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Etwas fehlte noch

oder: NSM eingeführt, jetzt Qualität managen


Eine ganze Gruppe von Veranstaltern, führend die AsJ, hatte (Ende Januar 2000) zum Wochenendseminar "Justiz in der Modernisierungsfalle - Zur Bedeutung der Qualitätsdiskussion im Reformprozeß " geladen - und die üblichen Verdächtigen, so Führungspersonal der Justizbehörde in Kompaniestärke und verdiente Reformkräfte der Gerichte, aber auch weitere Interessenten, fast mehr Anwälte als Richter, waren erschienen.

Einige Vorstandsmitglieder unseres Richtervereins hatten Funktionen als Berichterstatter der Arbeitsgruppen übernommen, der Richterverein selbst hatte sich indes an der Veranstaltung formal nicht beteiligt. Das war auch gut so. Der Verein wäre sonst in die Mithaftung genommen für eine Ergebnissammlung, deren Teilrichtigkeit weit durch ihren Gehalt an Heuchelei und strategischer Schädlichkeit überwogen wird.

Abstinenz ist aber nicht auf Dauer angezeigt. Das Seminar hat vielmehr den Richterverein nachhaltig unter Zugzwang gesetzt. VPrLG Öhlrich erklärte: "Die Diskussion muß von innen geführt werden; die Richterschaft muß die Herrschaft über die Diskussion erringen, die Meinungsführerschaft übernehmen." Recht hat er - man darf aber gespannt sein, wie das, u.a. im Richterverein, umgesetzt wird.

Auch K-Stab-Leiter Schönfelder machte deutlich, daß jetzt das Thema Qualität an der Reihe sei und die Richterschaft hierzu ihren Beitrag zu leisten habe. Das Neue Steuerungsmodell, - oder so etwas Ähnliches, auf Begriffen solle man nicht herumreiten - sei bekanntlich eingeführt. Inbesondere das Amtsgericht tue sich dabei in der Kosten- und Leistungsrechnung mit seinem eigenen, von der Justizbehörde unbeeinflußten Ansatz ProBudget hervor. Nun habe die Richterschaft mit dem Aufgreifen des Qualitätsthemas die Möglichkeit, aber auch die Pflicht, der nur quantitativen, ökonomischen Ausrichtung des neuen Justizmanagements entgegenzuwirken.

Soll man lachen, weinen oder sich abwenden und still seine Arbeit tun?

Wer die Sachaussagen, mehr noch die Atmosphäre des Seminars aufgenommen hat, und richterlich arbeitet, kann darauf nur antworten: Brave Stillarbeit wird nicht reichen. Auch für den einfachen Spruchrichter gilt: das Datenerfassungs- und Steuerungsnetz wird immer dichter, der Katalog neuer Pflichten wird immer voller.

Eine Ahnung hiervon mag ein Überblick über einige der angeblich die Erörterungen in den 5 Arbeitsgruppen wiederspiegelnden Thesenpapiere vermitteln, von denen manche dementsprechend sehr schnell den Weg auf die "homepage" der Justizbehörde gefunden haben.

Zu ihrer dokumentarischen Qualität ist freilich anzumerken, daß so manches Arbeitsgruppenmitglied Stein und Bein schwor, daß die berichteten Aussagen z. T. gar nicht gefallen, z. T. nicht ansatzweise konsensfähig gewesen waren. Besonders überrascht waren etwa Mitglieder der Arbeitsgruppe 1 von der mündlichen Darstellung des Berichterstatters VPrLG Öhlrich, wonach man angeblich eine Kosten- und Leistungsrechnung auf der Basis von SAP/ R 3 nach der Art von ProBudget für einen begrüßenswerten Ansatz halte (eine Einschätzung, an der übrigens der Redner selbst nach der mittlerweile wahrgenommenen Praxisvorführung hoffentlich nicht mehr festhält). Schlicht falsch war die Darstellung der (künftigen) VPrinOLG Nöhre, Berichterstatterin aus der AG 3, die als Teil der Thesen der Arbeitsgruppen aufführte: "Neue Instrumente, die sich in anderen Organisationen bewährt haben, müssen justizspezifisch angepaßt und weiter erprobt werden. Zu denken ist an: Benchmarking - Qualitätszirkel - periodische, standardisierte Mitarbeitergespräche - Supervision / Peer Review - Befragungen - Periodische Rechenschaftsberichte - Fehlerursachenforschung". Bei diesem Blick in das Nähkästchen des Qualitätsmanagers handelt es sich gerade nicht um ein Ergebnis der Gruppendiskussion, sondern um ein Zitat aus den Ausführungen eines der Referenten (Prof. Röhl), zu deren Erörterung es aus Zeitmangel in der Gruppe nicht gekommen war.

Transparenter, dafür aber nicht minder diskussionsbedürftig waren manche persönliche Kommentare von Berichterstattern. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Hinweis von PrAG Dr. Raabe im Anschluß an die folgende These aus der Arbeitsgruppe 2: "Zwischen einzelnen Qualitätsmerkmalen bestehen erhebliche Zielkonflikte. Schnelligkeit und Gründlichkeit, juristische Professionalität und Verständlichkeit für den Bürger, Effektivität der Beweisaufnahme und Kostenaufwand, Erledigungsart und Akzeptanz bei den Betroffenen stehen sich z.T. im Wege. Erforderlich ist ein seriöser Diskurs über eine Schwerpunktsetzung." Hierzu berichtete der ehemalige Richtervereinsvorsitzende von einem Amtsrichter, mit dem er sich kürzlich über die steigende Arbeitslast unterhalten habe. Dieser habe erklärt, er wolle den jetzigen Qualitätsstandard nicht mehr unterschreiten, weitere Fälle müßten dann eben liegenbleiben. Er, Dr. Raabe, habe seine Zweifel, ob das so richtig sei; man müsse sich doch überlegen, ob man als Amtsrichter nicht "so eine Art Friedensrichter" sei. Soll das heißen, zwecks schnellerer Erledigung solle man nicht zu tief in den Akten stecken, nicht zu eng am Gesetz kleben, lieber den Parteien sichtbar das weise Ohr leihen, um dann ihren Streit souverän zu entscheiden?

Wohlgemerkt: Es wäre unfair, die Redner an dem jeweiligen Wortlaut ihrer Äußerungen festzuhalten; interessant für alle Kollegen ist aber die Tendenz, der Vorstoß in Bereiche, die in Richterkreisen bislang als tabu gegolten haben. Was zunächst als Meinung nur angedeutet, "riskiert" wird, verfestigt sich sehr schnell, wenn die Kritik oder auch nur die Überprüfung der Stringenz ausbleibt. Es geht um die Arbeit an einem Klima, in dem endlich keiner mehr wagen wird, an früher völlig unstreitige Ansichten davon zu erinnern, wieweit man ohne Gesetz den Richtern hineinreden darf - und in dem auch schlichte Tatsachen nicht mehr erwähnt werden dürfen. Dieses Klima gedieh an jenem Wochenende schon ganz beachtlich. RiLG Hirth etwa stieß bereits auf gesteigerten Unwillen, als er in der Abschlußdiskussion geltend machte, Qualitätssteigerung in der richterlichen Kerntätigkeit sei nicht zum Nulltarif zu haben und vorrechnete, welche Steigerung der Arbeitszeit mit der angeblich gewünschten Qualitätsverbesserung in Sachen Tranparenz und Akzeptanz der Entscheidung durch ein um wenige Minuten je Fall verlängertes Rechtsgespräch mit den Beteiligten verbunden wäre. Ähnlich erging es VRiOLG Dr. Büchel, der berichtete, seit seinem Wechsel aus der Justizbehörde an das OLG habe er bislang vergeblich nach jenen "Binnenreserven" der Gerichte gefahndet, welche so gerne zum Beleg ihrer Reformverpflichtung herangezogen werden. Quittiert wurde das durch die Ermahnung durch Herrn Schönfelder, mit Larmoyanz komme man nicht weiter. Auch der persönliche Referent des Ersten Bürgermeisters, Pörksen, ließ ungehalten wissen, daß er einen derartigen Diskussionsverlauf nicht akzeptieren könne; die Justiz müsse sich an die eigene Nase fassen und erst einmal nachweisen, daß sie in Konkurrenz etwa zum Schulbereich berechtigte Mittelforderungen stelle.

Doch eigentlich muß sich der Reformschwung durch kritische Zwischenrufe schon jetzt nicht mehr stören lassen. Denn die maßgeblichen Kräfte sind sich offenbar einig, daß u. a.

- die Präsenz der Richter auszubauen ist

- hierfür und für die bessere Einbindung in den Produktionsprozeß die Richter gegenüber Geschäftsstellenmitarbeitern Vorgesetztenfunktionen ausüben sollen

- die richterliche Tätigkeit zum Gegenstand von "Kundenbefragungen" zu machen ist

- die Art und Weise der Prozeßführung von richterlichen Qualitätszirkeln durchzuforsten und zu standardisieren ist

- und insgesamt die Rechenschaftspflicht der Richter auszuweiten ist.

Wenn die Mehrzahl der Richter derartige Veränderungen wieder erst zur Kenntnis nimmt, wenn sie vor der eigenen Tür angekommen sind und an ihnen ohnehin nichts mehr zu beeinflussen ist, wird die Umsetzung anhand des bei ProBudget bewährten Musters erfolgen. Die Brückenköpfe, beispielsweise die nicht mehr zu diskutierende Forderung nach der "Erreichbarkeit" der Richter, die allgemein gehaltenen Fragebögen an Externe sowie die Standardisierung der Gerichtsverfahren über die Steuerungsfunktion der Kosten- und Leistungsrechnung, sind etabliert, so daß es im weiteren nur um die Vervollkommnung bewährter Techniken geht.

Die neuen Tabus sind ebenfalls zur Stelle, denn wer könnte etwas gegen Qualität haben und wer maßt sich an, Qualität alleine, außerhalb eines (angeblichen) Diskurses sichern zu können? Was nämlich ist durchsetzungskräftiger als eine solche (scheinbare) Evidenz"argumentation"? Die Gegenargumentation wird in komplexe Darlegungen abgedrängt. Man könnte zwar sehr wohl und sachlich unwiderlegbar darauf hinweisen, daß das neue Qualitätsgerede gerade keine Lösung verspricht für die wichtigsten Probleme, die mit dem zunehmenden Quantitätsdruck auf die Richter verbunden sind - weil es nur zu Aktivitäten in der Peripherie führt. Der Qualitätsbegriff wird nämlich aufgeweicht. Er erlebt eine Ausweitung, die an die des Gewaltbegriffes in vergangenen Tagen politischer Bewußtwerdung gemahnt, als die unmittelbare, physische Gewalt diverseste andere Erscheinungsformen bis hin zur strukturellen Gewalt an die Seite gestellt bekam - und jedweder Widerstand gerechtfertigt wurde. Die Qualität der Gerichtstätigkeit, früher fokussiert auf die der richterlichen Entscheidung, wird nun auch (rein betriebswirtschaftlich gar nicht falsch) multidimensional (Strukturqualität, Prozeßqualität) definiert. Die Folgen sind für die Managementfreunde ausgesprochen erfreulich: Es ergibt sich eine Vielzahl von Ansatzpunkten für ihre Tätigkeit und mit der "Kundenfreundlichkeit" ist der Qualitätsaspekt in den Vordergrund gerückt, auf den es politisch wesentlich ankommt. Denn nicht die klassische. objektive - und teure ! - Qualität der Verfahren und ihrer Entscheidung (vor allem: ihre materielle Richtigkeit aufgrund zutreffender Sachverhaltsbestimmung) ist öffentlichkeitswirksam, sondern maßgeblich ist der Schein, das Image, die Wirkung, die, das haben in der Dienstleistungsbranche die Call Center vorgemacht, auch billiger über Erreichbarkeit und Freundlichkeit zu haben sind. Der Rechtsstaat besteht solange, wie die Rechtsunterworfenen an seine Existenz glauben - gegebenenfalls unabhängig von den objektiven Bedingungen.

Unsere Gerichtsleitungen sind wieder einmal von der Justizbehörde zu einer Zusammenkunft außerhalb Hamburgs (diesmal Bosau) geladen. 1998 hatte das zu dem von der Behörde gerne zitierten Ratzeburger Protokoll geführt, mit dem sich "die Gerichte" - sicherlich in voller Kenntnis der Konsequenzen - schon damals zu der outputorientierten Budgetierung bekannt hatten. Jetzt, im Jahre 2000, ist das Qualitätsmanagement dran.

Das Bosauer Protokoll wird beginnen mit den Worten:

"Qualitätsmanagement in der Justiz ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Gerichte sind sich ihrer Verpflichtung für eine nicht nur effiziente, sondern auch qualitativ angemessen arbeitende Rechtsprechung bewußt; sie können hierzu auch in den Zeiten knapper Haushaltsmittel einen wichtigen Beitrag leisten.

Allerdings findet jede Einflußnahme auf die Qualität richterlicher Arbeit ihre Grenze in dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Hier ist die Richterschaft zu eigenverantwortlichem Handeln aufgerufen, das die Gerichtsleitungen durch die Einrichtung von Qualitätszirkeln unterstützen werden.

Diese Einschränkung betrifft indes allein den engen Kernbereich; Rechtsprechung und ihre Wirkung hat eine Vielzahl wichtiger weiterer Qualitätsdimensionen. Zuvorderst ist hier das Bewußtsein zu wecken dafür, daß Gerichte nicht Selbstzweck, sondern für den Bürger da sind. Deshalb ..."

M. Bertram

 

Nachbemerkungen:

1. Zu den hier angedeuteten Mechanismen sogenannter Reformprozesse, namentlich dem Ausschluß einer echten Sachdiskussion, hat jüngst in seiner Rede vor der Mitgliederversammlung des Richtervereins Herr Rechtsanwalt Filges, Präsident der Rechtsanwaltskammer, aus eigener Anschauung berichtet. Er beklagte, das Bundesjustizministerium wehre Kritik der Anwaltschaft an der ZPO-Novelle pauschal mit der Verdächtigung ab, es gehe den Anwälten nur um ihr Gebühreninteresse. Das ist dort das Äquivalent zu dem Pauschalvorwurf an die Richterschaft, privilegienorientiert und reformfeindlich zu sein, den die Justizbehörde allenthalben zu streuen versteht (vgl. jüngst die Ausschreibung der OVG-Präsidentenstelle in bester Tradition der arroganten und elitären Juristen).

2. Das oben wiedergegebene Bild von dem Wochenendseminar ist natürlich unvollständig. Es gab beispielsweise eine Insel der Seligen, die Arbeitsgruppe 5, die den Strafprozeß gegen die betriebswirtschaftliche Orientierung verteidigte.

Vor allem gab es Hinweise darauf, daß die subjektive Reformnot vieler Gerichtsvorstände, in der wohl empfundenen Dringlichkeit und Reichweite tatsächlich politisch nicht besteht. Anlaß zur Hoffnung bietet hier die Einlassung des Rechtsexperten der SPD in der Bürgerschaft, RA Klooß, wonach man sich sehr wohl bewußt sei, daß die im Haushaltsplan aufgeführten Qualitätskennzahlen für gerichtliche Entscheidungen (Erledigungsdauer) die maßgebliche Qualität nur sehr unvollkommen abbildeten. Die Produktdefinition müsse hier Raum bieten für die weiteren Qualitätsdimensionen. Möglicherweise ist also doch wenigstens in der Legislative ein kritisches Verständnis der Zusammenhänge, Wirkungsweisen und deshalb auch Defizite der Neuen Steuerung anzutreffen.

Verfehlt wäre schließlich auch der Eindruck, die Gerichte hinkten mit jeglicher "Reform" hinter "den anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung" hinterher. Schon bei der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und hier wieder besonders bei der Einrichtung der Controlling-EDV "SAP R/3" ist sie "Pilotbereich". Warum? Möglicherweise u.a. weil in anderen Bereichen die Durchsetzung viel schwieriger ist, da sie dort mit ernst zu nehmenden und machtvoll auftretenden Gewerkschaften mühsam auszuhandeln ist.

M. Bertram