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VII. Waschtische und Fahrradständer

Nachdem 1897 endgültig der Beschluß gefaßt worden war, am Holstenplatz ein Ziviljustizgebäude zu errichten, ging es nun vor allem um's Geld. Baudirektor Zimmermann hatte die Kosten für seine Planungen 1897 mit 3.480.000 Mark veranschlagt. Das Gebäude sollte um zwei Innenhöfe herum errichtet werden (Abb. 23).

 
 
Abb. 23: Project zu einem Civil-Justizgebäude (Grundriß)

Nach Diskussionen um Waschtische, Uhren, Fernsprechleitungen, Fahrradständer, Gas- oder elektrische Beleuchtung und vor allem darum, ob nicht massive Marmortreppen zu üppig seien angesichts der Tatsache, daß man sich im 1897 fertiggestellten Rathaus mit Marmorplatten begnügt hatte, bewilligte die Bürgerschaft im Dezember 1901 weitere Mittel für den Innenausbau.

Im Januar 1898 wurde im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Gartenbauausstellung das Baubureau eingerichtet. Im Februar nahm man die Einfriedung des Geländes vor. Im März begannen die Ausschachtungsarbeiten.

Rüstiges Fortschreiten des Baus beschrieb der "Hamburgische Korrespondent" in der Morgenausgabe vom 22. 12. 1898 und berichtete zugleich über die schwierigen Fundamentierungsarbeiten. Mit seinem südöstlichen Teil sollte das geplante Bauwerk auf dem Terrain des früheren Stadtgrabens liegen, was aufwendige Gründungsarbeiten notwendig machte. Um den Untergrund zu sichern, mußten 140 Brunnenschächte bis auf eine Höhe von +8 m gemauert werden. Diese Arbeiten wurden in der Zeit bis zum Herbst 1898 ausgeführt. Über den Stand der Arbeiten Ende Dezember berichtet der Korrespondent: "Jetzt sind die Mauer- und Steinmetzarbeiten des unteren Sockels zum größten Theil vollendet und die Ausführung dieser Arbeiten am eigentlichen Sockelgeschoß hat begonnen. Das Material ist Bornholmer Grand und Sandstein."

Endlich war es soweit. Am 17. August 1903 meldete die Abendausgabe des Hamburgischen Korrespondenten, das neue Ziviljustizgebäude vor dem Holstentor sei jetzt in Bau und Einrichtung vollendet und werde in der Zeit vom 17. August bis 15. September bezogen werden (Abb. 24).

Daß das neue Gebäude auch als Zeichen für die Bedeutung der Justiz empfunden wurde, zeigt die Bewertung des Hamburgischen Korrespondenten: "Das neue Civiljustizgebäude gibt in seinen gewaltigen Dimensionen einen Begriff von der Ausdehnung und Bedeutung des hamburgischen Civiljustizwesens, das jetzt noch an verschiedenen Stellen, in der Dammthorstraße, auf dem Gänsemarkt und in der Admiralitätsstraße zerstreut ist."

Liebevoll nahm sich das Blatt auch der Raumaufteilung im Detail an und bewertete sie als gelungen: "Die Verteilung der Räume an die einzelnen Abteilungen ist mit solcher Sorgfalt und Konsequenz erfolgt, daß die Orientierung in dem weitläufigen Bau für die Beamten wie für das Publikum verhältnismäßig sehr leicht ist." Dies ist mehr als 80 Jahre her.

Einige Neuerungen hob das Blatt in einem weiteren Bericht am 20. September 1903 besonders hervor und gibt uns damit Einblick in die zuvor herrschenden Umstände: Nach preußischem Vorbild (!) wurde eine zentrale Annahmestelle für Amts- und Landgericht eingerichtet mit "großen Regalen und Hunderten von Fächern", um eine leichte Übersichtlichkeit zu gewinnen. Den Postboten werde durch die Sammelstelle viel unnötige Lauferei erspart. Das Blatt fährt fort: "Auch die Kasse ist im Interesse des leichteren Verkehrs jetzt für beide Gerichte gemeinschaftlich und weist sieben Schalter auf. Der daneben liegende Raum beherbergt eine Reihe großer Geldschränke, ist feuer- und diebessicher und mit Läutevorrichtung versehen. Besondere Wächter bewachen ihn nachts. Neben der Buchhalterei ist eine Reservebuchhalterei eingerichtet mit einem Zahltisch, an dem die Gehaltszahlungen für die Beamten vorgenommen werden sollen, um an den betreffenden Tagen die Hauptkasse zu entlasten."
 
 
 

Abb. 24: Treppenhaus des Ziviljustizgebäudes

Die Anwaltschaft wurde großzügig mit Raum bedacht. Für sie hielt das Gebäude drei Anwaltszimmer mit Schreibtischen bereit, in denen die Prozeßvertreter während der Sitzungspausen ihre Akten bearbeiten konnten. Ferner stand ihnen ein Sprechzimmer zur Verfügung, in dem sie "ungeniert mit Klienten verhandeln konnten".

 
 
Abb. 25 Hamburgischer Korrespondent

Platz fand auch die 1828 gegründete Juristische Lesegesellschaft. Sie war nach dem Brand von 1842, während dessen ihre Bestände aus dem Eimbeckschen Haus im wesentlichen hatten gerettet werden können, im Rathaus an der Admiralitätsstraße eingerichtet worden. Nun zog sie mit den Zivilgerichten zum Platz "Vor dem Holstentor", wie er immer noch hieß.

Als Besonderheiten empfand das Publikum elektrische Uhren in den Gängen, Toiletten - "darunter auch solche für Frauen" - in allen Stockwerken, und schließlich "drei Teekännchen mit Gaskochapparaten" für die Beamten. Die Beleuchtung besorgten Gasglühlampen. Wartezimmer für Zeugen und Sachverständige wurden nicht eingerichtet, da das Publikum sie "erfahrungsgemäß doch nicht benutze", wie der Hamburgische Korrespondent schrieb. Stattdessen habe man die Flure wohnlich mit Bänken versehen und halte sie durch Heizungen warm, sodaß das Publikum einen angenehmen Aufenthalt habe. Das Landgericht zog am 25. August 1903 um. Der Hamburgische Korrespondent unterrichtete die Bevölkerung mit einer "Tagesneuigkeit" (Abb. 25).
 
 
 

Abb. 26: Plenarsaal des Ziviljustizgebäudes

Die Einweihung fand am 16. September 1903, 11 Uhr im Plenarsaal des Ziviljustizgebäudes (Abb. 26) statt. Senator Dr. Hertz als Chef der Justizverwaltung hielt die Eröffnungsrede, in die er - neben dem fälligen Lob für Planer und Erbauer - rechtspolitische Anmerkungen einfließen ließ:

Er beklagte die durch die Reichsjustizgesetze verursachte Entfernung der althamburgischen Laienrichter aus Zivil- und Strafspruchkörpern. Die Vermehrung der Zahl der Berufsrichter bewirke eine "Verwässerung des edlen und hochzuhaltenden Richterstandes". Je enger der Kreis sei, umso strenger sei die Auswahl und dementsprechend stiegen Verantwortlichkeit, Sorgfalt, Ansehen und Berufsfreudigkeit. Hertz räumte ein, daß Referendare und Assessoren, die noch auf Richterstellen warteten, seine Ansicht wohl nicht teilen könnten, allein er fühlte sich gedrängt, vor einem rechtsgelehrten Proletariat zu warnen, das seit 1879 zu entstehen drohe. Aus der seinerzeit geschaffenen jungen Nachwuchspflanzung sei eine stattliche Waldung geworden, die den juristischen Horizont in bedenklicher Weise zu überschatten drohe. Er forderte die Erschwerung von Zugangsbedingungen für die juristische Laufbahn. Über Reaktionen der immerhin zum Festakt eingeladenen Assessoren berichtet das Blatt nichts.

 
 
Abb. 27: Treppenhaus zur Hofdurchfahrt

Nicht nur der Sorge um oder über den Nachwuchs widmete sich der Festredner. Er schlug Veränderungen der Prozeßordnung und deren Handhabung vor, so eine "vernünftige Beschränkung" des Mündlichkeitsprinzips und die Entlastung der Richter von der lästigen Schreibarbeit. Ferner die Einrichtung von Spezialkammern zur Bildung einer "festeren Rechtsübung" und einer "schnelleren Erledigung".

Entschieden sprach er sich gegen Sondergerichte einzelner Berufsstände aus. Er wies darauf hin, daß der Staat allen seinen Angehörigen die mögliche Schnelligkeit, Billigkeit und Sicherheit der Rechtshilfe schulde. Keiner dieser Vorteile dürfe das Vorrecht einzelner Stände sein. Der Senator sprach den Wunsch aus, daß die Arbeit aller, die Amt und Beruf in das Ziviljustizgebäude ruft, "mit Freudigkeit gesegnet und mit Erfolg gekrönt werden", damit alle, "die das Recht suchen, auch immer das Recht finden mögen".

Der Senator schloß - ein wenig pathetisch, wie manche auch damals schon fanden - mit Hoffnungen, die dreißig Jahre später zerschellten: "Möge dieses Gebäude über unserer Stadt und weit über die Lande leuchten als ein Tempel der Gerechtigkeit, zu dem der Gekränkte, in seinem Recht Verkürzte mit Vertrauen aufblickt, das der Gesetzesverächter, der Mann des Unrechts und der Chikane fürchtet". Hertz fügte hinzu: "Das walte Gott".

Hiermit ergriffen zu schließen, wäre verfrüht. Bisher sind nämlich die Portraitfiguren über dem Portal noch nicht an ihrem Platze. Moller, Schlüter, Heise und Baumeister waren ausgewählt worden, wie wir wissen. Ein Preisgericht hatte die eingegangenen Entwürfe zu begutachten. Ihm gehörten neben Baudirektor Zimmermann, Oberingenieur Vermehren und dem Bildhauer Börner die Museumsdirektoren Justus Brinkmann (Kunst und Gewerbe) und Alfred Lichtwark (Kunsthalle) an. Als Vorlage für die Wettbewerbsteilnehmer hatten zunächst Portraits der Abzubildenden herbeigeschafft werden müssen. Für Heise ergaben sich Schwierigkeiten. Allein die von Milde gestaltete Zeichnung seiner Totenmaske war aufzutreiben, und mehr erhielt der Berliner Bildhauer Eduard Albrecht in Berlin nicht als Vorlage für Heises Figur.

Von Schlüter gab es den schon gezeigten zeitgenössischen Kupferstich. Albrecht porträtierte auch Moller nach einem Kupferstich - dieser zeigt jedoch nicht Vincent Moller, sondern seinen 1657 verstorbenen Sohn Eberhard, der ein Freund des Kupferstechers Frantz Stuerhelt aus Altona war. Wenn wir Alfred Lichtwark nicht als listigen Betrüger ansehen wollen, müssen wir ihn zumindest der Vergeßlichkeit zeihen. Er hatte fünf Jahre zuvor im ersten Band seines Werkes "Das Bildnis in Hamburg" den Kupferstich veröffentlicht und richtig erläutert: "Canonicus Eberhard Moler". Nun, vielleicht sahen sich Vater und Sohn ähnlich.

Mit Baumeister gab es keine Probleme, von ihm existierte die bereits wiedergegebene Fotografie. Seine Figur entwarf der Bildhauer Georges Morin.

Die technische Ausführung der Statue Mollers, der Justitia und der Herolde, die in freier Hand in Form der Kupfertreibarbeit erfolgte, übernahm die Firma Hygien Kiehnel in München. Die drei weiteren Portraitstatuen wurden von der Firma Lind in Berlin angefertigt. Die "Hamburger Nachrichten" vom 6. August 1904 lobten ausdrücklich, daß diese schwierige Kupfertechnik, die eine echte Handwerkskunst sei, hier eine dankbare Aufgabe erhalten habe. Anlaß für das Lob und den Bericht über die Statuen war die Errichtung eines die ganze Mittelfront des Ziviljustizgebäudes einnehmenden Gerüstes, mit dessen Hilfe die Figuren aufgestellt wurden.

Das Ziviljustizgebäude unterscheidet sich - man muß es einräumen - in Geist und Ausführung wenig von den zeitgenössischen "Justizpalästen", die nach Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze überall im Deutschen Reich entstanden und sich nicht zuletzt am Vorbild des Gebäudes des Reichsgerichts in Leipzig orientierten. Die Figuren über dem Hauptportal des Ziviljustizgebäudes jedoch sind bemerkenswert. Mit ihnen wird auf eindrucksvolle Weise der Respekt gegenüber dem traditionsreichen und bewährten, seit 1879 verlorenen Hamburger Partikularrecht bezeugt, dessen Besonderheit eine feste Verankerung im Bewußtsein der Bürger war. Baumeister, lange Jahre Richter am Niedergericht und mit der Praxis vertraut, drückte dies 1856 im Vorwort seines Buches "Das Privatrecht der Freien und Hansestadt Hamburg" in schlichter Sprache aus:

"Ein höherer Wunsch aber würde erreicht sein, wenn auch Mitbürger aus anderen Berufskreisen sich durch die Form der Darstellung ebenso wenig wie durch den mäßigen Umfang der Schrift von der Beschäftigung mit ihrem Gegenstand abgeschreckt fänden... Der Fortbestand des Particularrechtes einer deutschen Stadt wird nur dann erträglich, wenn dasselbe wenigstens, wie in der Zeit seiner Entstehung, das Gemeingut ihrer gebildeten Bewohner ist... Wie in solchen Verhältnissen der Jünger der Rechtswissenschaften eine unreife Gelehrsamkeit wenig nutzbar findet, so mahnen sie auch den Schriftsteller, durch Bestimmtheit des Gedankens und Deutlichkeit des Ausdrucks dem gesunden Verstande erfaßbar zu werden." Tugenden, die man beim Hanseatischen Oberlandesgericht zu suchen hat, dessen Gebäude Gegenstand des nächsten Kapitels sein soll.