Feine Zurückhaltung und der Ehrgeiz, keinen Zweifel an der eigenen Belastbarkeit aufkommen zu lassen, zeichnen traditionell den hanseatischen Richter aus. Jahrelang vernahm man nur stille Klagen über die zunehmende Arbeitslast. Lediglich bei besonderen Anlässen beschworen die jeweiligen Präsidenten den bevorstehenden Untergang. Einige Zeit ließ sich so der schleichende Verfall verwalten. Schließlich war der Leidensdruck zu groß. In einer beispiellosen Einmütigkeit haben sich die Richter des Landgerichts Hamburg an die Öffentlichkeit gewandt. Diesmal nicht abstrakt klagend, sondern in konkreter Beschreibung dessen, was die beschönigend "Haushaltskonsolidierung" genannte Knebelung der Justiz in der Praxis anrichtet, haben die Vorsitzenden Richter Ulf Brüchner, Jürgen Meyer, Gerhard Schaberg und Rolf Seedorf sich der Presse gestellt und ihr mit Erfolg die Realität vermittelt.
Auch die Richter des Amtsgerichts und des Hanseatischen Oberlandesgerichts schlossen sich dem öffentlich Protest an – MHR druckt die Presseerklärungen ab, die jeweils ihren eigenen Akzent aufweisen. Einen Beispielstag aus dem Amtsgericht schildert im vorliegenden Heft Kollege Schulze-Kirketerp........
Die Reaktion auf den kollektiven Aufschrei mag für die Öffentlichkeit als Erfolg erscheinen – tatsächlich ist zu vermuten, daß die Erleichterungen sich im Bereich der Gerichte auf eine Übergangszeit für die politisch kritischen Jahre 2001 und 2002 beschränken. "Besser als nichts" sind sie allerdings, wie die Landgerichtspräsidentin zu Recht bemerkte.
Rechtzeitig zur Bürgerschaftswahl stellten sich die Justizpolitiker der Parteien auf Einladung des hamburgischen Anwaltvereines einer Diskussion. Unser Korrespondent Hirth besuchte die Veranstaltung und faßt die Positionen zusammen.
Andere Bundesländer – andere Probleme: Wie der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag u.a. im "Schenefelder Tageblatt" vom 11.4.2001 unter der Überschrift "Bund gegen richterlichen Müßiggang" meldete, hat sich der schleswig-holsteinische Richterbund für eine "maßvolle Überprüfung der Arbeitsleistung von Richtern" ausgesprochen. Es müsse der Justizverwaltung möglich sein, "in allgemeiner Form bestimmte Mengenstandards festzulegen" habe der Bund erklärt. Die richterliche Unabhängigkeit solle keine Garantie für richterlichen Müßiggang sein. Vor überzogenen Erwartungen müsse allerdings gewarnt werden. Es dürfe nicht sein, daß Juristen weniger sorgfältig arbeiten, weil sie ein bestimmtes Pensum schaffen müßten.
Anlaß und Kontext dieser Erklärung sind in dem Zeitungsartikel nicht erläutert. Der isolierte Artikel erweckt Befremden. Wer von uns Richtern und Staatsanwälten geht denn müßig? Was veranlaßt eine Standesvertretung, sich in vorauseilendem Gehorsam die fiskalischen Interessen der Justizverwaltung zur Aufgabe zu machen? Was brachte unseren Nachbarverband zu seinen Feststellungen? Entweder handelt es sich bei Quantität und Qualität um Selbstverständlichkeiten, dann bieten sie keinen Anlaß zu aktueller öffentlicher Herausstellung. Oder es gibt eine Wende in der Aufgabenstellung der Standesvertretung in Schleswig-Holstein. Dies wäre Grund für einen aufmerksamen Blick über die Landesgrenze, zumal der gerade gewählte neue Vorsitzende des Deutschen Richterbundes – MHR gratuliert herzlich - als Landgerichtspräsident in Itzehoe wirkt. Oder sollten die Richter jenseits der Landesgrenze............? Vielleicht können wir im nächsten Heft zur Aufklärung beitragen.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre dieses Blattes, das angesichts der aktuellen Ereignisse, die es noch einzuarbeiten galt, ein wenig verspätet zu Ihnen gelangt. Verbringen Sie schöne Sommertage. Durchwandern Sie Ihr Viertel, wie es Dr. Raabe in Blankenese tat und beschrieb. Und: Nehmen Sie auf gar keinen Fall Akten mit in den Urlaub!
Ihre
Karin Wiedemann