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Rund um den
Blankeneser Marktplatz

Die Hansestadt Hamburg hat einen "Westen". Zentrum und Herz dieses Westens ist ein Marktplatz – idyllisch und geborgen gelegen. Hier pulsiert das Leben des Mikrokosmos Blankenese: Stelldichein der Blankeneser und "Ausländer", ein buntes Bevölkerungsgemisch, Treffen der Gesellschaft und derer, die sich dafür halten, sehen und gesehen werden, Austausch wichtiger und für wichtig gehaltener Geschichten und Informationen, Schieben von Kinderkarren, zur Schau getragene Eitelkeiten und natürlich das Einkaufen – zu Preisen, die mit einem Markt gehobenen Standards einhergehen. Bewacht wird das rege Treiben von der evangelischen Kirche, ein roter Backsteinbau aus dem letzten Jahrhundert, der als großer Zeigefinger seinen Schatten der Mahnung, Fürsorge und des Schutzes auf den Platz wirft. Aus den Fugen zu geraten droht die Szene jeweils im Juni eines jeden Jahres, wenn das Klönschnackfest steigt – ein Mix aus Unterhaltung und Kommerz, der alles, was in Blankenese Rang und Namen hat, lockt und einlädt. Es werden dann auch namhafte Politiker gesehen, zumal wenn Wahlen ins Haus stehen.

Der Marktplatz ist im engen Raumverbund mit der Öffentlichen Toilette Heimstatt für den Blankeneser Bürgerverein. Von hier aus werden diverse Aktivitäten entfaltet, so zum Beispiel die kritische Begleitung der Neugestaltung des Blankeneser Bahnhofsplatzes. Auch dort eröffnet sich – wie so häufig in Blankenese, zum Beispiel bei der Süllbergbebauung – ein Feld, auf dem sich munter Investoreninteressen tummeln, deren Wirtschaftlichkeitsberechnungen nicht immer mit einer organischen Stadtteilentwicklung in Einklang zu bringen sind.

Als integraler Bestandteil des Marktensembles hat die Eisdiele ihr deutliches Banner aufgepflanzt. Bei warmem Wetter ein wahrer Taubenschlag, ein Kommunikationszentrum. Es soll dort das beste Eis Hamburgs angeboten werden, aber das sagen sicherlich nur Blankeneser Patrioten.

Ein Pfahl im Fleisch, Ruhestörer und Spielverderber – der am Rande des Marktplatzes von der Tochter der damaligen und wieder amtierenden Justizsenatorin geschaffene und errichtete Soldat, in den Händen ein über seinem Knie zerbrochenes Gewehr; dies alles in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Gedenkstein zur Erinnerung an die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark am 24.03.1848. Heftige Diskussionen löste das Werk seinerzeit aus, es wurde mehrfach beschädigt. Zwischenzeitlich haben die Blankeneser wohl ihren Frieden geschlossen. Es beruhigt auch die Vorstellung, dass der ehemalige Bürgermeister Altonas, Herr Strenge, der die Entfernung des Werks zu betreiben hatte – im Ergebnis ohne Erfolg –, nunmehr als Staatsrat der Justizbehörde zu einer Arbeitssymbiose mit der Mutter der Künstlerin gefunden hat.

Wenn gesellschaftliche und soziale Probleme auf der Haut brennen, hat im übrigen der Blankeneser nicht immer seine stärksten Szenen. Ich denke an die Arbeitsplätze und das Mühlenberger Loch. Es beflügelt auch meine Phantasie die Vorstellung, im Rahmen der Bekämpfung der Jugendkriminalität, die in durchaus rustikalerer Form als praktiziert in diesem Stadtteil gefordert wird, würde eine gesicherte Wohnung für kriminelle Jugendliche am Blankeneser Marktplatz errichtet werden.
 

Der Kern Blankeneses wird umlagert und gegen die unwirtliche Außenwelt geschützt von Parks, grünen Lungen, Räumen der Entspannung und Phantasie. Wer kennt sie nicht alle, den Hirschpark, den Baurs Park, den Goßlers Park, den Hessepark. An Feiertagen und bei stabilen Wetterlagen Ziel zahlreicher Besucher, ansonsten Oasen der Ruhe. Insbesondere in den Abend- und Nachtstunden Treff der behüteten Blankeneser Schülerschaft, die sich mit Zigaretten, Alkohol und auch schon mal einem Joint an der Erwachsenenwelt reibt und misst – man ist eben nie wieder so klug, aber auch so unbefangen, wie in diesem Alter. Ich habe in diesen Parks auf weichgefederten Laufschuhen viele Meilen meine Muster und Spuren gezeichnet und immer wieder Bekanntschaft mit Vierbeinern geschlossen, die mit ganzer Schnauzenbreite Maß an meinen Waden nahmen.

Vom Marktplatz führen wie Hauptschlagadern Straßen in alle Himmelsrichtungen. Rechts geht es Richtung Bahnhof; geradeaus der Dormienstraße folgend zum Amtsgericht Blankenese, ein Kleinod in der Hamburger Gerichtslandschaft. 1990 war ich dort Direktor. Ein Berufsjahr in Harmonie und dies nicht deswegen, da es mir widerfahren konnte, dass die Flagge gehisst wurde, wenn ich das Gerichtsgebäude betrat. Ja, in Blankenese gilt der Direktor noch etwas.

Zur Linken führt die Straße zum Elbhang hin, für den Autofahrer allerdings unterbrochen von einem Durchfahrtverbot. Wie ein sich schlängelnder Wurm passt sich die Blankeneser Hauptstraße dem abfallenden Gelände an. Oder man entscheidet sich für das Treppenviertel, das unvergleichliche. Ein Labyrinth von Treppen, Gassen, Steigen, verschachtelt, ineinander und gegeneinander verschoben und versetzt, überwuchert von Büschen, flankiert von Blumen und Rabatten, Haus an Haus, jedes ein Unikat für sich. Und dann immer neue, überraschende Fernblicke, Aus- und Einblicke. Und darunter? "Darunter liegt die Elbe. Und da liegen auch Sterne drin. Dieselben Sterne, die im Himmel liegen, liegen auch in der Elbe. Vielleicht sind wir gar nicht so weit ab vom Himmel. Und die Elbe? Die stinkt. Aber die sie lieben, die weit weg sind und sich sehnen, die sagen: sie riecht. Nach Leben riecht sie. Links Hamburg, rechts die Nordsee, vorn Finkenwerder und hinten bald Dänemark. Um uns Blankenese. Über uns der Himmel. Unter uns die Elbe. Und wir: Mittendrin!" (Wolfgang Borchert).

Heiko Raabe