Justiz 2000 bis 2010
Die Justizbehörde hat es
Ende letzten Jahres deutlich gesagt, und es trifft auch zu: Niemand kann
die "große Justizreform" zu den Akten legen oder gar zum alten Trott
zurückkehren. Justiz 2000 ist zwar formal abgeschlossen. Der Sache
nach geht die Strukturveränderung in den Gerichten aber erst richtig
los; der Gestaltungswille der Behörde ist ungebrochen.
Was bislang den meisten außerhalb
der Drehbahn als vornehmlich theoretisches Konzept erschienen sein mag,
rückt immer näher an die einzelnen Arbeitsplätze heran.
Was bislang Gegenstand freiwilliger Betätigung in speziellen Arbeitsgruppen
gewesen ist, kann jetzt zur Dienstpflicht erstarken; was bislang als Befreiung
von "verkrusteten Strukturen" empfunden worden ist, wird jetzt um seine
belastenden Kosten ergänzt.
Mit einem durchaus schon interessanten
Grad an Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit gibt die Justizbehörde
zu erkennen, was sie den Gerichten und den hier tätigen Bediensteten
in den nächsten Jahren an konkreten Veränderungen abverlangen
will.
Diese Positionsmarkierungen
sind für jedermann beispielsweise über die Internetpräsentation
der Behörde oder die zur Information beauftragetn Präsidialrichter
in den Gerichten zugänglich. Schon die knappe Darstellung in dem Sonderheft
Justiz intern vom Oktober 2000 gibt wichtige Hinweise, z.B.: Budgetierung
bleibt nicht bei der bisherigen dezentrale Mittelbewirtschaftung stehen,
sondern ist outputorientiert auszubauen (S. 22); "ganzheitliches"
Controlling ist die erstrangige Aufgabe des unumkehrbar gewollten "modernen
Justizmanagements" (S. 20 u. 24); Personalplanung und -entwicklung sind
zentrale (?) Aufgaben (S. 23), "umfassendes" Qualitätsmanagement ist
ein Reformschwerpunkt (S. 20 u. 24).
Die Richterschaft betreffen direkt
oder indirekt die weitaus größte Zahl der Vorhaben. Von besonderem
Gewicht sind beispielsweise die Bestrebungen,
- die Kosten der richterlichen
Verfahrenshandhabung "transparenter" zu machen bzw. die sogenannte Kostenverantwortung
zu schaffen
Stichworte: ProBudget als
Controllinginstrument eingebettet in die Controllingsoftware SAP R-3 /
jedenfalls gerichtsintern gläserner Richter - Verhaltenslenkung durch
Beobachtung / Benchmarking - Renn-Listen: billigster Richter / Fallkostenpauschale
- wer hat die Kompetenz zur Verfahrenssteuerung durch Festlegung des "angemessenen"
Verfahrensaufwands / Datenerhebungsaufwand / Datenverfügbarkeit vor
dem Hintergrund der möglichen Rezentralisierung der IuK auf das LIT
- die Richterschaft, parallel,
wie auch als Teilkorrektiv der Mengensteuerung, in das sogenannte Qualitätsmanagement
einzubinden,
Stichworte: Qualitätszirkel
als in den Managementprozeß integriertes, führungsunterstützendes
Gremium / Umkehrprinzip / außergesetzliche Qualitätsstandards
für Richter durch Richter ?
- sowie, ebenfalls teilweise zur
Absicherung der Neuorientierung, das richterliche Berufsbild und Anforderungsprofil
zu verändern und hierfür die Personalentwicklung zum Gegenstand
der strategischen, sprich zentralen Steuerung zu machen.
Stichworte: neues "Anforderungsprofil"
/ Reform-Bejahung und Innovations-Beiträge als Beförderungskriterium
/ Beförderungsrichtlinie mit Ranking-Kompetenz an JB / Personalauswahl
durch bei der JB angesiedelte Assessment-Center
Je deutlicher die Inanspruchnahme
der Bediensteten wird, desto spürbarer wird auch werden, welche Rechte
und Interessen der Betroffenen durch die Veränderungen berührt
werden. Materielle und Verfahrensrechte der einzelnen Richter wie auch
der Richtergesamtheiten müssen jetzt konkret berücksichtigt und
in die Detailkonzepte einbezogen werden. Beispielsweise liegt auf der Hand,
daß ein System der automatisierten Verarbeitung von auf die richterliche
Arbeit bezogenen Daten wie ProBudget nicht ohne ein Mitbestimmungsverfahren
mit dem betroffenen Richterrat eingeführt werden kann. Eine Beobachtungsdichte,
die einer laufenden Geschäftsprüfung gleichkommt, würde
von Richtern vor dem Richterdienstgericht anzugreifen sein. Eine Budgetierung
über "Bestellung" bestimmter Erledigungen wäre ein Eingriff in
die Kompetenz des Präsidiums.
Weiterhin dennoch fast ausschließlich
auf Konzeptbildung nur innerhalb der exekutivischen Hierarchie zu setzen,
wird nicht mehr "zielführend" sein. Demgegenüber erscheint es
durchaus nicht ausgeschlossen, daß eine angemessene Herangehensweise
insgesamt zu Erfolgen führen wird, die zwar nicht immer eine griffige
Pressemeldung abgeben, sachlich aber den vertretbaren unter den Reformzielen
wie auch den anzuerkennenden Bedürfnissen der Beschäftigten nahekommen.
Ausschlaggebend hierfür ist, ob in Substanz wie Stil bei der Justizbehörde
wie den Gerichtsleitungen ein neuer Ansatz gefunden wird, der letztlich
nur den propagierten Zielen der Reform selbst (Transparenz, Rationalität,
Konsensorientierung, Verläßlichkeit, Dezentralisierung) entsprechen
müßte.
Aus der Beachtung des Transparenzgebots
etwa würde die Bereitschaft folgen, Sinn, Zweck und Reichweite von
gewünschten Maßnahmen ohne taktische Wahrheitsreserven darzulegen;
erst auf dieser Grundlage sind Verhandlungen sinnvoll möglich.
Würde beispielsweise
die Justizbehörde die zur Begründung von ProBudget angeführte
Mär aufgeben, schon allein durch die EDV-gestützte, detaillierte
Beschreibung der derzeitigen Verfahrenskosten könnten die Gerichte
höhere Budgetanmeldungen rechtfertigen (d.h. mit deskriptiven Daten
unmittelbar eine Wertungsfrage beantworten), sondern die intendierte Budgetsteuerung
verbindlich, nachvollziehbar und abschließend kennzeichnen und als
notwendiges Ziel die Anbindung an den allgemeinen Produkt-Etat der Hansestadt
benennen, so wäre - unter der Voraussetzung einer abgesicherten EDV-Architektur
- ein sinnvoller Verhandlungsrahmen gesteckt.
Zur Rationalität und Stringenz
einer auf kooperativen Führungsstil angelegten Reform würde als
Grundsatz die Konsensorientierung gehören - und zwar nicht nur die
Orientierung am Konsens innerhalb der Führungshierarchie.
Die Gefahr gerade in der Justizbehörde
liegt derzeit darin, daß im Gegensatz zu einer Konsensorientierung
mit dem Topos der "ministeriellen Zuständigkeit für strategische
Entscheidungen" eine umfassende, beliebig erweiterbare Alleinkompetenz
reklamiert wird, die zudem auch mit dem materiellen Gehalt des Dezentralisierungskonzepts
unvereinbar ist. Man kennt diese Subsidiaritätsproblematik von der
EU; in unserer Justiz müßte sie besser zu lösen sein.
Die Dezentralisierung der
Personalverwaltung, bei der wider die betriebswirtschaftliche Vernunft
das Mengengeschäft auf die "Dienststellen" zurückverteilt wird,
sollte ein Ausreißer bleiben.
Zur Rationalität und Akzeptanz
beitragen würde es auch, wenn dargelegt würde, auf welcher Tatsachengrundlage
die Führung zu ihrer Einschätzung gelangt ist, bestimmte "Modernisierungsschritte"
seien erforderlich - bislang ist keine überzeugende Empirie für
die zugrundeliegende zentrale Vermutung ersichtlich, daß die Richterschaft
in relevantem Maße verschwenderisch mit den Mitteln umgehen oder
die Verfahrensbeteiligten obrigkeitlich unangemessen behandeln würde.
Die bisherigen "Kundenbefragungen" belegen eher das Gegenteil.
Es bleibt insgesamt zu hoffen,
daß die förmlich eingeläutete neue "Reformphase" Veränderungen
auch im "Reformprozeß" bringt.
Vermeidet man allzu ökonomisch-missionarischen
Eifer, orientiert man sich erkennbar an der spezifischen Kernaufgabe der
Rechtsprechung, sichert man ab, daß es hier um - partielle - Evolution
und nicht Revolution geht, gewährleistet man, daß es nicht um
die Abschaffung des alten Menschen etwa wie bei dem Wechsel vom bäurischen
auf ein Kolchosensystem geht, kurz, wahrt man das menschliche Maß,
dann sind tragfähige, in geordneten Verfahren von breiter Zustimmung
gestützte Neuerungen erreichbar.
RiVG Michael Bertram