Herr Düwel, wann und wo sind Sie geboren? Welche Ausbildung haben Sie?
Ich bin geboren am 15. April im Jahre 1961 in Hildesheim. Nach der Grundschulzeit in Göttingen wechselte die Familie nach Hannover. Dort habe ich auch Jura studiert - als echtes Kind der einzig wahren und konsequenten einstufigen Ausbildung in dieser Republik. Das sage ich deshalb mit so großer Überzeugung, weil ich die einstufige Ausbildung in Hannover sozusagen aus ihrer Geburtszeit kenne. Mein Vater war Ausbildungsreferent im Justizministerium, und das ganze Projekt stammte wenn man so will aus seinem Kopf und aus seiner Feder. So habe ich mich schon aus Gründen familiärer Loyalität entschieden, in Hannover zu studieren und würde auch in der Rückschau sagen, dass ich nur Jurist geworden bin, weil es dieses einstufige Modell in Hannover gab. Ich habe die Studienzeit sehr genossen: Kleine Kurse, frühe Praxiserfahrungen. Meiner Meinung nach war das, was damals in der Struktur angelegt war, der Königsweg in der Juristenausbildung, und ich würde mich sehr freuen, wenn die augenblickliche Reformdiskussion auch wieder in eine solche Richtung gehen würde.
Aber wie auch immer: Nach Ausbildungsstationen im Ausland habe im Frühjahr 1989 mein Studium abgeschlossen. Ich hatte nur sehr wenige Vorstellungen, wie es weitergehen sollte, aber diese waren ungeheuer präzise. Während des ganzen Studiums hatte mich bewusst eingeschossen auf das Öffentliche Recht, habe dort auch meine Vertiefungsstationen und das Vertiefungsstudium absolviert.
Ich hab mich dann auch nur sehr punktuell beworben u.a. für die Hamburger Verwaltung, weil ich zwar Hannover sehr liebe und schätze - was hier in Hamburg auf großes Unverständnis stößt -, wollte aber in eine Stadt, die größer als Hannover ist, und nicht südlicher liegt. Da kam eigentlich nur Hamburg in Frage. Und da ich Hamburg wiederum aus familiären Zusammenhängen gut kannte, habe ich mich natürlich ungeheuer gefreut, als ich im Oktober 1989 in der Verwaltung anfangen konnte, und zwar in drei für Jungjuristen üblichen Stationen, nämlich im Personalamt des Senatsamts für den Verwaltungsdienst und anschließend im Bezirksamt Altona.
Meine dritte sogenannte Durchläuferstation war dann eine sehr spannende, weil ich gerade zur Zeit des großen Umbruchs der Wiedervereinigung in der Bürgerschaftskanzlei landete. Ich saß dort als Regierungsrat z.A. eine Weile zeitgleich auf drei Stellen von Kollegen, die es in die neuen Bundesländer gezogen hatte. Ich war Leiter des Eingabendienstes, Leiter des Protokoll- und Ausschussdienstes, und dann für einen Übergangszeitraum auch noch Justiziar der Bürgerschaftskanzlei.
Nach dieser Zeit erhielt wechselte ich auf meine erste Planstelle in einer Einrichtung, die im Rufe stand, die Krone der justiziarischen Verwaltungsschöpfung dieser Stadt zu sein, nämlich in das Baurechtsamt der Baubehörde, und zwar noch zu Zeiten des legendären Baurechtsamtsleiters Alexejew. Dort habe ich mich mit einer Materie befasst, die für Hamburg eine ganz besondere Bedeutung hat, dem Wasser- und Deichrecht. Ich hatte mich innerlich darauf eingestellt, das für einen langen Zeitraum zu machen.
Jedoch schon nach wenigen Monaten im Spätsommer/Frühherbst 1991 bekam ich aufgrund meiner Tätigkeit in der Bürgerschaftskanzlei das, was man auch gern "den Ruf aus dem Rathaus" nennt. Man brauchte in der SPD-Bürgerschaftsfraktion einen Nachfolger für den Justiziar im wissenschaftlichen Mitarbeiterstab. Es ist eine ungeheuer spannende Zeit gewesen, weil unter anderem im Herbst diesen Jahres in Hamburg das begann, was später als das "Diätending" in die Geschichte der Stadt eingegangen ist - also die Debatte um die Reform des hamburgischen Abgeordnetenrechts. Im übrigen habe ich vor allen Dingen der rechtspolitischen Sprecherin der Fraktion zugearbeitet und war für die Betreuung des Arbeitskreises Recht zuständig.
Auch dies Geschäft war nur von kurzer Dauer, weil ich dann innerhalb der Fraktion wenn man so will befördert worden bin. Im Sommer 92 wurde ich persönlicher Referent des damaligen Fraktionsvorsitzenden, Günter Elste. Das war eine sehr attraktive Aufgabe, weil sie verbunden war mit der stellvertretenden Fraktionsgeschäftsführung. Das waren heiße und wilde Zeiten, was für meine Familie und mich sehr problematisch war. Ich habe drei Kinder. Das erste, unser Sohn, ist noch in Hannover geboren. Es folgten zwei Töchter. Die erste im November 91. Das war präzise einen Monat, nachdem ich in die Fraktion eingestiegen war und fiel zudem auf drei Tage genau mit dem 3. Medizinischen Examen meiner Frau zusammen. Ich war kaum zu Hause, weil ja das Parlament und seine Gremien immer erst im Spätnachmittag zusammentraten und auch Wochenendklausuren häufig auf der Tagesordnung standen. 1993 wurde unsere zweite Tochter geboren - an einem schönen Datum, dem 1. Mai. Aber eben auch zu einer Zeit, wo ich sehr viel weg war, und meine Frau die Familie fast ganz alleine tragen musste. Die Wahlen im Jahre 1993, habe ich noch in der Fraktion miterlebt.
Danach zog es mich zurück in die Verwaltung. Im Februar 1994 ging ich in das damals noch bestehende Senatsamt für den Verwaltungsdienst, Bereich Organisationsamt. Dort wurde ich sogenannter "Spiegel-Referent". Ich führte ein kleines Referat in der Abteilung Stellenbedarf und Organisation der Behörden. In unserer Zustandigkeit lagen die Justizbehörde und die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, wobei der klare Schwerpunkt immer die Justizbehörde war.
Dieses Geschäft habe ich bis Mitte 1996 betrieben. Inzwischen war das Organisationsamt aufgelöst und in die Finanzbehörde integriert worden. Ich war seinerzeit auch an der Vorbereitung der Einführung des automatisierten Mahnverfahrens beim Amtsgericht beteiligt und habe eng mit meiner Vorgängerin an der Drehbahn 36, Frau Nöhre, zusammengearbeitet. Damals ging es auch mit der Konsolidierung so richtig los. 1994 fielen die Senatsbeschlüsse dazu , ihre Umsetzung begann in den Jahren 95 und 96. Das waren ganz intensive Arbeitsbeziehungen, insbesondere zum Amt für Allgemeine Verwaltung. Daher kannte ich den Bereich auch vergleichsweise gut.
Im Sommer 1996 nahm ich wieder eine Auszeit und ließ mich beurlauben. Diesmal allerdings nicht aus beruflichen, sondern aus familiären Gründen, da meine Frau nach dem 3. Examen ihre Zeit als Ärztin im Praktikum hinter sich bringen musste und wollte. Das hätten wir nur mit sehr schlechtem Gewissen mit externer Unterstützung organisieren können. Deswegen entschieden wir uns, dass ich zu Hause bleibe. Diese Zeit war der bisher mit Abstand schönste Abschnitt meines Lebens. Das kann ich wirklich ohne jede Einschränkung sagen. Im Gegensatz zu meiner Frau habe ich allerdings das ungeheure Privileg genossen, dass mein erster Beurlaubungstag der erste Kindergartentag unserer Jüngsten war, d.h. ich hatte die Vormittage frei und konnte die Wohnung putzen, einkaufen, kochen und in großer Ruhe all das erledigen, was meine Frau zuvor immer mit drei Kindern "stand by" zu bewältigen hatte. Nach 1 ½ Jahren zu Hause bin ich dann wieder in der Finanzbehörde auf die Füße gekommen und zwar ein Stockwerk tiefer im Amt für Organisation und Zentrale Dienste und bin dort stellvertretender Projektleiter im Projekt Verwaltungsinnovation (ProVi) geworden.
Hier fand ich eine ähnliche interne Organisation vor wie seinerzeit im Fraktionsstab: Ein Jurist unter Ökonomen, Politologen und Soziologen.
Seit dem März 2000 arbeite ich für die Justizbehörde.
Welches eigene Bild haben Sie von den Abläufen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften?
Auf diese Frage will ich zunächst etwas Persönliches antworten: Ich bin wenn man so will in Gerichtssälen groß geworden. Meine Eltern bringen eine teuflische Mischung mit halb Pädagogik, halb Juristerei, also der Vater Richter und die Mutter Lehrerin. Ich habe das als Kind sehr intensiv miterlebt - bis hin zu Tagen in Gerichtssälen, weil nämlich meine Mutter in der Schule war und ich irgendwo untergebracht werden musste und dann an Verhandlungen schon in sehr frühem Kindesalter als Zuschauer teilnehmen durfte. Angehörige der Justiz gingen bei uns ein und aus, waren Freunde meiner Eltern, so dass ich im Prinzip meine ganze Kindheit und Jugend eine sehr konkrete und private Vorstellung davon erhalten habe, was in der Justiz läuft.
Dann folgte die Ausbildungszeit eines Juristen, zu der ich nicht viel sagen muss. Als Verwaltungsjurist war ich sehr schnell in der Situation, auch Justizkunde zu sein. In den ersten Jahren meiner Berufstätigkeit in der Hamburger Verwaltung bin ich beim Verwaltungsgericht mit Baurechtsgeschichten aus dem Bezirksamt Altona, mit Deichangelegenheiten aus der Baubehörde und vielen anderen Dingen ein- und ausgegangen.
In der Zeit seit 1994 im Senatsamt für den Verwaltungsdienst und auch später in der Finanzbehörde habe ich mir immer sehr große Mühe gegeben, über die Dinge nicht nur nach Aktenlage zu urteilen, sondern mir ein Bild von der Wirklichkeit zu machen. Ich bin damals selbst mit meinen Mitarbeitern losgezogen und wir haben uns die Gerichte und Anstalten angeguckt. Im Ergebnis habe ich bei Weitem nicht so ein differenziertes Bild von der Justiz wie das einer mit "Stallgeruch" hat. Aber ich denke, dass ich dabei bin, mir ein Bild zu machen und schon immer eine differenzierte Sichtweise hatte. Ich bin in diesem Punkte noch ein Lernender, was die Entscheidung nicht leicht erleichtert haben dürfte, mich auf diesen Posten zu holen, zumal es in der Geschichte der Justizbehörde das erste Mal ist, dass im Amt für Allgemeine Verwaltung ein Mensch die Verantwortung übernimmt, der nicht aus der Justiz kommt.
Welchen auch finanzpolitischen Stellenwert hat für Sie die Justiz? Teilen Sie die in politischen Kreisen kursierende Sentenz, die "Gerichte sollten nicht so tun, als seien sie wichtiger als Schulen und die Polizei."
Früher habe ich den sogenannten Assistenzeinheiten des Senats angehört, die gerne in die Rolle des bösen Buben gedrängt werden, wenn es um Ressourcendinge geht. Ich selbst bin nie in diese Rolle geschlüpft. Ich hab nicht den Ehrgeiz entwickelt, der größte Rationalisierer der Finanzbehörde zu sein, sondern habe mich eher darum bemüht, das zu sehen, was die Justiz selbst umtreibt. Das tue ich natürlich noch stärker in meiner augenblicklichen Rolle. Ich glaube nicht, dass das Amt für Allgemeine Verwaltung der Justizbehörde gut daran tut, auf Teufel komm raus nur an die Konsolidierung zu denken. Das geht schlicht und ergreifend nicht und führt zu keinem Ergebnis. Natürlich tragen wir die Konsolidierungslasten. Daran kommen wir im Augenblick nicht vorbei. Es gibt eine politische Beschlusslage, der sich auch die Justiz beugen muss. Nur die Art und Weise, wie man damit umgeht, da kann und wird sich die Justizbehörde - also auch ich nicht - der Verantwortung begeben und fordern: "Gerichte seht man zu, wie ihr das hinkriegt", sondern muss sich der außerordentlich schmerzhaften Diskussion stellen.
Man kann in dieser ganzen Diskussion nicht nur gewinnen. Bei Fragen der Lastenverteilung gibt es immer Gewinner und Verlierer. Allerdings weiß ich auch, dass die deutsche Justiz wenn man sich so in Europa umschaut alles andere als das Schlusslicht ist, sondern, was die Richterdichte, ihre Qualität und ihr öffentliches Ansehen angeht, in einer ganz anderen Situation ist, als es beispielsweise in Italien der Fall ist, woher meine Frau stammt. Es es ist aber auch müßig, nur über den Tellerrand hinauszugucken. Es ist immer die eigene Suppe, die man auslöffeln muss. Und da sind wir schlicht und ergreifend in einer Situation, wo nach 7 Jahren Konsolidierung Matthiae am Letzten ist. Zwar ist nach 2001 Schluss mit der Konsolidierung jedenfalls im Bereich der Personalkosten. Ich wäre aber ein schlechter Prophet und ein erbärmlicher Beauftragter für den Haushalt, wenn ich jetzt goldene Zeiten versprechen würde. Das wären nur Luftschlösser. Ich glaube zwar, dass wir wieder in Fahrt kommen, aber zäh und mühsam.
Wie man in dieser Zeit des Mangels mit den knappen Resourcen umgeht, zeigt das, was die Justiz gemeinsam mit der Behörde in dem Projekt Justiz 2000 erreicht hat. Dass man nämlich die Kreativität und auch die Selbstheilungskräfte der Justiz nutzt, um aus dem Desaster das Beste zu machen. In der Modernisierungsdiskussion wird gerne betont, dass Modernisierung und Konsolidierung zwei Seiten einer Medaille sind. Ich möchte es noch etwas zuspitzen: Das eine geht offenbar nicht ohne das andere, und niemand wäre auf die Idee gekommen, so ein breit angelegtes Reformprojekt auf zu legen, wenn nicht echter Leidensdruck da gewesen wäre. Das, was im Zusammenhang mit dem Projekt Justiz 2000 in der Justiz insgesamt erreicht worden ist, lässt die Allgemeine Verwaltung vor Neid erblassen. Das Projekt ist kein dirigistisches Projekt der Justizbehörde. Das eigentliche Projektgeschehen beobachten wir in der Justiz.
Zum zweiten Teil der Frage: Das ist schon eine Frage des Selbstbewusstseins: Wo wir sind, ist oben! Natürlich muss sich die Justiz immer darüber im Klaren sein, in welchem gesellschaftlichen Kontext sie steht. Das Thema Jugendkriminalität beginnt im Bereich der Familie und der Schule, wird, wenn es eskaliert, zum Polizeithema, und landet im schlimmsten Fall über die Staatsanwaltschaft beim Jugendrichter. Die Diskussion um den Bericht der Enquete-Kommission zur Jugendkriminalität hat deutlich gemacht, dass die Justiz allen Grund hat, selbstbewusst zu sein, denn das, was das Bezirksjugendgericht in diesem Zusammenhang leistet, ist anerkannter Maßen ganz beachtlich.
Was macht für Sie die Qualität richterlicher Arbeit aus?
Bei Fragen der Qualität richterlicher Arbeit ist die Kundensicht wichtig, aber sicher nicht allein entscheidend. Wenn es mir auf eine schnelle Entscheidung ankommt, habe ich wenig Interesse an besonders kunstvollen Entscheidungsgründen. In einem komplizierten Fall wünsche ich mir vielleicht das intensive Gespräch mit dem Richter. Die Naturalpartei wünscht sich ein auch für Rechtslaien verständliches Urteil.
Ich werde mich in keiner Weise irgendwelchen Polemiken anschließen, die traditionell in der Welt sind. Das Oberlandesgericht und das Landgericht haben ein Kundenbefragung bei Hamburger Anwältinnen und Anwälten durchgeführt. Das Ergebnis ist noch nicht veröffentlicht, weil die Auswertung noch nicht abgeschlossen ist. Es sei an dieser Stelle aber schon einmal erwähnt, dass es bei allen Hochs und Tiefs im Einzelnen eine insgesamt positive Grundbewertung gibt.
Jetzt wird man genau begucken müssen, was den Besten auszeichnet und was die Qualität ausmacht, um dann zu versuchen, vom Besten zu lernen. Wo läuft was gut? Was können wir von anderen übernehmen?
Im übrigen möchte ich aber sagen - nachdem es auch gerade in der jüngsten Zeit wieder unschöne Diskussionen dazu gegeben hat: Urteilsschelte in dem Sinne, dass ein Gericht schlecht sei, weil es nicht so entschieden hat, wie es politisch oder öffentlich opportun ist, darf es nicht geben. Qualität der richterlichen Arbeit hat nichts, aber auch gar nichts mit Wohlgefälligkeit zu tun.
Das Verwaltungsgericht bietet ein Forum im Internet, in dem jeder die Möglichkeit hat, sich die dortige Rechtsprechung anzusehen. So etwas könnte ich mir natürlich auch für die ordentliche Gerichtsbarkeit vorstellen, weil da das Spektrum fast noch breiter ist, und die Themen vielfach näher an dem dran sind, was der Mensch in seinem Alltag erlebt.
Bei dem Einsatz neuer Medien, also der Verfügbarkeit von Informationen und der Vermittlung der Qualität juristischer Arbeit stehen wir am Anfang. Das reicht von punktuellen Angeboten wie dem genannten des Verwaltungsgerichts über die Angebote der Richtervereinigungen bis zum Angebot der Justizbehörde. Es muss, denke ich, mittelfristig so etwas geben wie ein Portal für die Rechtsanwender und vielleicht auch die Abnehmer der Justizleistungen dieser Stadt, um sich nicht wichtige Informationen von Irgendwo zusammen suchen zu müssen.
Elektronischer Rechtsverkehr, wie er beispielhaft im Finanzgericht mit hohem persönlichen Einsatz getestet wird, digitale Aktenverwaltung und ähnliches mehr: Das ist die Zukunft. Die Informationstechnik wird viele Arbeitsbereiche und Geschäftsprozesse sowie die Kooperation mit den gerichtlichen Assistenzeinheiten in den nächsten Jahren sehr verändern. Ich bin überzeugt, dass dort noch große Potenziale schlummern.
Man darf sich nichts vormachen: In Anbetracht dessen, was in den letzten Jahren gespart worden ist, befinden wir uns in einer schwierigen Lage. Auf die Frage nach der Anforderungsgerechtigkeit gibt es viele Antworten - je nach der Perspektive des Befragten. Ich schließe mich der Feststellung vieler in der Justiz Verantwortlichen an, dass es Bereiche gibt, die so heiß gelaufen sind, dass an einigen Stellen möglicherweise auch der Kolbenfresser droht. Auf der anderen Seite müssen wir uns der nüchternen Tatsache stellen, dass die bisher für die Stadt erfolgreich verlaufene Konsolidierung wohl nur über die phantasielose Quotierung funktionieren konnte und dass sie eben auch noch nicht ganz zu Ende ist. Der nüchternen Feststellung allein, dass unsere personelle Ausstattung suboptimal ist, folgen keine elementaren Konsequenzen. Es gibt niemanden in dieser Stadt, der der Justiz mehr Personal verspricht oder gibt. Deshalb sind wir zunächst darauf angewiesen, weiter zu arbeiten an dem Thema Geschäftsprozessoptimierung und einem optimalen Ressourceneinsatz.
Welche Besonderheiten gegenüber dem Neuen Steuerungsmodell der Verwaltung sehen Sie bei der weiteren Verfolgung der Strukturreform für den Bereich der Justiz?
Das Neue Steuerungsmodell ist, die Frage sagt es, für die Kommunalverwaltung entwickelt worden und dann mit erheblichem Aufwand für die stadtstaatliche Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg übersetzt und dort mit Erfolg eingesetzt worden. Vielleicht hätte beim Einstieg in die Diskussion mit der Justiz stärker klar machen müssen, dass viele Ziele, Techniken und Begrifflichkeiten der Verbetriebswirtschaftlichung der Verwaltung auf die Justiz nicht oder nur bedingt passen und mit einer ganz besonderen Sensibilität gehandhabt werden müssen.
Dies gilt insbesondere für das Thema Controlling: Wir sind da in einer Situation, in der wir - flankiert durch die Budgetierung der Gerichte - einen Ansatz verfolgen, die Gerichte und Staatsanwaltschaften in eine größtmögliche Selbständigkeit zu entlassen, was die Geld- und Personalwirtschaft betrifft. und der Justiz dann gleichzeitig alle Möglichkeiten zu eröffnen, diese Prozesse selbständig in den Griff zu bekommen und im Griff zu behalten. Das Projekt "Pro Budget" ist als ein Projekt des Amtsgerichts ein sehr fortgeschrittenes Beispiel.
Die abstrakte Diskussion darüber, ob privatwirtschaftlich entwickeltes und in Verwaltungsbetriebswirtschaft gegossenes Gedankengut überhaupt justizkompatibel ist, finde ich spannend, halte es aber für müßig, noch weitere Meter in juristischen Bibliotheken zu dieser Frage vollzuschreiben. Ich verfolge diese Diskussion mit Interesse und großer Aufmerksamkeit, stelle aber fest, dass sie immer weniger praktische Relevanz hat. Mich interessieren im Augenblick konkrete Themen wie das bereits zitierte ProBudget oder Personalentwicklungsfragen.
Angesprochen auf die Begrifflichkeiten des Neuen Steuerungsmodells kann ich allerdings ganz ehrlich und unumwunden sagen, dass ich nicht nur, aber besonders in Hinblick auf die Justiz die Bauchschmerzen vieler teile. Ich weiß aber, dass man sich irgendwann auf einen fachlichen Begriffskanon verständigen muss, um nicht in den Zustand babylonischer Sprachvielfalt zu verfallen.
Welche Kosten sind bisher für Justiz 2000 angefallen? Welche weiteren Ausgaben sind vorgesehen?
Die Kosten des Projekts Justiz 2000 lassen sich nicht auf die Einrichtung des Koordinierungsstabes reduzieren. Hinter Justiz 2000 steht die gesamte Hamburger Justiz mit all den Menschen, die auf den unterschiedlichsten Ebenen in Lenkungsgruppen, in Arbeitsgruppen und in Projektgruppen mitgewirkt haben. Die Reorganisation der Staatsanwaltschaft gehört genauso dazu wie die Segmentierung des Amtsgerichts, also beides Riesenprojekte, deren Haushaltsansätze man nachlesen kann. Was also Justiz 2000 insgesamt gekostet hat, ist schwer zu sagen. Ein Paar Schuhe würde zudem erst daraus, wenn man die Leistungsseite mit in die Betrachtung einbezöge. Und da denke ich, kämen wir auch zu einer guten Bilanz im Verhältnis zum Einsatz, der gefahren wurde.
Halten Sie eine Selbstverwaltung der Justiz für denkbar und/oder wünschenswert? In welchem Umfang und in welcher Ausgestaltung können Sie sich diese Selbstverwaltung vorstellen?
Die Hamburger Gerichte und Staatsanwaltschaften sind durch die Dezentralisierung im Länder-Vergleich sehr weit vorangekommen in der Frage der Selbstverwaltung. Damit ist aber nicht die Etathoheit gemeint. Nach wie vor werden die Ansätze der Justiz, über die Justizbehörde und den Senat gebündelt an die Bürgerschaft heran getragen. Ob wir in der Konsequenz so weit gehen werden oder gehen sollten, dass die Gerichte sich im Sinne eigener Etathoheit ganz verselbständigen, haben wir zuletzt auf einer Strategietagung Anfang April auch mit den Gerichtspräsidentinnen, den -präsidenten und der Behördenleitung diskutiert. Persönlich hätte ich große Zweifel, ob es Zeiten harter Verteilungskämpfe zwischen den Ressorts allein schon unter verteilungsstrategischen Gesichtspunkten klug wäre, die Interessen der Justiz gegenüber dem Parlament zu entbündeln. Da gibt es wie nicht anders zu erwarten viele unterschiedliche Auffassungen - aber noch keinen Königsweg.
Was aber das Thema Selbstverwaltung im engeren Sinne angeht, nämlich im Binnenverhältnis zwischen der Justizbehörde und der Justiz sind wir sicher noch nicht am Ende des Weges angekommen, haben aber in Sachen Budgetierung bereits einen großen Fortschritt erreicht.
Das Projekt "Justiz 2000" - nomen est omen - endet tatsächlich zum Jahresende. Es wird aus diesem Anlass am 28. November eine große Abschlussveranstaltung geben, auf der ein Forum für die Hamburger Justiz entsteht, auf dem sich alle präsentieren können. Das wird ein dichter und sehr bunter Tag mit einem "Marktplatz" in der Grundbuchhalle und einem Veranstaltungsteil im Rathaus mit vielen Gästen und großer Öffentlichkeit. Eingeladen ist die gesamte Justiz, alle Justizinteressierten und alle Justizkunden der Stadt.
Wann es dann wieder Hamburger Justiztage im eigentlichen Sinne geben wird, dazu kann ich leider im Augenblick nichts sagen.
Welche Vorstellungen verbinden Sie mit "Kultur & Justiz"?
Zu Kultur und Justiz sage ich natürlich besonders gerne etwas, zumal ja Ihr Dienstzimmer, liebe Frau Wiedemann, deutlich macht, aus welcher Ecke die Frage kommt. Ich finde es toll, was in Hamburg so unter dem Label "Justiz und Kultur" an Aktivitäten gibt. Dann möchte ich erwähnen - und vielleicht auch um Interessentinnen und Interessenten neugierig zu machen -, dass ich mit Pausen seit vielen Jahren im Hamburgischen Juristenorchester mittue und dort mit großer Begeisterung die Bratsche streiche. In unserem Streichquartett sitzt eine Staatsanwältin am Cello und die Primgeigerin hat gerade die Große Juristische Staatsprüfung hinter sich gebracht.
Ach ja, und dann gibt es noch die von mir zutiefst bewunderten und beneideten Künstlerjuristen wie Karl Böhm. Ich bin allerdings schon glücklich, ein leidlicher Jurist mit Spaß und Interesse an der Kunst zu sein.
Johannes Düwel