(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/02, 5) < home RiV >

 Käthe Manasse

„Juden und Deutsche“
 – eine Verbindung,die trennt

Vorbemerkung:

Die Hamburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit feiert im Herbst diesen Jahres ihr 50-jähriges Bestehen und wird dazu eine Jubiläumsschrift herausgeben, in der u.a. auch verdienter und markanter Persönlichkeiten gedacht werden soll, die sich über Jahrzehnte um dieses ebenso nötige wie zuweilen dornige Werk bemüht haben. Eine von ihnen ist Käthe Manasse, den Älteren von uns noch als Kollegin und Landgerichtsdirektorin vertraut oder jedenfalls bekannt. Der Beitrag, den ich verfasst habe, wiederholt zwar einiges, das schon in den MHR 3/1994 („Käthe Manasse - in memoriam !“) zu lesen war; indessen ist der Akzent jetzt doch ein anderer und mithin, zum guten Teil jedenfalls, auch der Inhalt. Die – auf Anhieb gewiss befremdliche! – Überschrift deutet das wohl schon an. Aber genug der Vorrede; hier der Jubiläumsbeitrag:

„Zwei Juden – drei Meinungen !“: dies war viel mehr als nur ein Bonmot, es war fast schon ein Bekenntnis, mit dem meine alte Direktorin uns - ihren christlichen oder agnostischen, meist jüngeren Kollegen am Gericht – begreiflich machen wollte, dass es den jüdischen Standpunkt kaum jemals gäbe, wie dies unbelehrbare Anti- und gutmeinende Philo-Semiten fälschlich glaubten. Aber solch’ übel- oder wohlgesinnte Zeitgenossen hätten eben keine Vorstellung von jüdischer Intellektualität und Geistigkeit, derzufolge bei Juden alles hin– und hergewendet und vernünftig diskutiert und begründet werden müsse.

Damit ist schon der Ton angeschlagen, der auf ihrem von unendlicher Tragik überschatteten Lebensweg nie verstummt und der auch noch in ihrem verdienstvollen Wirken in der Hamburgischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit stets hörbar geblieben ist.

Aber zunächst zur Biographie:

Käthe Loewy wurde am 7. Februar 1905 als jüngstes Kind einer bürgerlichen jüdischen  Familie, die aus Schlesien in die Reichsmetropole gezogen war, in Berlin geboren. Zu Hause regierte der  preußische Geist selbstverständlicher Pflichterfüllung und Vaterlandsliebe. Ihre drei Brüder zogen als Soldaten in den ersten Weltkrieg, einer wurde schwer verwundet. Als den Versailler Friedensbestimmungen zufolge in Schlesien die Abstimmung zwischen Deutschland und Polen anstand, eilte der Vater dorthin, um für das Reich zu optieren. Käthe wuchs als waschechtes Berliner Kind heran: „wäre sie getauft worden, dann mit Spreewasser“, so unlängst ihr Ehemann, der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Fritz Manasse zu mir. Aber das Spreewasser blieb ungenutzt; Käthe war und blieb Jüdin - aus religiöser Überzeugung und voll Liebe zu ihrer Tradition; aber sie ließ sich zugleich ohne Scheu oder Berührungsangst ein auf ihre liberale, christliche, sozialistische, weithin natürlich rein agnostische Berliner Umwelt. Die Eltern verschafften ihr eine erstklassige Ausbildung – an einem Berliner Mädchengymnasium, wo u.a. ein Assistent Max Plancks – der spätere Professor Lamla (Göttingen) – ihr Lehrer und Mentor wurde. Nach dem Abitur im April 1924 widmete sie sich in Berlin zunächst der Nationalökonomie, sattelte aber – beeindruckt von einem beiläufig gehörten rechtswissenschaftlichen Kolleg – auf Juristerei um und studierte dann weiter in Bonn und Freiburg. Ihr erstes Examen legte sie 1928 ab, promovierte zwischendurch in Bonn bei Prof. Fritz Schulz  summa cum laude über „Die Vermutung“ (das opus wurde als Bonner Universitätsschrift gedruckt) und legte 1932 vor dem Berliner Kammergericht ihr Assessorenexamen  ab. Kurze Zeit nur konnte sie dann - entsprechend Wunsch und Neigung - am Amtsgericht Berlin-Schöneberg als Richterin (Gerichtsassessorin) wirken. Dann brach die Naziherrschaft über Deutschland herein, und sie musste den Staatsdienst quittieren. Ihre Anwaltszulassung vom März 1933 wurde nach einem viertel Jahr zurückgenommen, „da Jüdin“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie tief es sie getroffen haben muss: eine tüchtige, energische, von gesundem Ehrgeiz und Leistungswillen beseelte junge Frau (das hier reproduzierte Passbild dürfte sie 1932 zu ihrer Assessorenakte gereicht haben) vom Staate übernacht grund– und grußlos, ja cum infamia weggejagt zu werden – von einem Staate, dem die Loewys seit eh’ und je mit Leib und Leben gedient hatten: sich das auszumalen bedarf es keiner Phantasie! Indessen traf es sie – wie manche Juden der damals jungen Generation – nicht gänzlich unvorbereitet: Ihre Brüder hatten sich unbeschadet ihrer nationalen Familiengesinnung schon früh dem Zionismus zugewendet (der älteste hat bis in sein hohes Alter eine führende Rolle im Bar Kochba in Berlin, Breslau und Haifa gespielt), so dass auch Käthe mit zionistischem Gedankengut vertraut  wurde, es begierig aufnahm und schon als Schülerin zionistische Ideen eloquent zu propagieren wusste. So sah sie in Deutschland das Unheil heraufziehen, das die Juden bald am Leibe spürten, dessen unausweichliche Richtung seit den Nürnberger Gesetzen vom September 1935 für sie eigentlich  unübersehbar geworden war - eigentlich! Dennoch zeugen tausend jüdische Biographien von einer schrecklichen Tragik - der Blindheit aus Liebe: davon, wie den älteren Juden, zumal vom nationalgesinnten Zuschnitt der Eltern Loewy, allem Augenschein zum Trotz der Gedanke absurd und unmöglich schien, dass die  Staatsführung der deutschen Kulturnation  auch noch darauf verfallen könne, ihren jüdischen Bürgern den  physischen Garaus zu machen. Sie blieben, selbst wenn sie noch hätten gehen können. So auch das Schicksal der  Mutter Loewy , die von Tochter Käthe vergeblich bestürmt wurde, Deutschland den Rücken zu kehren, so auch der Weg einer verzweigten Verwandtschaft, die später nach Osten abtransportiert und ermordet wurden. Die Kinder aber gingen. Käthe emigrierte 1938 nach Palästina, während ihr Berliner Jugendfreund und spätere Ehemann Fritz Manasse, der den Zionismus mit Skepsis betrachtete, schon 1935 nach Südafrika ausgewandert war, ihr dann aber nach Palästina folgte. Dort hatte man auf deutsche Akademiker, zumal Juristen, keineswegs gewartet; aber die junge Frau Dr. verstand es anzupacken, wo Not war. So leitete sie das Selbsthilfewerk ehemaliger Deutscher („Hilachut olej germania“) und arbeitete in einer Frauenorganisation zum Schutz orientalischer Juden mit u.a. mehr.

1949 kehren die Eheleute Manasse-Loewy (die es später beim einfachen „Manasse“ belassen) nach Deutschland zurück – ins zerstörte Hamburg. Hier muss Frau Manasse sich zunächst als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin beim Amt für Wiedergutmachung durchbeißen. Aber die Urkunde vom 04.12.1951 – unterzeichnet vom Ersten Bürgermeister Max Brauer – wird dann das äußere Zeichen dafür, dass sich nach einem schrecklichen Umweg von fast 20 Jahren der lebhafte Berufswunsch der jungen Frau  des Jahres 1932 nun doch noch erfüllt: sie wird als Landgerichtsrätin zum Landgericht Hamburg berufen. Sie muss nun schuften, pauken und büffeln: ihr fehlen fast 20 Jahre !  Aber sie hat keine Zeit - so wie Studenten oder Referendare sie besitzen: sie muss sofort als Richterin rechtskundig entscheiden! Vielleicht hätte sie im Lande der Täter (dieser später gängige Ausdruck kam ihr allerdings nie über die Lippen!) auf  eine Nachsicht aus schlechtem Gewissen spekulieren können; aber schon der Gedanke, als „Wiedergutmachungsfall“ irgendwelche Privilegien in Anspruch zu nehmen, muss ihr ganz fremd gewesen sein. Mit zähem Fleiß und kraft ihrer großen Begabung schafft sie ihren Weg – preußisch: durch Leistung und sonst nichts. Am 18. Dezember 1962 erhält sie wiederum eine Urkunde - diesmal unterschrieben von Paul Nevermann - : ihre Ernennung zur Landgerichtsdirektorin.

Es war dann ihre Zivilkammer 25, wo unsere Wege sich erstmals kreuzten - Wege, die bis zu ihrem Tode im Sommer 1994 nie mehr ganz auseinanderlaufen sollten; dort wurde sie meine Mentorin im praktischen Zivilrecht. Als ich später – über mehr als ein Jahrzehnt lang – NS-Prozesse zu führen hatte, die immer wieder Massenmord an Juden zum schaurigen Thema hatten, habe ich zuweilen mit meiner alten Direktorin über psychologische Begleiterscheinungen sprechen können, die sich für die Hamburger Justiz mit solchen emotional aufwühlenden Verfahren verknüpften, einschließlich erregter publizistischer Schnell- und Fernschüsse von Funktionsträgern jüdischer Verbände. „Zwei Juden drei Meinungen“: dieser Maxime getreu kam es auch hierzu im Hause Manasse zu differenzierenden, abwägenden, durchaus unkonventionellen Urteilen. ...

Aber zurück zur früheren Zeit:

Gleich nach ihrer Rückkehr aus Israel begann Käthe Manasse ihre Mitarbeit in der hiesigen Jüdischen Gemeinde, wurde auch Mitglied ihres Beirats und – ab 1976 - dessen Vorsitzende; maßgeblich betreute sie das Frauenhilfswerk für den „Magen David Adom“ – eine Organisation, die in Israel die Aufgaben etwa des Roten Kreuzes wahrnimmt -, was eine umfangreiche und energische Sammeltätigkeit (für Ambulanzen, medizinische Apparate etc.) nach sich zog; sie gründete später die „Gruppe der Älteren“ der Jüdischen Gemeinde – mit einem weithin beachteten, von ihr sachkundig betreuten Kulturprogramm. Von ihrem Engagement in beruflichen, nationalen und internationalen Juristenorganisationen soll hier nicht erst begonnen werden, wie es ja überhaupt nicht um Aufzählung und Vollständigkeit gehen kann.

Allerdings - von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit muss nun doch die Rede sein. Sie war für die nach Deutschland zurückgekehrte Käthe Manasse nicht  lediglich eine Organisation neben anderen, sondern der Ort, an dem ein Lebensthema zur Verhandlung kam.  Früher - als Jüdin in einer vielstimmigen („pluralistischen“ ) Gesellschaft, zumal in der reichen Kultur Berlins, und in einem zwar überwiegend „christlichen“ Staat, den Religion indessen nicht weiter interessierte - hatte es das Thema für die Loewys, jedenfalls aber für die junge, erfolgreiche Tochter des Hauses zunächst kaum gegeben. Jetzt war sie nach schrecklicher Erfahrung und tiefer Enttäuschung in die Trümmer der alten Heimat zurückgekehrt – Verwüstung allenthalben, auch im geistig-seelischen Sinne mit der brennenden Frage: Wir - die Juden - und ihr – die anderen (ob Christen, Agnostiker oder was immer) -:  wie können wir, nach allem, nun wieder gemeinsam leben – gemeinsam als deutsche  Bürger in Deutschland ?

Eine der giftigsten Altlasten der Nazizeit war das dem Volk unablässig eingebleute Gefühl, Juden – auch wenn sie hundertmal und seit Generationen einen deutschen Pass besäßen - seien eigentlich und irgendwie doch keine rechten Deutschen, vielmehr letztlich  ein fremdes Volk, eine fremde Rasse mit einer „alttestamentarisch“- fremden Religion. Die Erbitterung und der Schmerz über diesen intellektuellen und moralischen Irrsinn war für Käthe Manasse ein Antrieb, sich an maßgeblicher Stelle in die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit  einzureihen. Viele Jahre, bis zu ihrem Tode im Juli 1994, hat sie ihr treu und beharrlich gedient – als deren jüdische Mitvorsitzende. An dieser Stelle sei an die laudatio erinnert, mit welcher sie am 27. Januar 1982 den langjährigen Ersten Vorsitzenden der Gesellschaft Pastor Joachim Ziegenrücker ehrte. Dass sie darin der lauteren, ihr so wohlvertrauten Persönlichkeit  Ziegenrückers und seinem rastlosen Wirken den verdienten Tribut zollt, sei nur beiläufig angemerkt. Die Worte sagten aber etwas auch über die Laudatorin selbst: Wenn sie darin den 27. Januar 1912, den Geburtstag des Jubilars, als „Freudentag für die ganze Nation“ – eben als „Kaisers Geburtstag“ - apostrophiert und die dem jungen  Ziegenrücker tief eingeprägten preußischen Tugenden rühmt, so liegt darin zugleich die liebevolle Erinnerung an den patriotischen Geist ihres eigenes Elternhauses – und an ihr altes Berlin.  Die Motive Ziegenrückers zur Wahl des juristischen Studiums: seine tiefe Liebe zur Gerechtigkeit, waren auch die ihren gewesen; und seine Gründe, es 1934 verzweifelt abzubrechen, christlicher Theologe zu werden und zur bekennenden Kirche gegen Nazis und Deutsche Christen zu stehen, konnte nirgendwo ein innigeres Verständnis wecken als bei ihr. ....

Käthe Manasse besaß eine tiefe religiöse Bildung: „Ihr Herz gehörte ihren Mitmenschen, ihre Seele dem Judentum“, schrieb Deborah Gottlieb im Nachruf der Jüdischen Allgemeinen. Ihr liberales Judentum war geprägt von geistiger Weite: war sozusagen der jüdische Ring aus Lessings Parabel. Die Echtheit des Juwels konnte nur ein sittliches Leben aus seinem Geiste,  aber keine Theorie, auch kein Schriftbeweis zeigen.

Als Frau Manasse mich Anfang der 80er Jahre zwecks Verjüngung des Vorstands für denselben „keilen“ wollte, machte ich Skrupel geltend, ob ich dafür wohl christlich genug sei. Sie reagierte mit der lakonischen Frage: „Was eint Juden und Christen ?“ Mir fiel, außer Trivialem, eine treffende Auskunft so schnell nicht ein. „Beide gehen nicht: die Juden sabbats nicht in ihre Synagoge, die Christen sonntags nicht in ihre Kirche – na, kommen Sie schon !“ Dieser kleine Diskurs hält natürlich - um Gottes willen ! - keine theologische Tiefenbohrung aus, entsprang er doch spontaner Pragmatik. Gleichwohl traf er für unsere Gesellschaft genau den Kern: Was im Begriffspaar unseres Titels christlich oder jüdisch bedeutet, kann man, wie eben fast spielerisch geschehen, nur ausgesprochen weit fassen Christlich ist dann schlicht der offene Gegenbegriff zum Jüdischen, und jüdisch sind alle religiösen – orthodoxen bis liberalen - oder irreligiösen Juden, so dass es für den vorliegenden Zweck in der Tat unerheblich war, wie es Vorstandskandidaten mit Kirche oder Synagoge hielten.

Nach dieser freundlichen Vereinnahmung saß ich also mit ihr im Vorstand, fast 20 Jahre, nachdem wir nebeneinander im Sitzungssaal des Landgerichts geamtet und Ehen geschieden und aller Art Klagen zugesprochen oder abgewiesen hatten. Zwei Jahrzehnte ändern vieles - was so selbstverständlich ist, dass Kontinuitäten wichtiger sein können als die ständig auf- und abflutenden Neuigkeiten. Deshalb sei lediglich ein Thema beleuchtet – ein nie erledigtes:

Als 1967 nach dem glänzend gewonnenen 6-Tagekrieg der Israelis der eine oder andere an die Kollegin Dr. Manasse herantrat, um ihr artig oder begeistert zu ihrem Siege zu gratulieren, wollte sie dergleichen nicht hören. Sie als Deutsche hielt sich für keineswegs berechtigt, den Lorbeer für Israels Siege einzustreichen, war später allerdings ebenso wenig gewillt, für israelische Politik, die zuweilen von herber Kritik nicht verschont blieb, sich rhetorisch oder moralisch in Haftung nehmen zu lassen. Trotz vielfacher persönlicher Bindungen zu Israel und aller Solidarität: ihre Hauptstadt war nicht Jerusalem, sondern Bonn; sie war Deutsche – zum Teufel: was denn sonst ? – deutsche Jüdin oder jüdische Deutsche, jedenfalls Bürgerin der Bundesrepublik.

In den 80er Jahren wurde das Thema „Ausländer und Deutsche“ bekanntlich allenthalben diskutiert und auch auf  den „Wochen der Brüderlichkeit“ verhandelt. Nun hatte die erbarmungslose Schule ihres Lebens der zur deutschen Heimat zurückgekehrten Emigrantin Käthe Manasse ein feines, vielleicht überscharfes Ohr für falsche Töne verliehen – Töne, die sie auch in solchen Reden als dissonant wahrnahm, mit denen ohne Arg und Nebengedanken nur alle Welt beglückt und ans Herz der Redner gezogen werden sollte: Es dreht sich dabei um das fast schon zur facon de parler gewordene verbale TandemAusländer  und Juden“, deren vorurteilsbedingte Abwertung überwunden, deren Menschenrechte gewahrt und deren Los verbessert werden müsse udgl.

Das geht natürlich zu Herzen, und die spontane Zustimmung will sich wie von selbst einstellen. Aber Frau Manasse pflegte Wasser in diesen Wein zu schütten – mit triftigen Gründen: Sie fand, dass in der wohlmeinenden Einheits-Formel „Juden=Ausländer / Ausländer = Juden zugleich der fatale, folgenträchtige und ihr verhasste Begriffs-GegensatzJuden und Deutsche“ wiederkehrt. Denn wenn die Juden mit den Ausländern in einem Atemzug, als die gleiche rechtliche  Kategorie abgehandelt werden, gelten sie dem Redner eben nicht als Deutsche. Sie werden vielmehr dem Gegenbegriff des Inländers (des deutschen Staatsangehörigen) zugeschlagen, worüber auch die beflissenste  Mitbürger-Rhetorik nicht hinweghilft, so dass die Gleichsetzung Jude=Ausländer die deutschen Juden (von nicht–deutschen Juden wäre eigens zu sprechen) diskriminiert. Daran ändert es nichts, dass die fraglichen Auslassungen allesamt keine Diskriminierung bezwecken, sondern Wohltaten stiften wollen. Käthe Manasse war aber nicht nach Deutschland gekommen, um Wohltaten zu empfangen, sondern um in ihre alten Rechte als Deutsche wieder eingesetzt zu werden und deren Pflichten zu übernehmen.

Vielleicht ist die rein psychologische Seite des scheinbar abstrakten Gedankens leichter fasslich: Der Appell, sich den hier lebenden Ausländern bereitwilliger zu öffnen, ihre Eigenarten verstehen und akzeptieren zu lernen,  dafür eigene Traditionen infrage stellen zu lassen usw. setzt voraus, dass die Welt, auf die man sich einlassen soll, jedenfalls zunächst gewöhnungsbedürftig fremd ist und vielleicht sogar Besorgnisse weckt – eine soziologisch richtige Prämisse. Eben diese Voraussetzung trifft hier - für die deutschen Juden - schlechterdings nicht zu. Deren rechtliche und kulturelle Integration war über Generationen hinweg längst vollzogen, als die Nazis darauf verfielen, sie zu leugnen und die Juden als einen Fremdkörper auszureißen. ...

Hätte Käthe Manasse nicht mehr bewirkt, als unsere Sinne für dieses Thema: für ihre unkonventionellen Gedanken und Gefühle zu öffnen und zu schärfen, wäre das genug gewesen. Sie hat viel mehr getan und geleistet ! Aber dessen Aufzählung läge kaum in ihrem Sinne – kann doch gerade die Beschränkung dazu  beitragen , dass ihr quälendes Lebensthema aus unserer Erinnerung nicht gänzlich entschwindet.

Günter Bertram