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Der Bau eines eigenen Gebäudes für das Hanseatische Oberlandesgericht - durchgesetzt von Sieveking - war seit 1894 beschlossene Sache. Am 30.11.1894 hatte der Senat der Bürgerschaft mitgeteilt, es sei beabsichtigt, neben dem Strafjustizgebäude zwei weitere Bauten zu errichten, das größere als Ziviljustizgebäude, das kleinere, mit der Front zum Holstenplatz gelegene, für das Oberlandesgericht, die Vormundschaftsbehörde und das Erbschaftsamt. Bei dieser Entscheidung spielte die inzwischen gewachsenen Erkenntnis, durch das Ensemble dreier Gebäude einen besonders repräsentativen Platz für die Justiz schaffen zu können, eine nicht unbedeutende Rolle. Als Argument wurde aber auch die Vorsorge für die Bequemlichkeit des Publikums und der Anwälte hervorgehoben. Die angestrebte Lösung hatte den Vorteil, daß fast alle Gerichte und Ämter des Justizbereiches an einer Stelle lagen.
Daß dieser Punkt so ausführlich erwähnt und hervorgehoben wurde, verdient besondere Beachtung, wenn man bedenkt, wie wenig er in unserer Zeit von der Justizverwaltung berücksichtigt wird. Teile des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft in die entfernte City-Nord zu verlegen, entspricht ebensowenig den Bedürfnissen des Publikums, der Rechtsanwälte und Staatsanwälte wie der - glück-licherweise zurückgeschlagene - Versuch, die Vormundschaftsabteilung des Amtsgerichts dort unterzubringen und die Betroffenen dem weiten Weg und den schlechten Verkehrsverbindungen auszusetzen. Ganz zu schweigen von den mühseligen Abläufen des Dienstbetriebes, auf die wenig Rücksicht genommen wird.
Der von der Bürgerschaft 1894 für die anstehenden Baufragen eingesetzte Ausschuß ließ sich für seine Beratungen Zeit. Im Mai 1897 veröffentlichte er seinen Bericht. Berichterstatter war Dr. Gustav Testorpf (1851-1933), Amtsgerichtspräsident und von 1891 bis 1918 Mitglied der Bürgerschaft. Unser Kollege Dr. Gustav Schiefler mochte ihn nicht. Die Herren waren unterschiedlicher Ansicht über die Notwendigkeit, in Hamburg eine Universität zu gründen. Testorpf lehnte eine Gründung ab, wie viele andere auch, die das Unternehmen im März 1919 noch zu Fall brachten. Die Gegner der Universität hatten - abgesehen von fiskalischen Gründen - wunderliche Argumente, so z.B., daß eine Universität ein Fremdkörper in einer Seehandelsstadt sei. Neben dieser Meinungsverschiedenheit gab es weitere. Testorpf scheint Schieflers kulturelles Engagement nicht geteilt zu haben. Wie immer hält Schiefler in seiner Kulturgeschichte mit seiner Meinung nicht hinter den Berg und nennt Testorpf einen "fanatischen Gegner der Universität", der wie "ein brüllender Löwe" umhergehe und "poltere". Anläßlich einer Auseinandersetzung über Hilfsmaßnahmen für den Dichter Falke gerieten beide aneinander, und Schiefler charakterisiert Testorpf als "einen der größten Banausen". Nun, dieser Banause war also Berichterstatter der Senatskommission für den Bau der Ziviljustizgebäude.
Testorpf und die anderen Kommissionsmitglieder kannten sich gut aus mit dem Wankelmut des Senats. Sie drangen am Ende ihres Berichtes, der sich in erster Linie mit dem Ziviljustizgebäude befaßte, darauf, die Planungen auch für das Oberlandesgerichtsgebäude sogleich in Angriff zu nehmen, indem man eine öffentliche Konkurrenz ausschreibe. Zur Begründung für ihr Drängen wählte die Kommission das Argument der Würde der Justiz - manchmal paßt es gut in Kommissionsberichte:
Bürgermeister Lehmann gab Zeitungsanzeigen in Auftrag, die im März 1900 in verschiedene Tageszeitungen, aber auch in die Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen eingerückt wurden (Abb. 31).
Abzugeben waren die Entwürfe spätestens am 27.10.1900, mittags 12 Uhr, in der Baudeputation an der Bleichenbrücke 17. Dem Preisgericht gehörten vier technische und vier nichttechnische Mitglieder an: Zu den technischen Mitgliedern gehörte Baudirektor Zimmermann; die nichttechnischen Mitglieder waren der Präses der Baudeputation, zunächst Bürgermeister Lehmann, später Senator Dr. Predöhl, der Vorstand der Senatskommission für die Justizverwaltung (Justizsenator) Dr. Hertz, Oberlandesgerichtspräsident Dr. Sieveking und der Geheime Regierungsrath Ende aus Berlin. Nun konnte es losgehen.
58 Entwürfe gingen rechtzeitig ein. Sie waren jeweils ohne Namensnennung eingereicht und durch ein Motto (z.B. Wat Recht is, mut as Recht bestohn) oder ein Symbol (z.B. Florentinische Lilie) gekennzeichnet. Das Preisgericht arbeitete sich am 16. und 17. November 1900 durch die Entwürfe. In die engere Wahl kam auch der Entwurf von Lundt & Kallmorgen "Fiat justitia, pereat mundus", hierzu wurde aber im Protokoll über die Verhandlungen des Preisgerichts angemerkt: "Die in Bezug auf die Massenverteilung gut disponierte und künstlerisch vortrefflich durchgeführte Architektur der Façaden dürfte sich in den Rahmen der vorhandenen seitlichen Justizgebäude nicht ohne Bedenken einfügen." Wie wahr. Zusammen mit zwei anderen Entwürfen mußte sich dieser Vorschlag den zweiten Preis teilen, ein erster Preis wurde nicht vergeben.
Als herausragend empfanden die Preisrichter den Entwurf "Sprich für dich". Er wurde nicht prämiert, weil er sich nicht an die Ausschreibungsvorgaben hielt und die Vorderfront des Gebäudes die geplante Baulinie überschritt. Der "Hamburgische Korrespondent" veröffentliche in seiner Rubrik "Sprechsaal" am 6. 12. 1900 einen Kommentar dazu. Es habe sich um eine unlösbare Aufgabe gehandelt. Der vorgesehene Bauplatz sei zu schmalbrüstig gewesen, deswegen seien die Entwürfe eng und dunkel. Eine einzige Arbeit mache hiervon eine Ausnahme. Bei ihr erscheine alles großräumig, klar, hell und natürlich entwickelt. Aber woher komme das? Der Autor habe eine programmwidrige Arbeit abgeliefert und sich um die vorgeschriebenen Baugrenzen nicht gekümmert. Es gehe nun aber nicht an, eine programmwidrige Arbeit durch den Bauauftrag zu belohnen, man müsse eine neue Konkurrenz veranstalten.
Die Preisrichter sahen das nicht so eng und empfahlen den Entwurf "Sprich für Dich" gleichwohl zum Ankauf. Er stammte von Professor Neckelmann aus Stuttgart und zeichnete sich durch "große Verhältnisse und einen vornehmen Charakter des Bauwerks" aus, "Eigenschaften, welche das vorliegende Projekt allen anderen gegenüber besonders hervorheben".
Im Februar 1901 war der Senat immer noch dabei, dem Projekt näherzutreten, zügigem Fortschreiten stand aber eine Krankheit Neckelmanns entgegen. Im Oktober 1901 fragte Justizsenator Hertz bereits etwas ungeduldig bei Baudirektor Zimmermann nach dem Gesundheitszustand Neckelmanns. Im November konnte Zimmermann mitteilen, daß nach Berichten des Bruders Carlos Neckelmann der Professor sich in der Nervenheilanstalt zu Neckargmünd befinde. Man hoffte auf Genesung und vertröstete den Senator auf das Frühjahr.
Schließlich erwies sich der Gesundheitszustand des Architekten aber doch als hoffnungslos. Es wurde eine neue Ausschreibung beschlossen, und zwar unter dem engeren Kreis derer, die sich bereits erfolgreich an der vorangegangenen Konkurrenz beteiligt hatten. Das Preisgericht tagte am Sonnabend, den 23. 1. 1904 von 11 Uhr an im Zimmer 315 des Ziviljustizgebäudes. Die Entwürfe wurden sodann in der Kunsthalle öffentlich ausgestellt. Direktor Lichtwark hatte gegen die Ausstellung im Treppenhaus der Kunsthalle nichts einzuwenden, wie Zimmermann am 13.2.1904 dem Bausenator mitteilte.
Das Projekt der Architekten Lundt & Kallmorgen wurde vom Preisgericht als das empfehlenswerteste bezeichnet. Dies hinderte die Preisrichter nicht, schon gleich in ihrem Gutachten Änderungswünsche anzumelden. Dies sollte so bleiben und die Architekten zur Verzweiflung treiben. Der erste Streit entbrannte um das Architektenhonorar. Lundt & Kallmorgen verlangten 4,3 % der Bausumme von 2 Millionen Mark, also 86.000 Mark. Dies war der Stadt zu teuer. Zunächst aber unterzeichnete man tatsächlich den Bauvertrag, nachdem alle bürokratischen Hürden hierfür genommen waren. Das geschah am 8.2.1907.
Der Forderung der Architekten lag eine Berechnung auf der Grundlage des Kostenvoranschlages zugrunde, wie sie auch nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure heute errechnet würde. Die Bau-Deputation wünschte 10 % des Leistungsumfanges abzuziehen, weil sie den Vorentwurf schon durch das Preisgeld im Wettbewerb abgegolten habe. Hierzu erwiderten die Architekten, jener Entwurf sei auf Drängen der Bau-Deputation so oft geändert worden, daß der nunmehr vorliegenden damit kaum noch Übereinstimmungen aufweise. Lundt & Kallmorgen wandten sich an die Deutsche Bauzeitung um eine Beurteilung dieser Frage. Welche Ansicht die Redaktion äußerte, ist der Akte nicht zu entnehmen - der endgültige Kostenvoranschlag sieht jedenfalls den Abzug einer bereits erfolgten Vergütung für den Vorentwurf vor, nennt aber einen Betrag von DM 2.000 für die weiteren Bearbeitungen im Dezember 1905 und Januar 1906. Eine Lösung offenbar, bei der beide Vertragspartner das Gesicht wahren konnten.
Das Architektenhonorar wird in dem Kostenvoranschlag mit Mark 81.812.-
angegeben - bei Baukosten von Mark 2.100.000.--. In ihrem Erläuterungsbericht
wiesen die Architekten darauf hin, daß für den Bau des Reichsgerichtsgebäudes
anläßlich des Wettbewerbes 2 ½ Mio. Mark veranschlagt
gewesen seien, nach Aufstellung des Entwurfes und weiterer Bearbeitung
sei die Summe auf sechs Mio. Mark erhöht worden. Dieser sanfte Hinweis
sollte die Auftraggeber beruhigen, hatte sich doch die im Wettbewerb veranschlagte
Bausumme von 1,2 Mio Mark in Hamburg auf besagte 2,1 Mio. Mark vergrößert.
Soviel zum Geld.
Der Bauzeitenplan sah - beginnend mit dem Vertragsschluß am 8.2.1907 - eine fünfjährige Bauzeit vor. Die Arbeiten begannen im Sommer 1907: Am 1. Juni erfolgte die Bauanzeige für die Erdarbeiten und die Fundamente. Die Erdarbeiten wurden durch F. Stender, Eilbeckerweg 37 ausgeführt. Die Ausschachtung begann drei Tage später und war Ende Juli beendet. Bis Ende Dezember 1907 der Frost einbrach und weitere Arbeiten unmöglich machte, waren die Fundamente betoniert, 2800 m3 Kiesbeton und 450.000 Mauersteine sowie 300 m3 Werkstein, Granit und Sandstein für das Mauerwerk verarbeitet worden.
1908 ging es nicht mehr so zügig voran. Oft konnte wegen eingetretenen Frostes nicht gearbeitet werden, und als das Wetter offen blieb, lähmte ein Streik der Steinmetzen, die die Werksteinarbeiten auszuführen hatten, den Fortgang.
Auch das Jahr 1909 begann frostig, nicht nur des Wetters wegen. Es gab wieder Streit. Die Architekten sahen sich durch die Baudeputation in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt. Sie kamen mit dem Baurat Ruppel, der als Vertreter die vakante Stelle des Baudirektors auszufüllen versuchte, nicht zurecht. In einer Eingabe an die Baudeputation vom 1.2.1909 und an den E.H. Senat vom gleichen Tage baten sie um die Schlichtung der bestehenden Meinungsverschiedenheiten durch ein Schiedsgericht. Ferner forderten sie für die künftige Zusammenarbeit die Bildung einer Baukommission, in der sie vertreten sein wollten. In beiden Schreiben klingt viel Bitterkeit über die Gängelung durch die Behörde an. Über die Zusammenarbeit mit der Bau-Deputation in früherer Zeit - mit Zimmermann als Baudirektor - heißt es aber zunächst:
"Nachdem uns die Aufstellung eines Bauentwurfes zum Bau des Oberlandesgerichtes übertragen war, haben wir diese Arbeit mit Herrn Baudirektor Zimmermann häufig und eingehend besprochen. Ihm, der auf eine 30jährige Tätigkeit als Baudirektor zurückblickt, verdanken wir wertvollste Anregungen, und sein sachgemässes Urteil in künstlerischen Fragen hat zum Gelingen des Ganzen im besonderen Masse beigetragen. Herr Baudirektor Zimmermann hat jederzeit unsere Stellung als Privatarchitekten den Behörden gegenüber vertreten, sodaß während seiner Amtsführung die Einsetzung der von uns schon seit langem gewünschten Baukommission als Vertreter des Bauherrn überflüssig erschien."
Die Architekten begründen dann aber in ihrem Schreiben an den Senat ihre Forderung nach einem Schiedsgericht oder einer Baukommission, wobei sie - gemessen an dem sonst üblichen Umgangston mit E.H. Senat ziemlich barsche Töne wählen. Die Beschwerde läßt ahnen, wie groß der Ärger tatsächlich war, den Lundt & Kallmorgen gegenüber ihren Auftraggebern empfanden:
"Während wir den Standpunkt vertreten, daß die Baudeputation diejenige Behörde darstellt, welcher die Aufsicht über die Ausführung für den Bau des Oberlandesgerichtes unterstellt ist, wir dagegen die Architekten sind, welche auf Grund des Vertrages die volle Verantwortung für die konstruktiven und besonders für die künstlerischen Teile des Baues allein zu tragen haben, fühlt sich nunmehr die Baudeputation in ihren Machtbefugnissen beeinträchtigt. Sie beansprucht Rechte, welche sonst den Architekten zustehen, trifft Entscheidungen in baukünstlerischen Fragen, ohne daß wir an den Verhandlungen und Diskussionen, welche über dieselben stattgefunden haben, zugegen sind. Sie übergeht die Entscheidung ihres früheren alleinigen sachverständigen Beraters, der auf eine 30jährige Erfahrung als Baudirektor zurückblicken kann, und sie bringt uns in die Stellung ausführender Baubeamten, welche verpflichtet sein sollen, alle ihre Wünsche zu erfüllen. Die wir diese Anschauungen und Handlungsweise der Baudeputation als richtig nicht anerkennen können, müssen darauf bestehen, daß unser Entwurf, so wie derselbe nach reiflicher Überlegung, nach vielfachen und eingehenden Studien an Zeichnungen und Modellen geplant ist, auch ausgeführt werde, und daß wir nicht durch Entscheidungen vom Mitgliedern der Baudeputation, welche auf dem Gebiet der Architektur nicht sachkundig sind, an der Verwirklichung unserer künstlerischer Ideen gehindert werden. Es ist unser Wunsch, in dem Bauwerk des Oberlandesgerichtes ein Kunstwerk zu schaffen, welches dem Stadtbild zur besonderen Zierde gereichen wird."
Man kann hier nur ein völlig zerrüttetes Verhältnis zwischen Architekten und Bauherren konstatieren und auf den Baufortschritt trotz dieser Querelen gespannt sein.
Die Baudeputation zeigt keinerlei Einlenken. In ihrem Protokoll vom 25. Februar 1909 empfahl sie, die Forderung der Architekten nach Schiedsgericht oder Baukommission zurückzuweisen. Es wird deutlich, wie berechtigt die Wünsche Lundt & Kallmorgen waren: Die Argumente der Baudeputation befassen sich nicht damit, wie zum Besten des Bauwerks eine Lösung geschaffen werden könne. Es ging ihr ersichtlich nur darum, sich durchzusetzen. Der Senat fand eine Lösung, die den wechselseitigen Empfindlichkeiten Rechnung trug und der Sache weder schadete noch nützte: Es wurde eine Kommission gegründet, sie wurde aber nicht als "Baukommission" bezeichnet. Insoweit folgte der Senat den Wünschen der Baudeputation. Die Kompetenzen der Deputation sollten nicht beschnitten werden und - was am meisten verwundert - die Kommission erhielt auch nicht den Auftrag, "von ihrer Einsetzung den Architekten in offizieller Form Kenntnis zu geben".
Wie man sich die Zusammenarbeit in dieser Weise praktisch vorstellte, läßt sich den Akten der Baudeputation nicht entnehmen, wohl aber, daß die Reibereien weitergingen. Zunächst stritt man um die Eckpylonen, die Wölbung der Kuppel und das Kranzgesims der Kuppel. Diese Architekturteile - nicht gerade unerheblich für die Gesamtansicht - entsprachen schon lange nicht mehr den ursprünglichen Zeichnungen und wurden weiter zerredet. Auch der Mittelrisalitbau geriet in die Diskussion. Die Stimmung sank auf den Nullpunkt, als sich der Architekt Lundt weigerte, weitere Änderungsvorschläge schriftlich einzureichen, solange er nicht schriftlich dazu aufgefordert worden sei. Im April - man baute immerhin schon seit zwei Jahren - wurden diese Fragen geklärt. Es lief sich, wie meistens am Bau, auch hier zurecht.
Neue Aufregung in der Baubehörde verursachte eine Zeitungsnotiz vom 30.10.1908. Der "Hamburgische Korrespondent" berichtete darüber, daß für das Oberlandesgerichtsgebäude in Hamburg dem Lehrer an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Altona, Bildhauer Stichling, die Herstellung einer Sphinx und des künstlerischen Giebelschmuckes übertragen worden sei. Diese Nachricht erfuhren auch die Behörden erst durch die Presse. Der Senator forderte einen Bericht des amtierenden Baudirektors Ruppel, dieser wandte sich an Bauinspektor Ernst Bauer (5. Hochbauabteilung), der die Architekten um Rückäußerung bat. Lundt & Kallmorgen reagierten kühl wie immer und verwiesen darauf, daß der Vertrag ihnen insoweit die künstlerische Freiheit lasse. Der Sturm wurde abgeblasen. Mit Vermerk vom 11. November 1908 stellte Ruppel fest, der Vertrag enthalte keine Bestimmung, welche der Baudeputation einen Einfluß auf die Gestaltung des bildhauerischen Schmucks vorbehalte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier großes Bedauern mitschwingt.
Die Frage des Bauschmuckes war indes noch nicht endgültig entschieden. Schon im Juni 1908 hatte Senator Schäfer (Senatskommission für die Justizverwaltung) die Hochbauabteilung ersucht, "dahin zu wirken, daß am Oberlandesgerichtsgebäude weder die Inschrift "Hanseatisches Oberlandesgericht" oder dergleichen, noch an in die Augen fallender Stelle, wie z.B. über dem Eingang ein Wappen angebracht werde." Ferner bat er, "sofern die Anbringung einer Justitia darstellenden Figur beabsichtigt werden sollte, diese nicht mit einer Binde über den Augen zu versehen".
Nach längeren Meinungsverschiedenheiten der Behörden untereinander fand auch dieses Problem seine Lösung. In der Senatssitzung vom 16. April 1909 brachte Justizsenator Schäfer erneut zur Sprache, daß eine Entscheidung über die Ausschmückung des Giebelfeldes über dem Portal noch offen sei. Der Senat entschied sich nun für Schäfers Vorschlag, die Inschrift:
Die Bauarbeiten selbst gingen trotz allem voran, wenn auch mit gewissen Verzögerungen wegen der mangelnden Entschlußfreudigkeit. Als Sieveking in der Nacht zum 14. November 1909 unerwartet starb, waren große Teile des Baues schon vollendet. Man kann sich vorstellen, mit welchem Interesse gerade er den Baufortschritt beobachtet hatte. Die Werksteinarbeiten der Außen- und Innenwände waren nahezu vollendet. Die Ecktürme begannen sich abzuzeichnen. Für die Außenfassade war fränkischer Muschelkalk verwendet worden. Seit August 1908 hatte man die schweren Werksteine nicht mehr per Hand hochgewunden, sondern einen "elektrischen Kran" benutzt, wie die "Hamburger Nachrichten" am 26.8.1909 berichteten. In der Vorhalle verarbeiteten die Steinmetze "Zittauer Sandstein", in der großen Treppenhalle Sandstein und Levantegranit. Das Dach war mit 1300 qm Kupfer gedeckt worden und die Heizungsverlegung hatte begonnen. Am 20. Dezember 1909 konnte die Baupolizei die Rohbauabnahme durchführen.
Die Presse berichtete dann und wann über den Fortgang der Bauarbeiten
am Holstenplatz und hob hierbei besonders die praktische Anordnung aller
Versorgungsleitungen in einem großen Kanal hervor. Am 16. Januar
1910 konnte der "Hamburgische Korrespondent" berichten, daß alles
bis auf die Kuppel unter Dach sei und die bereits am 31.12.1909 gerichtete
Kuppel nun die "ganze Monumentalität erahnen lasse". Was man allerdings
jetzt bemerkte - und nicht nur erahnte - war die fatale Nähe zur Gnadenkirche.
"Jammerschade aber", so konstatierte der Redakteuer, "daß, von vorn
gesehen, die Gnadenkirche das Gesamtbild stört: Ihr achteckiger Turm
ragt über dem neuen Gebäude unvermittelt und nicht gerade schön
hervor".
Auch Gustav Schiefler schonte nichts und niemanden - wie gewöhnlich:
"Der ganze Platz ist - nicht nur durch das Oberlandesgericht, wenn es auch
die hauptsächliche Schuld trägt - ein unglückliches Gebilde
geworden und ein Beweis für die Unfähigkeit der damaligen Architekten
und Ingenieure, derartige Anlagen von guter Raumgestaltung zu schaffen.
Vor dem, welcher die Kaiser-Wilhelm-Straße heraufkommt und auf die
offene Seite des Platzvierecks zugeht, erhebt sich eine Geländewelle,
die den Sockel des hinter ihr stehenden Oberlandesgerichts verschluckt.
Dadurch verliert es an Höhenwirkung und scheint in die Knie zu sinken.
Außerdem hat die Gnadenkirche hinter ihm einen ungünstigen Standort:
der untere Teil ihres Turmes wird genau von dem östlichen Eckturm
des Gerichtsgebäudes dergestalt verdeckt, daß es aussieht, als
säße die Kirchturmspitze gleich einer Zipfelmütze auf diesem.
Eine Fülle von Unglücksfällen, die bei überlegender
Voraussicht hätten vermieden werden können und vermieden werden
müssen." Was hätte Schiefler erst gesagt, wenn er die heutige
Verunstaltung durch die 1962/63 vorgenommenen Abgrabungen für die
Internationale Gartenbauausstellung sähe. Aber die Sache mit der Zipfelmütze
ist durchaus auch heute noch einen Blick wert . . .