Bd. II., Hamburg 1999 Herausgegeben von Jan Albers, Klaus Asche, Jürgen Gündisch, H.-J. Seeler und Werner Thieme, 486 S., 68,-- DM
Es ist eine ebenso reizvolle wie missliche Aufgabe, ein Buch von knapp 500 Seiten in nur wenigen Spalten vorzustellen. Diese Kürze würde nur für einen Verriss genügen, der allerdings den Vorzug hätte, sadistische Triebe eines Rezensenten zu stillen. Aber dieser Ausweg ist mir hier durch Qualität, Vielfalt und sachlichen Reichtum des vorliegenden Werks verschlossen. So bleibt mir nur die Berufung auf den "Mut zur Lücke", das Herausgreifen ganz weniger, von subjektiver Beliebigkeit bestimmter Einzelheiten, Aspekte oder Zitate, denen freilich ein paar allgemein einführende Worte vorangestellt werden müssen:
1. Der vorliegende ist der Folgeband eines 1994 erschienenen Teils, dessen Substanz am schnellsten durch Mitteilung des Inhaltsverzeichnisses anzudeuten ist:
Henning Voscherau,
Hamburg – Stadtstaat oder nur Staat?
Kai-Michael Hingst / Götz Landwehr,
Hamburg und das Reich
Rainer Postel,
Stadtrecht – Burspraken – Rezesse
Hans-Joachim Seeler
Hamburgs Rolle in Europa
Dietrich Katzenstein:,
Die Kirche und ihr Recht in Hamburg
Diether Haas:,
Das Syndikat
Hans-Peter Strenge,
Verwaltung und Bürger in Hamburg
Jan Albers,
Das Hanseatische Oberlandesgericht
Jürgen Gündisch,
Der Richterwahlausschuss
Karin Wiedemann,
Gerichtsgebäude in Hamburg
Johannes Trappe,
Schiedsgerichtsbarkeit
Gerhard Strate,
Der einundzwanzigste Tag des Mariotti-Prozesses
Arno Weinert,
Der moderne Strafvollzug in Hamburg
Dieter Rabe,
Seerecht in Hamburg
Gerhard Ahrens,
Eine Bank ohne Eigentümer: Die Hamburgische Sparkasse
Gerrit Winter,
Die Assecuranz in Hamburg
Martin Willich / Wolfgang Nick,,
Hamburg als Platz der Medien
Klaus Asche,
Hamburger Bier
Peter Schulz,
Juristen als Politiker
Klaus Landry,
Die Hamburger Advokaten
Arnold Sieveking,
Das Notariat in Hamburg
Gisela Wild,
Frauen in der Rechtspflege
Wolfgang Hoffmann-Riem / Werner Thieme,
Die beiden Juristischen Fachbereiche der Universität Hamburg
Jürgen Daniels,
Juristische Vereinigungen in Hamburg
Hans-Peter Ipsen,
Professoren der Universität Hamburg
Hans-Joachim Kurland,
Richter: Ernst Friedrich Sieveking – Max Mittelstein – Herbert Ruscheweyh
Gerhard Commichau,
Rechtsanwälte: Isaac Wolffson – Emil v. Sauer – Werner Johannes
Deuchler
Herbert Fischer-Menshausen,
Hans Harder Biermann-Rathjen
Herbert Fischer-Menshausen,
Leo Lippmann
Fritz Manasse:,
Gabriel Riesser
Hans Fahning,
Herbert Weichmann.
Man sieht: Da schreiben nicht nur einige stadtbekannte, sondern auch solche Autoren, die Ihnen durch Amt, Beruf oder Freundschaft verbunden sind oder vertraut waren. Sofern es also nicht schon die angezeigten Themen zuwege bringen: Die Neugier, was der oder die dort schreiben: das allein schon mag zur Lektüre anregen!
Band II knüpft bei seinem Vorläufer an, wie auch die Gliederung zeigt, indem er die alten Themen erweitert und vertieft:
Hamburgs Rechts-, Sozial- und Kulturgeschichte bis zur Gegenwart, Hamburgs Wirtschaft und Recht, und auch diesmal wieder viele "Lebensbilder":
Seeler, Hans Joachim,
Die Oberalten
Thieme, Werner,
Konstitutionalismus in Hamburg – die Verfassung von 1860
Westphal, Jürgen,
Hamburg und der Norddeutsche Raum
David, Klaus,
Die Stellung der Bürgerschafts-abgeordneten nach der Verfassungsreform
von 1996
Bull, Hans Peter,
Das zentrale Verwaltungsmanagement in Hamburg
Raloff, Helmut,
Das hamburgische Bezirksverwaltungsgesetz – Ein neues Gesetz mit
den alten Problemen und neuen dazu
Ahrens, Annemarie,
Auswahl für den höheren Verwaltungsdienst in Hamburg oder
die "Dritte Staatsprüfung"
Albers, Jan,
Hamburger Verwaltungsgerichtsbarkeit von 1922 bis 1948
Lindloh, Klaus,
Die Kammern für Handelssachen des Landgerichts Hamburg
Johannsen, Katharina,
Die Kammer für Pressesachen des Landgerichts Hamburg
Hoppe, Klaus,
Gedanken über Bürgerinitiativen im Verfahren vor Verwaltungsgerichten
Metzinger, Joachim,
Die hamburgischen Amtsgerichte 1986 bis 1998
Betz, Joachim,
Berufsanfang für Juristen in Hamburg - I. Richter und Staatsanwälte
Scharmer, Hartmut,
Berufsanfang für Juristen in Hamburg - II. Rechtsanwälte
Gisza, Heinz, Maercker, Herbert,
Verwaltung und Planung der Infrastruktur des Hamburger Hafens
Friedrich, Frank,
Der Hamburger Freihafen in der Europäischen Gemeinschaft
Vogel, Hanspeter,
Institutionalisierte Schiedsgerichts-barkeit
Schade, Günter, Gerhard, Sven,
Die Versicherungsbörse
Gündisch, Jürgen,
Der trockene Hafen in Fuhlsbüttel – Rechtsprobleme eines Flughafens
in der Großstadt
Mainusch, Michael,
Hochwasserschutz in Hamburg
Kilzer, Lutz,
Kulturverwaltung in Hamburg
Flitner, Hugbert,
Hamburg als Stadt der Mäzene, Stifter und Sponsoren
Karpen, Ulrich,
Das Erzbistum Hamburg
Weise, Thomas,
Die Universität der Bundeswehr Hamburg
Herres, Volker, Plog, Jobst,
Die NDR-Krise. Der Staatsvertrag
wird gekündigt
Haeckel, Helmut,
Die öffentliche Kontrolle
des privaten Rundfunks
Landwehr, Götz, Kraus, Otto,
Die Joachim Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften
Dreyer, Karl-Joachim,
Amandus August Abendroth
Schmidt, Karsten,
Gerd Bucerius
Pietzcker, Rolf,
Kurt Bussmann
Nicolaysen, Gert,
Hans Peter Ipsen
Kurland, Hans Joachim,
Wilhelm Kiesselbach – der hanseatische Präsident, in dunklen
Tagen der Justiz und Deutschlands zu Ehren
Deutsch, Heide,
Clara Klabunde
Woesthoff, Indina, Gustav Schiefler –
"Als Preuße für Hamburg und als Jurist für die schönen
Künste"
Asche, Klaus,
Johannes Versmann.
2. "Goldgrund und Himmelslicht": so lautete der Titel einer besonders schönen Sonderausstellung über die vorreformatorische Kunst Hamburgs, die kürzlich (mehrfach verlängert!) in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war. Dazu passt – in seiner historischen Anknüpfung beim Ende der katholischen Zeit in Hamburg – gleich der erste Beitrag über die "Oberalten" (zu denen uns – wie Seeler wohl zu Recht meint – allenfalls noch die "Oberaltenallee" einfällt). Wie die vorreformatorischen Brüderschaften der "Overoldelude" mit der Bugenhagen’schen Reformation 1529 zu einem maßgeblichen (zugleich weltlichen) Verfassungsorgang der Stadt geworden sind und wie Geistliches und Weltliches (deren Trennung uns heute so selbstverständlich erscheint) im engen, oft widersprüchlichen Gemenge lagen: das und vieles mehr zum Werden Hamburgs findet sich bei Seeler auf knappem Raum. ...
Dann wendet sich Teil I bald der Gegenwart zu – mit höchst lesenswerten Beiträgen. Was soll man herausgreifen?
"Hat die Bürgerschaft eine Reform des Abgeordnetenstatus‘ beschlossen, und ihre Mitglieder merken davon nicht viel mehr, als dass sie etwas mehr Geld im Portemonnaie haben und etwas früher zur Arbeit erscheinen müssen, nämlich um 15 Uhr statt um 16 Uhr, dem ehemals üblichen Beginn der Bürgerschaftssitzungen?", leitet Klaus David seine kritischen Bemerkungen zur Hamburger Parlamentsreform 1996 ein. Wem eine vielleicht nur noch dunkle Erinnerung daran vorschwebt, dass man Anfang der 90-er Jahre über unser "Feierabendparlament", über Mandat und Berufstätigkeit der Bürgerschaftsabgeordneten und ihre angemessene Alimentierung heftig gestritten hatte, und dass eine "Enquêtekommission Parlamentsreform" den gordischen Knoten hatte lösen sollen, dem wird hier auf sieben Seiten nachgeholfen.
Wer – um das Thema zu wechseln – verfiele auf die Idee, unsere "Dritte Staatsprüfung" als Gabeltest zu apostrophieren? So sagt man aber im Hamburger höheren Verwaltungsdienst, weil das hochnotpeinliche Exerzitium dort am zweiten und letzten Tag von einem – natürlich ganz zwanglosen !! – Mittagessen unterbrochen wird, das Prüfer und Kandidaten gemeinsam (auch aufseiten der letzteren ganz unbefangen?) im Ratsweinkeller einnehmen, unter (möglichst) lebhaften Gesprächen. Abschließend erfährt man bei Annemarie Ahrens, dass manche Hamburg VIP’s erfolgreich durch dieses Nadelöhr gedrungen sind, z.B. die nachmaligen Senatoren Wrocklage und Ehlers sowie Henning Voscherau, der bekanntlich (gabeltest-beflügelt?) noch etwas höher geklommen war. ...
Mit dem Kapitel "Rechtspflege" fange ich lieber gar nicht erst an, denn das Aufhören würde nur umso schwerer: Hier wird auch schon im Inhaltsverzeichnis jeder auf Anhieb sein persönliches Interesse, vielleicht sein ureigenes Tätigkeitsfeld wiederfinden – unterschiedlich gespiegelt: berichtet, gedeutet, bewertet. Ob man zustimmen oder Einwürfe machen möchte: die Lektüre lohnt immer. Es gibt auch Themen, die sich durch unterschiedliche Beiträge – sozusagen quer – durch das Buch ziehen. So wird das den Lesern der MHR vertraute Neue Steuerungsmodell vorgestellt: für die Verwaltung von Bull (übrigens nicht unkritisch: vielleicht sei hier vieles nicht mehr als nur eine Mode: "Wer die Entwicklung über längere Zeiträume verfolgt, wird zur Skepsis neigen, was die Originalität und Wirkungskraft neuester Konzepte und Rezepte angeht ..."), für das Amtsgericht Hamburg von dessen früheren Präsidenten Metzinger (dort insbesondere: Justiz- und Gerichtsmanagement) – abschließend mit einem kurzen, wohlbegründet negativen Urteil über das Projekt "Gerichtsmanager". Nicht neu im Ergebnis, hatten doch alle Hamburger Gerichtspräsidenten ihre Daumen schon nach unten gedreht. Aber besser, die berühmten Gänse des Kapitols schnattern laut und wiederholt, als dass sie die Schnäbel geschlossen hielten!
Teil III – Wirtschaft und Recht – steht im doppelten Sinne in der Mitte und im Mittelpunkt der 5. Teile des Buches und hängt besonders eng zusammen mit der gleichen Ziffer des ersten Bandes. Für Aphorismen also ungeeignet und dem Studium empfohlen! Gleichwohl lässt sich, alles zusammenfassend (weil sich das In-, Mit- und Gegeneinander von Recht und Wirtschaft schwerlich hübscher andeuten lässt) der Schlusssatz des instruktiven Beitrages von Jürgen Gündisch über den "trockenen Hafen in Fuhlsbüttel" zitieren: - "Der Flug in den Himmel ist mit Rechtsnormen und Gerichtsentscheidungen gepflastert." ... Und dass der o.e. Bürgermeister, indem er die unerlässlich – notwendigen Zügel, die das Recht der Wirtschaft anlegt, zu einem Strick für die Verwaltungsgerichte zusammendrehen wollte, weiland zur falschen Schlacht geblasen hat: das steht allenthalben sozusagen zwischen den Zeilen (vgl. auch MHR 1995 Heft 2 S. 10 ff: Der Bürgermeister und die Nein-Sager).
Im Teil IV – Recht und Kultur – werden auf ca. 120 Seiten eine Vielfalt von Themen und Gegenständen vorgestellt: als Hamburgs Gegenwart, und in ihrer Gestalt als Teil der Stadtgeschichte. Überhaupt ist die historische Tiefendimension (zum großen Vorteil des Werks) dort durchweg - mehr oder weniger ausgesprochen - gegenwärtig.
Dann schließlich Teil V: die Lebensbilder, die dem jeweils besonderen Band zwischen Autor und Portraitierten (kraft Literaturstudiums oder persönlich – unmittelbarer Vertrautheit) ihre besondere Frische und Farbe verdanken.
Alles in allem: Ein juristisches und zugleich viel weiter greifendes Hamburg – Buch: für Wochenenden und Mußestunden, dessen vielfach knapp – prägnante Beiträge aber auch wie für rasche Lektüre geschrieben scheinen: für die Bahnstrecke zwischen Bergedorf und Dammtor z.B.. Wenn das keine Empfehlung ist!
Günter Bertram