Im kommenden Jahr begeht das Strafjustizgebäude seinen 120. Gebrutstag. Rechtzeitig gelang die Renovierung seines Plenarsaales, dessen Einweihung im September feierlich begangen wurde.
Der Sievekingplatz ist in seiner heutigen Gestalt nicht das Ergebnis zielstrebiger Planung. Sowohl die Wahl des Standortes für neue Gerichtsgebäude als auch die Anordnung mehrerer Gerichtsgebäude zu einem Ensemble sind das zufällige Ergebnis langjähriger Diskussionen und des Ausgleichs verschiedener Interessen. Ausgangspunkt der Überlegungen war die seit dem großen Brand im Jahre 1842 bestehende Raumnot in öffentlichen Einrichtungen. Zwar waren die meisten Behörden im neuen Waisenhaus in der Admiralitätsstraße untergekommen. Aber auch in anderen Gebäuden befanden sich Diensträume der Justiz, verstreut über die ganze Stadt. Anlaß zur Klage bot nicht nur die überall herrschende Enge, sondern auch die schlechte Bausubstanz und die unzureichende Innenausstattung. Als mißlich empfunden wurde zudem die Behinderung des Verkehrs der Einrichtungen untereinander durch die großen Entfernungen innerhalb der Stadt. Alles in allem bestand seit 1842 ein dauerhaftes Provisorium und das, obgleich die Stadt in den Jahren seither mehr als die doppelte Zahl an Einwohnern erreicht hatte. Von 135.377 im Jahre 1841 war die Einwohnerzahl bis 1880 auf 454.000 gestiegen.
Insbesondere im Bereich der Strafrechtspflege konnten die baulichen Verhältnisse in den Sechziger und Siebziger Jahren nur als bedrückend beschrieben werden. 1868 bemerkte der Architectonische Verein in seinen Mitteilungen:
Lange Diskussionen wurden zunächst über die Standortwahl geführt. Hierbei herrschten nicht etwa die Bedürfnisse der Justiz in der Argumentation vor - immer wieder ging es in erster Linie darum, wie man am billigsten davonkommen könne. Da nicht nur ein Strafjustizgebäude gebaut werden, sondern das Vorhaben sich auch auf ein daneben liegendes Untersuchungsgefängnis erstrecken sollte, war der Platzbedarf ein wichtiger Punkt. Nach zweijährigem Hin und Her von 1876-78 fiel schließlich die Entscheidung zugunsten des Platzes zwischen botanischem Garten und Holstentor. Die hier verlaufende Straße "Vor dem Holstenthor" hatte man noch vor Abschaffung der allabendlichen Torsperre am 31.12.1860 durch die ehemaligen Wälle nach Westen hin angelegt und mit einem Tor versehen, das am 1.6.1859 eröffnet wurde. Die Vorteile dieses Standortes sah man insbesondere im großzügigen Terrain, das langfristig Raum für zwei Gebäude bot und Erweiterungen ermöglichte.
Wünschenswert erschien ein Weiteres - nämlich die Ziviljustiz nicht all zu weit von der Strafjustiz zu etablieren. Es sei vorteilhaft, Richter in beiden Zweigen zu verwenden, was nur bei Nähe der Gerichtsgebäude durchführbar sei. Auch wegen des großen Platzangebotes erschien deswegen der Platz vor dem Holstentor vorteilhaft. Die mit den Planungen beauftragten Herren, Baudirektor Zimmermann und Oberingenieur Meyer, sahen in den Lageplänen Platz für das Ziviljustizgebäude vor, etwa an dem heutigen Standort des Oberlandesgerichts.
Die Kostenvoranschläge Baudirektor
Zimmermanns vom 10. September 1877 und 10. März 1878 erschreckten
die Stadtväter zutiefst, beliefen sie sich doch auf 3 Millionen Mark.
Aber: "Wat mutt dat mutt!" Die Bürgerschaft faßte den endgültigen
Beschluß zum Bau des Strafjustizgebäudes und eines Untersuchungsgefängnis
in ihrer Sitzung vom 26. Juni 1878. Die Bauarbeiten begannen im selben
Jahre. Fertiggestellt wurde das Untersuchungsgefängnis im September
1881, das Strafjustizgebäude genau ein Jahr später. Der Hamburgische
Korrespondent veröffentlichte am Freitag, den 29.9.1882, folgende
Ankündigung:
Die Baudeputation.
Den Eindruck, den das Strafjustizgebude auf die Zeitgenossen machte, faßt ein Bericht in den Hamburger Nachrichten aus dem Jahr 1881 zusammen. Der Verfasser nennt das Gebäude "imposant" und resumiert in seinem Bericht anläßlich der Fertigstellung des Untersuchungsgefängnisses:
In seiner ursprünglichen Gestalt wies das Strafjustizgebäude einen über zwei Stockwerke reichenden Plenarsaal auf. Säulen mit korinthischen Kapitellen trugen ein reich ornamentiertes Stuckgesims und eine kassettierte Stuckdecke. Die überlangen Fenster dieses Saales sind in der Fassade des Gebäudes gut zu erkennen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden aus dem prächtigen Saal vier Sitzungräume: Durch Einzug einer Zwischendecke gewann man zwei Geschosse und durch Trennwände in beiden Stockwerken je zwei Räume. Die Stuckdecken, durch die Arbeiten bereits erheblich beschädigt, verschwanden unter einer Abhängung, wie dies auch noch in den achtziger Jahren im Ziviljustizgebäude unter Zerstörung der alten Stuckdecken geschah. Die Kapitelle der Säulen wurden abgeschlagen, um Platz für eine zweite Wand in Säulenbreite zu gewinnen.
In den Zeiten der Terroristenprozesse wurde zur Sicherheit eine bruchsichere Ornamentverglasung etwa einen halben Meter vor der Fensterreihe angebracht. Die Fenster ließen sich nun nicht mehr bedienen. Frischluft blieb ausgeschlossen. Die Decke in den oberen Sitzungssälen wurde erneut abgehängt und eine Klimaanlage eingebaut.
Die Säle erfreuten sich keiner großen Beliebheit - das Aquarium nannte man die Räume, in der große räumliche Enge herrschte und die Luft sich schnell verbrauchte. Sie wurden immer weniger genutzt je stärker die Zahl der Prozeßbeteiligten stieg. Die geringe Kapazität der Sitzungssäle im Strafjustizgebäude wurde dadurch noch prekärer.
Auf heftiges Drängen der Landgerichtspräsidentin Konstanze Görres-Ohde wurde die Renovierung beschlossen. 1999 standen die erforderlichen Mittel bereit. Die Arbeiten begannen im Jahre 2000. Es war zunächst geplant, eine bruchsichere Verglasung und Neuverglasung der alten Fenster mit Sicherheitsglas nach ISO A 3. vorzunehmen, die Elektroanlagen zu überprüfen und zu erneuern, die veralteten Beleuchtung zu entfernen und sie durch ein Zweifach-Lichtrohrsystem für den eventuellen späteren Einsatz von PC's zur Protokollführung zu ersetzen. Ferner sollten die abgehängten Decken entfernt und erneuert werden. Geplant war der Austausch der Heizkörper gegen moderne Plattenheizkörper, der Austausch der Richterpodeste und die Dekoration der Wände.
Es gab jedoch eine Überraschung. Niemand hatte geahnt, was unter den häßlichen Zweckverkleidungen steckte. Während der Abbrucharbeiten an den abgehängten Decken in den Sälen 300 und 376 stellte man fest, daß auch die darunter liegende abgehängte Decke schadhaft war. Auch diese mußte abgerissen werden. Nun kam die alte Stuckdecke zum Vorschein. Da die eingezogene Trennwand nicht bis zur Stuckecke hochgezogen worden war, blickte man über die gesamte Stuckdecke.
Die Arbeiten wurden vorläufig eingestellt und mit dem Amt für Denkmalsschutz das weitere Vorgehen beraten. Trennwand und Vorwände wurden abgebrochen. Nun waren auch die Säulen mit den zerstörten Kapitellen sichtbar. Bei einem Gang über den Boden des Hauses fanden engagierte Mitarbeiter die alten Türen des Saales. In der Mitte des Saales wurde nun eine Portaltür angeordnet. Der Hausmeister spürte auch die alte Abtrennung zum Zuschauerraum auf, die - um 1,5m ergänzt - ebenfalls wieder eingebaut wurde.
Die Stuckdecke wurde renoviert, die Kapitelle und die Umlaufgesimse wieder hergestellt. Selbstverständlich mußte das Bodenparkett erneuert werden. Eine neue Beleuchtungsanlage war zu entwerfen. Es versteht sich, daß die Finanzierung dieser zusätzlichen Arbeiten mühsam zu sichern war, aber sie gelang.
Und so konnte im September 2001 die Fertigstellung des Saales gefeiert werden. Mit einem Quartett des Juristenorchesters in Anwesenheit der Justizsenatorin und des Vorsitzenden der Sprinkenhof AG als Eigentümerin übergab die Landgerichtspräsidentin den Saal seiner Bestimmung. Er strahlt buchstäblich in seinem neuen Glanz. Hell ist er geworden mit weißen Wänden und Decken, abgesetzt mit zart-ockerfarbigen Säulenkapitellen, Gesimsbändern und Umrandungen der Deckenkassetten. Dies alles ist effektvoll in Szene gesetzt durch Deckenstrahler am Gesimsband und drei moderne Kronleuchter, bestehend aus zwei übereinander angeordneten kreisförmigen Bändern. Fast zu schön, um für Gerichtsverhandlungen benutzt zu werden...............
Vielen ist zu danken für dieses gelungene Werk. Ohne das Engagement Frau Görres-Ohdes wäre es wohl kaum realisiert worden. Getragen wurde das Vorhaben während seiner Ausführung von den engagierten Mitarbeitern der landgerichtlichen Verwaltung und der Justizbehörde.
Wie sagte doch der Redakteur des hamburgischen Korrespondenten:
Karin Wiedemann