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IX. Die Oberlandesgerichtsgebäude

Das neugeschaffene Oberlandesgericht zog in die Dammtorstraße Nr. 10, ein Gebäude, das zwischen Welckerstraße und Drehbahn, gegenüber der damaligen Staatsoper lag. Von den räumlichen Verhältnissen in jenem Gebäude war schon im Zusammenhang mit den Planungen zum Ziviljustizgebäude die Rede. Über die Unbequemlichkeit aus Anwaltssicht äußerte sich 1921 der Rechtsanwalt und Senator Carl August Schröder in seinen Lebenserinnerungen:

"Derzeit gab es noch keine zusammenliegenden großen Justizgebäude wie heute, vielmehr war das Amtsgericht im Parterre und in der ersten Etage des Hauses Dammthorstraße 10 untergebracht, das heute Zwecken der Polizeibehörde dient. Das Oberlandesgericht hatte für seine zwei Senate Räume in der zweiten Etage desselben Hauses angewiesen erhalten, während die verschiedenen Kammern des Landgerichtes sich im alten Rathaus an der Admiralitätstraße befanden. Infolge dieses Auseinanderliegens der erstinstanzlichen Gerichte mußten wir Anwälte natürlich immer zwischen den Gerichtsgebäuden hin- und herlaufen, und da der Weg von der Dammtor- zur Admiralitätstraße zu Fuß mindestens zehn Minuten in Anspruch nahm, so kann man sich denken, wieviel Zeit wir durch diese Märsche verloren. Dies wurde natürlich noch schlimmer, als einige Jahre später das neue Strafjustizgebäude vor dem Holstentore errichtet wurde."

Es darf daran erinnert werden, daß Teile des Amtsgerichts am Gänsemarkt lagen, das Gerichtsvollzieheramt am Neuen Wall, das Erbschaftsamt und die Vormundschaftsbehörde in der Alten Post in der Poststraße ihre Räumlichkeiten hatten.

Dies waren aber vergleichsweise geringe Unbequemlichkeiten, wenn man bedenkt, daß die Lübecker und Bremer Anwälte über sehr viel längere Distanzen anreisen mußten. So beschwerten sich die Bremer Anwälte 1880 über die schlechten Zugverbindungen. Auf Bitten des Oberlandesgerichtspräsidenten bat der Hamburger Senat die Köln-Mindener Eisenbahn um eine Änderung der Fahrpläne. Als auch das keine ausreichende Abhilfe bot, wurden die Termine, an denen Bremer Anwälte teilnahmen, entsprechend verlegt. Gleichwohl blieb die Sache ärgerlich angesichts der Tatsache, daß seinerzeit alles bis ins Detail mündlich vorgetragen werden mußte. Mancher Anwalt kam erst am späten Nachmittag zu seinem Plädoyer, so wenn Oberlandesgerichtspräsident Sieveking erbarmungslos auch in Parallelsachen - z.B. zwischen verschiedenen Beteiligten an derselben Schiffskollision - auf die Frage eines Anwaltes, ob denn wirklich alles noch einmal vorgetragen werden müsse, erklärte: "Wie kann ich über etwas entscheiden, das noch nicht vorgetragen ist?"

Die Abbildung 28 zeigt das Gebäude in der Dammtorstraße Nr. 10; sie entstammt dem Briefkopf der Firma D. M. Kanning. Auf der rechten Seite ist das Gerichtsgebäude als zweites zwischen den Straßen Drehbahn und Welckerstraße zu sehen.

Das Haus hatte die Stadt für 475.000 Mark angekauft und 1879 für das Amts- und Oberlandesgericht eingerichtet. Für jeden Senat erhielt das Oberlandesgericht im zweiten Stock einen "Audienzsaal", ein "Relationszimmer" und ein Zimmer für den Präsidenten. Die übrigen notwendigen Räume lagen zum Teil im dritten Stockwerk.

Das Gericht bestand aus zwei Senaten mit je fünf Richtern einschließlich des Präsidenten. Ferner gehörten ihm ein rechtsgelehrter Sekretär, ein Gerichtsschreiber, sechs Kanzlisten, zwei Gerichtsdiener und ein Portier an, wie dem hamburgischen Staatshandbuch von 1880 zu entnehmen ist.
 
 
 

Abb. 28: Die Dammtorstraße

Den Anstoß für bauliche Veränderungen gab die Einrichtung eines dritten Senates. Das Ergebnis war, wie wir bereits wissen, die Errichtung des Ziviljustizgebäudes. Sieveking hatte heftig dagegen protestiert, das Oberlandesgericht mit in diesem Gebäude anzusiedeln und stets ein eigenes Gebäude verlangt. Dies erhielt das Hanseatische Oberlandesgericht 1891. Der Senat hatte 1890 aus dem Nachlaß des früheren Justizsenators (1864-1869) und späteren Bürgermeisters Dr. Nicolaus Ferdinand Haller für 190.000 Mark das Haus Welckerstraße 9 gekauft. Es wurde für 42.500 Mark umgebaut. Für jeden Senat gab es hier ein Stockwerk.

 
 
Abb. 29: Das Oberlandesgerichtsgebäude Welckerstraße 9 (Aquarell von Koefoed, 1935)

Erstmals erhellte elektrisches Licht die Tätigkeit des Hanseatischen Oberlandesgerichtes. Von dieser Einrichtung hatte man bisher abgesehen, um nicht die Begehrlichkeit anderer Behörden zu wecken. Da das elektrische Licht nur tagsüber gebraucht wurde, fand man es zweckmäßig, das Gericht an die Leitung des gegenüber liegenden Staatstheaters anzuschließen - hier wurde der Strom abends gebraucht. Wir zeigen das Gebäude in der Welckerstraße auf einem Aquarell von Koefoed aus dem Jahre 1935 (Abb. 29).

1893 erhielt das Gericht seinen vierten Senat. 1902, als die Senate etwa ein halbes Jahr im voraus terminierten, den fünften. Es wurde wieder eng im Gerichtsgebäude. Für den im Jahre 1905 eingerichteten sechsten Senat mußte mittels eines Wanddurchbruches das Nachbarhaus hinzugenommen und die Gerichtskasse in einem weiteren Nachbarhaus untergebracht werden. Dies alles geschah allerdings schon im Bewußtsein des Provisoriums, nachdem im Jahre 1897 die Bürgerschaft den Senat um die Ausschreibung eines Wettbewerbes ersucht hatte. Auch dem war schon ein mühsamer Meinungsbildungsprozeß vorangegangen, den Sieveking maßgeblich beeinflußte.