(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/02, 25) < home RiV >

„Irving vs. Lipstadt“
Eva Menasse
in der Grundbuchhalle

Am 25. Januar 1985 eröffnete Rolf Hochhuth unsere Reihe „ Kultur und Justiz “ im überfüllten Plenarsaal des Ziviljustizgebäudes[1] geradezu mit einer Huldigung an die (west)deutsche Rechtspflege. „Autoren vor Gericht“: dergleichen Schändlichkeiten gäbe es hier - Gott sei Dank - nicht, sonst auf Erden allerdings leider massenhaft: Allgemeinkundig im Ostblock, im Griff stalinistischer Brutalität (Havel, Havemann usw.); leider aber auch im freien Westen. Und nun bricht er eine feurige Lanze für den (1938 geborenen) englischen Schriftsteller David Irving, der in England Opfer einer „Hexenjagd“ geworden sei und den man dort vor Gericht gezerrt habe, weil er zunächst durch sein Buch über die Vernichtung Dresdens[2] und dann wegen weiterer unliebsam-kritischer Publikationen „die Wut Whitehalls“ (der britischen Staatsmacht also) entfacht habe[3].

Am Montag, 29. April 2002 ging es in der Grundbuchhalle wieder um David Irving. Diesmal las Eva Menasse[4]  aus ihrem Buch „Der Holocaust vor Gericht – Der Prozeß um David Irving[5].

Der Fall: Doborah Lipstadt, geb. 1947 in Manhattan, deren Eltern in den 20er Jahren aus Hamburg dort eingewandert waren, war durch den 6-Tage-Krieg, den sie 1967 in Israel erlebt hatte, zur Beschäftigung mit dem Holocaust gelangt und hatte sich ihm - später wieder in den USA – gänzlich gewidmet, als Professorin u.a. für Holocaust-Studien, hatte Holocaust-Lehrgänge u.a. veranstaltet und eine große Streitschrift wider seine Leugner verfasst[6] : „das ganze Buch ein flammender moralischer Appell, den Rechtsradikalen keine Handbreit öffentlichen Raum zu überlassen. ...“[7] Als besonders gefährlichen Holocaust-Leugner hatte sie darin David Irving angeprangert, der kein seriöser Historiker, sondern ein Lügner und Geschichtsfälscher sei. Das wollte der nicht auf sich sitzen lassen, zog vor Gericht und verlangte von Doborah Lipstadt Schadenersatz. Die Sache wurde ab Januar 2000 im Londoner High Court, vor dem Richter Charles Gray 32 Tage lang verhandelt. Eva Menasse hat den Prozess von Anfang bis Ende im Saal verfolgt[8]; ihr Buch berichtet darüber.

Was – in aller Welt - war aus David Irving, den Hochhuth 15 Jahre zuvor hier bei uns so leidenschaftlich gegen britische Hexenjagd in Schutz nehmen wollte, inzwischen geworden ? Einiges über seinen Lebensweg lässt sich bei Eva Menasse nachlesen:

1960 kam der junge Engländer nach Deutschland, wurde Stahl-Hilfsarbeiter bei Thyssen und lernte so die Welt der hiesigen einfachen Leute kennen[9]; sein sorgfältig recherchiertes Buch über den Untergang Dresdens, das er schon  wenige Jahre später publizierte, verschaffte ihm Feinde, aber zugleich internationale wissenschaftliche Anerkennung[10]. Rechtsradikal, antisemitisch oder dgl. ist es keineswegs. Irving beschreibt – und geißelt - zwar Grauen, Tod und Verwüstung zufolge alliierten Bombenterrors, versäumt aber nicht schon im Vorwort hinzuzufügen: „... Aber bei allem Mitleid mit den deutschen Zivilisten vom Februar des Jahres 1945 möge man gleichzeitig daran denken, dass die deutsche Regierung im Zweiten Weltkrieg wenig Mitgefühl für die Leiden der Zivilisten neutraler und alliierter Länder zeigte“[11]. Allerdings  verschafft das Buch seinem Autor auch die Aufmerksamkeit und das Vertrauen alter Nazis, von deren Seite ihm Quellen, Dokumente und interessante Informationen zugespielt werden, an die sonst so leicht keiner herankommt. 1977 gelingt ihm mit Hitler’s War eine weitere Publikation, die in der Fachwelt Beachtung findet[12], aber zugleich Widerspruch herausfordert, weil Irving den – zutreffend hervorgehobenen – Umstand, dass bislang kein schriftlicher Befehl Hitlers  zur Judenvernichtung aufgefunden worden sei, zu der absurden These ummünzt, der Holocaust sei hinter Hitlers Rücken von Goebbels und Himmler angezettelt worden. Damit ist die abschüssige Bahn betreten, die den Autor über die Entschuldigung Hitlers hinaus schließlich dahin führt zu bestreiten, dass es  einen systematischen Judenmord, Vergasungs- und Vernichtungsaktionen überhaupt gegeben habe.

1985, als Hochhuth sich hier für ihn einsetzt, ist es noch nicht ganz so weit[13]. Immerhin galt er in Deutschland schon Jahre zuvor mehr oder weniger als Unperson: Als im Januar 1979 der  4-teilige amerikanische Streifen Holocaust im deutschen Fernsehen gezeigt wird, hält es die Redaktion für angebracht, der Sendung eine Diskussionsrunde anzuhängen. Aus unerfindlichen Gründen lädt der verantwortliche Redakteur Klaus Bresser zu ihr auch David Irving ein. Indessen kommt dieser gar nicht erst zu Wort, sondern wird alsbald – von Stephan Heym u.a. - auch vom Gastgeber Bresser selbst - als Pseudohistoriker, NS-Verharmloser, faschistoider Zeitgenosse udgl. als Schmuddelkind in die Ecke gestellt und weggebissen. Auch solche Erlebnisse mögen  schließlich dazu beigetragen haben, dass ein ursprünglich jedenfalls partiell durchaus respektierter Historiker zu einem der rabiatesten Holocaust-Leugner wurde, der seine Quellen und Dokumente verbissen und verbiestert zu den abstrusesten Beweisketten zusammenzufügen suchte: ein trauriger Fall[14] ! Über ihn also berichtet Eva Menasse: charakterisiert die Kontrahenten – Deborah Lipstadt (die Beklagte) und David Irving (den Kläger) -, schildert die Prozessführung beider Seiten, zeigt den Richter, die Sachverständigen (der Parteien) und schließt den Kreis mit dem – für Irving vernichtenden - Urteil[15]. Dies alles lässt sich nicht referieren: man lese es !

Dann ein paar nachdenkliche Schlussbemerkungen[16]; davon nur dies:

Irving hat sich sein Scheitern selbst zuzuschreiben; nicht ihm war der Prozess gemacht worden (wie es in Deutschland nach § 130 III StGB geschehen wäre, hätte er die ihm verbotene Einreise riskiert und hier geredet), sondern er selbst war das Risiko eingegangen, seiner Kon-trahentin gerichtlich den Mund verbieten zu lassen. Der Prozessfall in diesem engen Sinne verdient also ein letztlich nur beschränktes Interesse. Indessen steht er ideell in einem größeren Zusammenhang, der beiden Parteien, die je auf ihre Art und zu ihrem Zweck als Missionare ausgezogen waren, durchaus bewusst und erwünscht war: Der Holocaust als historisches Ereignis, für das es auf Daten, Orte, Zahlen, Dokumente, Beweismittel  udgl. ankommt, ist das eine; insoweit gilt das Verdikt, dass Irving gegen wissenschaftliche Pflichten gröblich verstoßen hat und sich deshalb schelten lassen muß. Der Holocaust als Symbol, als singuläre Menschheitskatastrophe, als quasi religiöser Gegen-stand von Hingabe, Versenkung und Gebet, als Mythos oder wie immer sich Auffassungen und Haltungen beschreiben lassen, die reale Geschichte zugleich in einen unanfechtbaren überwirklichen Raum versetzen, ist das andere. Eva Menasse bezieht sich hier[17] auf die Untersuchungen des Chicagoer Professors Peter Novick[18], der – als jüdischer Wissenschaftler! – eine solche Überhöhung insbesondere für die USA akribisch nachweist, allerdings zugleich ihren Nutzen, Sinn und ihre Berechtigung mit beachtlichen Erwägungen in Zweifel zieht (im Übrigen den missionarischen Eifer Deborah Lipstadts ausgesprochen kritisch kommentiert[19]. Diese übergreifenden Thesen, Positionen und Bekenntnisse standen in London zwar nicht unmittelbar zur Verhandlung, waren als hintergründige Antriebkräfte aber höchst wirksam. Insoweit können und werden Irving und Frau Lipstadt bis an ihr Lebensende weiterstreiten[20], denn - wie der Observer am 16. April 2000 nüchtern bemerkte: „ein englisches Gericht ist für das Recht (scil. hier: das Privatrecht!) da, nicht für die Geschichte“.

 Das deutsche Recht – das Strafrecht ! – hingegen unternimmt es, die geschichtliche Wahrheit gegen Fälscher strafrechtlich zu schützen und überschreitet damit die Grenzen jedenfalls des klassischen Rechtsgüterschutzes. Wie tief dies englischer Liberalität widerspricht, zeigt Eva Menasses Bericht sozusagen Blatt für Blatt. Die Autorin meint aber – wie es scheint: mit einem traurigen Seufzer – einstweilen („vielleicht nicht für immer“) müssten noch die historischen Lasten und Pflichten dem Gesetzgeber die Feder führen[21]. Darüber ließe sich freilich streiten; aber das wäre dann nicht mehr das Thema ihres Buches !

Günter Bertram


[1]  vergl. MHR Heft 1/1985, Seite 3 f.

[2]  2) The Destruction of Dresden, London 1963 = Der Untergang Dresdens, München 1964

[3]  S. 10 ff. des 30 Seiten umfassenden Redemauskripts

[4]  geb. 1970, Kulturkorrespondentin der FAZ

[5]  Siedler-Verlag 2001, zur lebhaften Korrespondenz Hochhuth/Irving das. S. 132 f.

[6]  Denying the Holocaust – The Growing Assault on Truth and Memory, New York, 1994

[7]  Menasse (Fn. 4( S. 48.

[8]  Der Kollege Dr. L. Weyhe (ZK 24) hat vor der Lesung am 29.4. über die prozessualen und sachlich-rechtlichen Probleme des Falles, zugleich rechtsvergleichend, eine instruktive Einführung gegeben. Deren Manuskript ist viel zu umfassend, um sich hier auch nur skizzieren zu lassen. Er stellt es Interessenten aber gern zur Verfügung – eine Lektüre, die als Ergänzung des Menasse-Berichts interessant und nützlich sein dürfte.

[9]  Menasse aaO, Seite 21, 146 f.

[10]  vergl. Menasse aaO S. 25-28, 147

[11]  vergl. Anm. 2, dort S. 10

[12]  eindrucksvolle Zusammenstellung anerkennender Würdigung  anglo-amerikanischer Historiker bei Menasse aaO. S. 25 ff; auch 13 f, 112 f; dazu auch:

“Kaum einer erinnert sich noch daran, dass Irvings Bücher bis Mitte der 80er Jahre von Verlagen wie Rowohlt, Ullstein und Knaus verlegt und seine Artikel in Zeitschriften wie der Kölner Neuen Illustrierten, Quick, Stern und Spiegel abgedruckt worden waren“ (Menasse aaO. S. 12); sie ruft auch ins Gedächtnis, dass der spätere Kulturstaatssekretär Michael Naumann  noch im Jahre 1985 sich für den Rowohlt -Verlag lebhaft darum bemüht hat, Irvings Churchill-Biographie veröffentlichen zu dürfen (aaO. S. 132 f)

[13]  die letzte Radikalisierung Irvings dürfte durch seine Hinwendung zu Fred Leuchter und dessen unsäglichem „ Report“ im Jahre 1988 eingetreten sein, wie Menasse aaO. S. 29–35 (vgl. auch S. 168) schreibt. Zu Irving vgl. BerfG v. 13.4.94 in NJW 94, 1779; zu Leuchter BGH v. 15.3.94 in NJW 94, 1421: zur Strafbarkeit der sog. Auschwitzlüge; auch Bertram: Anm. zum Urteil des LG Mannheim vom 22.6.94 in NJW 94, 2397

 

[14]  Eva Menasse weigert sich zu Recht, es bei der simplen Erklärung „schlicht rabiater Antisemitismus!“ bewenden zu lassen, vielmehr sei die Sache „viel komplexer“, vgl. aaO. S. 146 f. Das hat die Kritik ihr wiederum als unangebrachtes psychologisches Verständnis für Irving angekreidet, vgl. die Rezension von Marianne Jonzeck (siehe Internet!)

[15]  Menasse aaO S. 155-161

[16]  Triumpf und Irrtum (aaO S. 163 ff.)

[17]  Menasse aaO S. 170 ff.

[18]  Peter Nowick, Nach dem Holocaust– Der Umgang mit dem Massenmord, DVA 2001

[19]  Nowick aaO S. 406 Fn. 107, 365 f. 429 Fn. 20 und 23 zu Deborah Lipstadts missionarischem Impuls vergl. Menasse aaO S. 50.52 und passim

[20]  vergl.Menasse S, 178

[21]  vergl. aaO S. 172, 178