Der Vorsitzende der KfH 2, Axel Bartels verabschiedete sich mit einer großen Gartenparty von denen, die ihn in seinem Berufsleben begleitet haben.
Viele Reden wurden gehalten, der Chor der Handelskämmerer brachte – im Trauerflor - ein vielstrophiges Ständchen, dessen Text der jetzt amtsgerichtliche Kollege Oelert jedem einzelnen entlockt hatte und den wir dem geneigten Leser ersparen, weil der Scheidende hierin nicht immer in seiner vollen Größe gewürdigt worden ist. Vielmehr war die Rede von verschiedenen Schwächen des Großen Axel.
Aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen in seinen Abschiedsworten an die Justiz:
"Als vor gar nicht langer Zeit ein Kollege in den sog. Ruhestand geschickt wurde, wünschten ihm die zahlreichen Gäste: Genießen Sie Ihren Ruhestand im Kreise Ihrer Freunde! Darauf guckte dieser Kollege entgeistert und fragte mit leiser Stimme: Im Kreis meiner Freunde? Meine Freunde waren die Akten! Kurze Zeit danach traf er einen Rechtspfleger, den das gleiche Schicksal ereilt hatte, und fragte ihn leutselig: Na, wie geht's? Ach, so dieser, erst war's furchtbar. Aber seitdem mir meine Helga, die Sie ja auch als Geschäftsstellenbearbeiterin noch kennen, jeden Morgen nach dem Frühstück von ihr ganz kompliziert gestaltete Akten vorlegt und ich darin meine Verfügungen treffen kann, geht's mir hervorragend. Darauf der Richterkollege: Ach bitte, bitte, könnten Sie mir diese Akten nicht anschließend zur Entscheidung vorlegen? Rechtspfleger und Richter sollen auf diese Weise steinalt geworden sein.
Es ist schon ein merkwürdiges Verhältnis zwischen dem Richter und seinen Akten: Die einen hassen die Akten so, dass sie solche nur bearbeiten können, wenn sie keine auf ihrem Schreibtisch haben. Die anderen sind in ihrem Dienstzimmer nur glücklich zwischen Bergen von Akten. Und die Verwaltung interessiert nur die Zahl, nicht der Inhalt.
Ich muss ehrlicherweise zugeben, nach annähernd 40 Jahren plötzlich gerichtsaktenlos, das ist gar nicht so einfach zu verkraften, selbst für mich, der ich nie ein Fan unerledigter Akten war. ...
Wenn ich die rund 40 Jahre so Revue passieren lasse, muss ich bei allen Aufs und Abs sagen: Es war eine tolle Zeit. Ich glaube, in keinem anderen Beruf gibt es eine vergleichbare Freiheit und Unabhängigkeit. Ich habe mich nie irgendwelchen Weisungen in meinen Entscheidungen unterwerfen müssen. Den jüngeren Richtern oder künftigen Richtern kann ich nur zurufen: Nutzt diese Freiheit, kriecht nicht anderen aus parteipolitischer oder sonstiger Rücksichtnahme in irgendeinen Körperteil, aber seid Euch auch Eurer Verantwortung bewusst. Denn dieser Beruf ist wahrlich kein Zuckerschlecken, wenn man ihn ernst nimmt. Er fordert den ganzen Mann, die ganze Frau, auch auf 1/2 Stelle.
Ich habe das Glück gehabt, vor meiner Beförderung zum Vorsitzenden Richter, in ganz unterschiedlichen Bereichen eingesetzt worden zu sein: Zunächst zu meinem Entsetzen als Staatsanwalt, was aber gar nicht schlecht war, was ich bald merkte, dann als Assessor in der Zivilkammer unter Frau Dr. Manasse. Aus dieser Zeit rührt meine Freundschaft zu Peter von Heppe. Wir teilten ein Zimmer, sahen uns allerdings nie, denn er arbeitete von 5-12 Uhr und ich von 13 - 20 Uhr. Vielleicht sollte diese Konstellation, einen Morgenarbeiter mit einem Morgenmuffel zusammen unterzubringen, als Raumsparvorschlag in Zukunft berücksichtigt werden. So ließe sich noch mehr Geld einsparen, mit dem dann eventuell ein zusätzlicher Richter finanziert werden könnte.
Nach meiner Zeit in der Zivilkammer wurde ich Prüfungsassessor beim Gemeinsamen Prüfungsamt. Aus dieser Zeit rührt meine Hochachtung für den Kollegen Brüning, der sich jetzt allerdings mit pingeligen wettbewerbshindernden Maßnahmen beim OLG befassen muss und der trotzdem noch die Genehmigung hat, mit den wirtschaftsorienterten Handelskämmerern einmal in der Woche gemeinsam essen zu dürfen.
Nach der Tätigkeit beim GPA folgte die faszinierende, zunächst inhaltlich völlig unbestimmte Tätigkeit als justizpolitischer Referent in der Justizbehörde. Ich durfte Studien verfassen, eine wurde wohl auch gesetzgeberisch umgesetzt, eine ärgerte verständlicherweise die Staatsanwaltschaft, die dazu Stellung nehmen musste. Thema: Die Abschaffung der StA in der bestehenden Form. Dann wurde ich Präsidialrichter zusammen mit Roland Makowka, lernte u.a., wie man geschickt taktiert und dass man alles versprechen kann, denn Versprechungen der Verwaltung werden grundsätzlich nicht eingehalten. Irgendwann war ich dann auch in der Jugendstrafkammer mit Harald Ficus zusammen. Nach meiner Erinnerung wurden dort jedenfalls noch Strafen verhängt.
Anschließend folgte eine sehr bedrückende, aber für mich sehr wichtige Zeit als Mitglied eines Schwurgerichts in einem NS-Verfahren.
Ich hatte dann das Glück, für heutige Verhältnisse ziemlich früh, Vorsitzender einer in 1974 neu gebildeten Großen Spezialstrafkammer für Wirtschaftsstrafsachen zu werden. Es war toll. Wir waren ein ganz junges Team. Alle unter 40. Wir nannten uns das "jüngste Gericht". Es waren schwierige Sachen zu verhandeln, u.a. das sog. Parteispendenverfahren. Wir standen ziemlich unter Druck. Aber wir haben die Sache ohne Aufhebung erledigen können. Wir hatten uns auch gut vorbereitet: Vor Beginn dieses Verfahrens hatten wir anonym an einem Verteidigertraining in München, Thema: Wie verhindert man eine Verurteilung der Mandanten? teilgenommen, so dass wir auf die drohenden Anträge bestens vorbereitet waren.
Zeitweilig haben wir seinerzeit nebenbei auch eine Zivilkammer entlastet. Zeitweise waren wir auch als Schwurgericht tätig. ...
Dann kam 1989 der Sprung ins kalte Wasser, in die Kammer 2 für Handelssachen. Dies war nun was völlig anderes. Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Im Gegenteil: Ich habe mit einem persönlich und fachlich phantastischen Kreis von Handelsrichtern zusammen arbeiten können. Nicht nur das. Es haben sich zwischen uns freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Auch deswegen schmerzt mich persönlich die Auflösung der traditionsreichen Kammer 2 für Handelssachen. Die Arbeit in dieser Kammer war hochinteressant und hat mir viel Freude gemacht. Ich habe als Handelskämmerer die gute Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft sehr geschätzt. Ich glaube, das gute Verhältnis zwischen Anwälten und Richtern der Kammern für Handelssachen ist eine Besonderheit, die den Wirtschaftsstandort Hamburg auszeichnet. ...
Ich habe jedoch den Eindruck gewonnen, dass die Justiz als Dritte Gewalt im Konzert der drei Gewalten innerhalb der letzten dreißig Jahre immer mehr an politischem Gewicht verloren hat. Als ich anfing, war ich noch voller Euphorie über die Nutzung der Chancen, die das Grundgesetz der Justiz als Dritter Gewalt eingeräumt hat. Inzwischen ist nach meinen Beobachtungen in Hamburg die Exekutive übermächtig geworden. Schon lange wird nicht mehr in der Drehbahn, geschweige denn in anderen Behörden, zumindest gefragt: Was sagt wohl der Sievekingplatz zu dieser Maßnahme? Und vom Sievekingplatz selbst hört man in der Öffentlichkeit praktisch nichts Bedeutsames mehr. Dies war früher zu Zeiten Stiebelers und seiner Vorgänger anders. Ich meine, dass die parteipolitische Infiltration der Justiz nicht gut getan hat. Diese Entwicklung geht einher damit, dass die Justizbehörde die ihr obliegenden Aufgaben m.E. verkennt. Im Grunde hätte sie dafür zu sorgen, dass die Justiz in Hamburg funktioniert. Sie verkennt indes seit Jahren, und in den letzten Jahren immer mehr, die ihr vor allem obliegende Funktion als der Rechtsprechung dienende Verwaltung, maßt sich zu große eigene Bedeutsamkeit zu und bläst ihren Apparat auf, während die eigentlichen Leistungsträger der Justiz immer unerträglicheren Beschränkungen ausgesetzt sind.
Einer meiner Kollegen hatte mir deswegen als Motto empfohlen: "Jetzt reicht's". Ich habe mich dennoch für das versöhnliche "Und tschüs" entschieden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Traum schildern, den ich gestern nacht hatte: Ich sah in der Hafencity ein modernes Gebäude mit der Aufschrift: "Handelsgericht Hamburg". Als ich das Gebäude betrat, eilten lauter geschäftige Menschen an mir vorbei. Und ich traf einen der Richter, der sah rundum zufrieden aus, und der rief mir zu: "Endlich haben wir ein eigenständiges Handelsgericht, ohne staatliche Bürokratie. Alles läuft prima. Die Wirtschaft ist begeistert. Die Anwälte jubeln. Demnächst werden wir an die Börse gehen. Ist das nicht super?" Da wachte ich auf.
Axel Bartels