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Gnadenpraxis
Wortfetzen aus der Bürgerschaft

Die Gnaden-Praxis der Justizbehörde war bereits Thema in der MHR (Dr. Jürgen Franke, MHR 3/98, 18). Auch ist die Bürgerschafts-Debatte hierzu bereits sehr lange her (leider bekomme ich die Protokolle mit großer Verzögerung). Aber einzelne Diskussions-Argumente lassen meines Erachtens Rückschlüsse auf zeitlose rechtspolitische Haltungen zu. Nur um deren unkommentierte Mitteilung geht es in diesem Artikel und nur hiernach sind die Zitate ausgewählt worden. Es geht an dieser Stelle nicht auch um die Un-/Richtigkeit der Gnadenpraxis.

Aus der Debatte vom 09.09.98 (Plenarprot. 16/24, 1117 - 1123) über eine Große Anfrage der Fraktion der CDU (Drucksache 16/1044):

Prof. Dr. Ulrich Karpen (CDU):

"... Die tausendfache prinzipielle Erklärung des Verzichts auf die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen aus fiskalischen und rechtspolitischen Gründen ist eine Korrektur der Rechtsprechung. Mit diesem Eingriff desavouieren Sie die Richterschaft und maßen sich Rechte an, die allenfalls dem Parlament zustehen. Sie beschädigen beim Bürger das Vertrauen in die Gleichheit der Rechtsanwendung. Einige müssen die verhängte Strafe verbüßen, andere nicht. Sie verletzen die Rechtssicherheit, das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger. Sie betreiben Rechtspolitik auf dem Rücken der unabhängigen Justiz und des demokratischen Gesetzgebers. ...

Der zweite Punkt betrifft wiederum Ihren Umgang mit den Angehörigen der Justiz. Waren es vor kurzem die Staatsanwälte, so sind es diesmal die Richter. Sagen Sie bitte nicht wieder, ich wollte zwischen Sie und die Justizbediensteten einen Keil treiben. Am 10. Mai 1998 haben Ihnen circa 40 Richterinnen und Richter geschrieben und das beklagt, worüber ich eben gesprochen habe. Daraufhin haben Sie in einem Pressegespräch am 25. Juni 1998 den Richtern mitgeteilt - ich zitiere -: 'Ein Richter soll Recht sprechen, aber andere Instanzen haben auch ihre Zuständigkeiten. Da hat sich niemand einzumischen.' ... Sie werden zu Recht - wie ich meine - nicht müde, die hervorragenden artikulationsfähigen, selbstbewußten Juristinnen und Juristen zu loben, die sich bewerben. Sollten diese Tugenden nicht gelten, wenn Sie kritisiert werden? ..."

Rolf-Dieter Klooß (SPD):

"... Herr Kollege Professor Karpen ... Es ist Ihnen gelungen, eine Art Büttenrede zu halten ... Wenn wir diesen Menschen eine Gnade zuteil werden lassen in einem sehr bescheidenen Umfang, dann geht davon der Rechtsstaat nicht unter."

Bettina Kähler (GAL):

"... Herr Professor Karpen ... Sie bauschen die Dinge auf mit großen Worten wie: Der Rechtsstaat gerät aus dem Lot, und das moralische Gespür der Bevölkerung und so weiter. Sie bauschen Dinge auf, die im Grunde genommen überhaupt nicht der Diskussion wert wären. ...

Aber ich würde mir manchmal wünschen, daß die Richterinnen und Richter ... einmal ein wenig reflektieren würden, was sie eigentlich mit ihren Verurteilungen tun. ...

Warum also regen sich dann die Richterinnen und Richter über die anschließende Begnadigung auf? Wo bleibt die Forderung der Richterinnen und Richter und auch der CDU nach der Abschaffung der Strafbarkeit des Schwarzfahrens? Richtig, Herr Professor Karpen, das paßt uns nicht, denn es ist seit langem bekannt, daß das kriminalpolitisch verfehlt ist. ...

Wo bleibt die Forderung der Richterinnen und Richter ... nach der Straffreiheit des Drogenkonsums, um die Beschaffungskriminalität zu senken? ...

Ich glaube, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat ist vielmehr beschädigt, wenn sie merken, daß Komme-was-mag-Entscheidungen durchgesetzt werden, ohne daß es eine Möglichkeit der Korrektur gibt, wenn man im nachhinein feststellt, daß jemanden etwas mit einer übermäßigen Härte trifft. ..."

Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit:

"... insbesondere die Einleitung solcher Gnadenverfahren von Amts wegen ist ... von verschiedenen Seiten scharf kritisiert worden. So von Ihnen als parlamentarischer Opposition und von einigen Hamburger Richtern, keineswegs 50. ... Es ist eine wesentlich kleinere Gruppe, und es gibt einen kleinen harten Kern von sieben Richtern, die ich - meiner Ankündigung entsprechend - bei mir zu einem längeren Gespräch empfangen habe. Kritisiert wird also von einigen Hamburger Richtern und von Teilen der Medien.

... bleibt doch die Frage, warum der Senat denn dieses Verfahren wählt? Nun, der Senat hält es für angezeigt, im Gnadenweg den Rechtsgedanken des § 57 StGB ... auf die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen anzuwenden. Bekanntlich können nach geltendem Recht - jedenfalls, wenn man der herrschenden Meinung folgt - Geldstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, wohl aber originäre Haftstrafen. ... So verfahren übrigens auch einige Oberlandesgerichte, die in analoger Anwendung von § 57 StGB Ersatzfreiheitsstrafen zur Bewährung aussetzen. Das Hamburgische Oberlandesgericht verfährt so nicht. ..."

Wolfgang Hirth