substanziell aber sind alles nur verschiedene Seiten derselben Medaille Immer geht es um weiteres Ausgreifen oder um Begrenzung der Medienmacht Die Minderheitsposition im Senat im ersten Durchgang wird durch eine (leichter beschaffbare) Kammer - Mehrheit im zweiten wieder wettgemacht: ausgesprochen faszinierend! Die Nonchalance, mit der notfalls Rechtsregeln ignoriert oder von hoher Hand gegen ihren Sinn ausgelegt werden, lassen Energie und Entschlossenheit jedenfalls ahnen, die den Fortschritt zur alles - auch die Justiz – ergreifenden Infotainment -Gesellschaft antreiben....

Wem an einer Rechtspflege liegt, die ihren Namen verdient, hat – wie die Dinge jetzt liegen und demnächst laufen könnten – triftige Gründe, die Augen offen und sein Pulver trocken zu halten !

 

Anmerkungen:

 

1) die Richterräte von AG und LG Frankfurt hatten diese Gründe für so gewichtig gehalten, daß sie beim BGH darum nachgesucht hatten, den Prozess an ein   anderes OLG – vorzugsweise Stuttgart (Stammheim !) - zu übertragen, vgl. dazu BGH vom 04.04.2002 in NJW 2002,1589

 

2) Im Beschluss vom 11.11.1992, mit dem der Senat Neuland betrat, indem er dem Vorsitzenden des Berliner Honecker-Verfahrens in seine Sitzungspolizei   hineinregierte (NJW 1992, 3288 und 1995, 184), hatte er zur Rechtfertigung des Eingriffs immerhin noch „die politische und historische Dimension, die diejenige anderer Strafprozesse, selbst wenn sie Aufsehen erregende Taten betreffen, weit überragt“ angeführt. In einem Wirtschaftverfahren reichte der 1. Kammer für ihren FS-freundlichen Beschluss schon die erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit auch in den Medien (B. vom 21. 7. 2000: NJW 2000, 2890), so dass die Beschränkung nunmehr auf einen hingeworfenen Halbsatz kaum noch überraschen kann, zumal die Berichterstattung damals in der gleichen Hand lag wie jetzt.

 

3) Die Mitteilung in NJW 2002, 2021 lässt nicht erkennen, dass der BVerfG-Beschluss vom 25.4. tatsächlich ein Kompott ist.

 

4) hoheitlich - wenn man das Wort nicht scheut. Jedenfalls ist die Justiz einstweilen noch kein Servicebetrieb, darauf beschränkt, sich im Kräfteparallelogramm  von Kundenwünschen und – beschwerden durch die Märkte treiben zu lassen.

 

5) freilich hängen im vorliegenden Falle alle einschlägigen Papiere in Frankfurt vor dem Saal !

 

6) die lang und breit erörtert worden sind und weiter diskutiert werden, vgl. nur Wolf NJW 1994, 681, ders. ZRP 1994, 681, ders. JR 1997, 441; Hoffmann ZRP 1994,  399; Huff NJW 1996, 571, ders. NJW 2001, 1622; Ernst Benda NJW 1999, 1524 usw. usw.; hier ist kein Platz, das auszuspinnen.

 

7) Urteil des 1. Senats vom 24.o1.2001 in NJW 2001, 1633 (Hauptentscheidung im sog. Politbüro- und Kruzifix-Verfahren), das (frei nach Isensee) § 169 GVG noch einmal „ mit einem blauen Auge“ hat „davonkommen lassen“. Zum abweichenden Votum vgl. NJW 2001, 1637

 

8) Man wird den Brief des BE sicherlich der Kammer insgesamt zurechnen und als Teil des Beschlusses vom 17.o4. zu nehmen haben, denn erst zufolge seiner Interpretationsanweisung wächst dem zunächst sinnlosen Ergänzungsbeschluss vom 17.o4. sein halbwegs schlüssiger Inhalt zu.

 

9) Nicht das gleiche, obwohl keineswegs der Kritik entzogen, sind nachgeschobene Entscheidungskorrekturen durch spätere verfassungsgerichtliche Erklärungen; vgl. dazu Flume in NJW 1995, 2904: Das Kruzifixurteil und seine Berichtigung

 

Günter Bertram