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Der Hamburger Anzeiger vom 2. Dezember 1927 berichtete unter der Überschrift "Anbau am Ziviljustizgebäude":
Der Anbau, der wie die Mehrzahl der hamburgischen Staatsbauten von Professor Schumacher entworfen worden ist, wird ungefähr ebenso groß werden wie das heutige Gebäude und in seinem Inneren einen geräumigen Hof enthalten. Es wird sich in seiner Farbgebung nach dem alten Gebäude richten, im Stil jedoch modern sein. Damit soll nicht gesagt werden, daß alter und neuer Gebäudeteil so sehr kontrastieren werden wie die Kunsthalle. Man rechnet für das Gebäude eine Bauzeit von 2 -2 1/2 Jahren. Benötigt wird es schon dringend seit längerer Zeit. Besonders das Grundbuchamt, das heute in den Baudeputationsgebäuden an der Bleichen viel Platz wegnimmt, wartet auf die Fertigstellung des Neubaus sehr."
Ein Aktenvermerk des landgerichtlichen Sekretariats vom 19. Dezember zeigt uns die Größenordnungen, mit denen das Landgericht damals rechnete:
21 Zivilkammern und 19 Kammern für Handelssachen waren unterzubringen. Landgerichtspräsident Dr. Ewald hatte schon 1926 an die Baudeputation - Hochbaudirektion - geschrieben, man habe beim Inkrafttreten der neuen Justizgesetze am 1.10.1879 im Landgericht 3 Zivilkammern und 3 Kammern für Handelsachen eingerichtet. Beim Einzug in das neue Ziviljustizgebäude im Herbst 1903 sei das Gericht bereits angewachsen auf 8 Zivil- und Kammern für Handelssachen. Bei Kriegsausbruch 1914 seien es 13 Zivilkammern und 13 Kammern für Handelsachen gewesen. Zur Zeit des Schreibens waren es 13 Zivilkammern und 15 KfH. Der Landgerichtspräsident rechnete für die Zukunft mit 25 Zivilkammern und 25 Kammern für Handelssachen, "um den voraussichtlichen Bedarf der nächsten 50 Jahre zu decken". Er lag damit gar nicht so falsch, wenngleich er auch die Zahl der Kammern für Handelssachen überschätzte.
Die Planer befaßten sich auch mit der Mitarbeiterfreundlichkeit des Neubaus. Es findet sich in den Akten ein Zeitungsausschnitt unter der Überschrift
Auch die Einrichtung der Diensträume selbst war Gegenstand von Schriftwechsel und Gespräch. Unter dem 21.6.1928 schrieb die Baubehörde - Heiztechnische Abteilung - an die Landesjustizverwaltung, überraschenderweise würden 186 Uhren in den Diensträumen verlangt. Der Kostenvoranschlag sehe aber nur 110 Uhren vor. Man möge die Forderungen einer nochmaligen Durchsicht unterziehen........
Über den Mobiliarbedarf hieß es in einer Anlage zu den Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft vom 25.10.1929:
Im Meldezimmer war alles ein wenig preiswerter: Schreibtisch (140x0,75) 125,- Mark, Schreibtischstuhl 15.- Mark, Kleiderschrank 100.- Mark. 210 m Aktenregale für die Aktenräume im Dachgeschoß kosteten 11.550.- Mark. Für 22 Sitzbänke auf den Korridoren wurden je 75.- Mark berechnet, zusammen 1650.- Mark. Richterschreibtische aus Eichenholz gab es für 350.- Mark, Eichenholzsessel für die Richter zu 65.- Mark.
Für das Amtsgericht beliefen sich die Gesamtkosten des Mobiliars auf Mark 109.828,75, für das Landgericht auf Mark 68.839.- und für die Hausverwaltung auf Mark 20.156,25, insgesamt also auf 198.822.- Mark. Für die Drucklegung der Verdingungsunterlagen wurden noch 7953.- Mark hinzugerechnet, sodaß sich ein Gesamtbetrag von 206.775.- Mark ergab. Diesen Betrag beantragte der Senat unter dem 25.10.1929. Er wurde in der Bürgerschaftssitzung vom 6.11.1929 bewilligt.
Amtsgerichtspräsident Blunck hatte seine individuellen Wünsche, für die er heftig kämpfte. Er schreibt unter dem 20.10.1928 an die Landesjustizverwaltung. Seine beiden Bücherschränke reichten nicht aus, trug er vor, er brauche einen dritten, großen Eckbücherschrank. Er sei bereit, auf zwei von 10 Polsterstühlen zu verzichten, obgleich er "nicht selten von größeren Abordnungen aufgesucht" werde. Er bitte, sein Verzeichnis um einen Schirmständer zu ergänzen.
Dr. Rothenberger - genau der, späterer Oberlandesgerichtspräsident unter der nationalsozialistischen Herrschaft - begann seinerzeit seine Karriere in der Justizverwaltung, wie verschiedene Schreiben zeigen. Er brachte sich am 27. Juli und am 24. August bei der Finanzdeputation mehrfach in Erinnerung wegen der Einwerbung der Mittel für die Mobiliarbeschaffung. Es ging um jeden Aktenbock.
Ein neuer Notstand tat sich auf. Die Hamburger Nachrichten berichteten am 1. März 1929 unter der Überschrift:
"Das Ziviljustizgebäude leidet, wie wir aus Anwaltskreisen erfahren, an einem sehr bedauerlichen Mangel an Telephonen; im Strafjustizgebäude und im Oberlandesgericht sind die Verhältnisse entschieden besser. In dem ganzen Bereich des Ziviljustizgebäudes sind bloß vier oder fünf Telefone vorhanden, die entweder für den Gebrauch durch die verschiedenen Präsidenten bestimmt oder so umlagert sind, daß praktisch kein Ankommen möglich ist. Die großen wie die kleinen Gerichtsschreibereien sind, wie wir hören, ohne Telephone. Wie die Anwälte oder Parteien, die ein dringendes Ferngespräch führen müssen, zu ihrem Recht kommen sollen, ist ganz unerfindlich. Der Justizverwaltung sollte es doch möglich sein, hier einmal schnelle Arbeit zu leisten und eine größere Reihe Telephone in den Gerichtsschreibereien anzubringen. Diese Ausgabe kann nicht besonders groß sein; die Interessenten würden schnelles Handeln mit großer Freude begrüßen."
Am Sonnabend, den 21.6.1930, konnte im Erweiterungsbau des Ziviljustizgebäudes die neue Fernsprechanlage in Betrieb genommen werden. Ob im Altbau schon früher Abhilfe geschaffen wurde, war nicht zu ermitteln.
Am 20. August 1929 meldete der Hamburger Anzeiger unter Abdruck einer Fotografie der rückwärtigen Front des Erweiterungsbaus:
Rings um das Gebäude werden Grünflächen gezogen und den vorhandenen Holstenwallanlagen angepaßt. Im inneren Hof erhält der Erweiterungsbau nach dem alten Ziviljustizgebäude zu einen Rundbau, in dem sich außer Diensträumen eine Wandelhalle für das Publikum befindet, die dreistöckig ist. Sie wurde als Eisenbetonkonstruktion aufgeführt, die später mit Edelputz verziert wird. Das alte Haus ist mit dem neuen durch einen Gang verbunden. An den Treppenhäusern zu beiden Seiten sind je eine Uhr sowie weiter unterhalb das Hamburger Wappen angebracht. Im Mittelbau befindet sich der Haupteingang mit einer weiteren großen Treppenanlage.
Der linke Flügel des Neubaus wird Diensträume des Landgerichts, der rechte Flügel solche des Amtsgerichts enthalten. Im Mittelbau werden 14 Abteilungen für das Grundbuchamt untergebracht. Das Dachgeschoß soll zur Lagerung von Akten dienen.
Zur Zeit ist man mit Putzarbeiten beschäftigt; auch die Mechaniker haben ihre Tätigkeit begonnen, Heizungs- und Lichtanlagen werden geschaffen. Der Entwurf des Erweiterungsbaus, der in glücklicher Weise die Anlage am Holstenplatz abschließt, und sich harmonisch dem Ziviljustizgebäude anpaßt, stammt von Oberbaudirektor Schumacher."
Im Februar 1930 wurde der Durchbruch zwischen Alt- und Neubau vollzogen, ein wichtiger Schritt im Fortgang der Bauarbeiten.
Eine Ergänzung erfuhren jetzt auch die Außenanlagen am alten Ziviljustizgebäude. Im April 1930 wurde das Reiterstandbild Kaiser Wilhelm I. mit den Allegorien seiner Gesetzeswerke und der sie zusammenfassenden Marmorbank vom Rathausmarkt an die Ostseite des Ziviljustizgebäudes versetzt, wo das Ensemble bis zur Gartenbauausstellung 1962 verblieb. Die Hamburger empfanden die Umsetzung als herben Verlust eines beliebten Treffpunktes. "Unter dem Schwanz von Wilhelms Pferd" trafen sich zwischen 1903 und 1930 zahllose Hamburger und Hamburgerinnen zum Rendezvous. Die leicht erhöhte, halbkreisförmige Anlage rings um das Reiterstandbild mit Ruhebänken aus Granit bot eine angenehme Sitzgelegenheit. Ob sie auch an ihrem neuen Standort soviel Anklang fand, ist nicht überliefert.
Es ging also voran. Baurat Riedel schrieb am 1.7.1930 an die Landesjustizverwaltung, der Neubau werde bis Ende der Woche fertiggestellt sein - die Übergabe solle am Sonnabend, den 5. Juli 10.30 vormittags stattfinden. Der Vorstand der Landesjustizverwaltung mit Sitz in der Welckerstraße 9 teilte unter dem 3. Juli 1930 dem Landgerichtspräsidenten mit, daß sie den Erweiterungsbau am Sonnabend, den 5. Juli 1930, 10 1/2 Uhr übergeben wolle und bat ihn, die Feierstunde zu leiten. Dr. Ewald kam diesem Auftrag nach. Er hielt an Stelle des verhinderten Vorstandes der Landesjustizverwaltung, Senator Nöldeke, eine Rede an den "Hochverehrten Herrn Oberbaudirektor und die sehr geehrten Herren". Er danke allen, die an dem Bau mitgewirkt hatten. Neben Schumacher sprach er den Dank der Stadt auch Baurat Riedel für die zügige Ausführung aus:
Die Entlastung des Haupteinganges wird aber erst dann zu erreichen sein, wenn die Zugänge nach dem Seiteneingang im Verbindungsbau am Holstenwallflügel fertiggestellt sein werden. Daran hindern zur Zeit noch die Arbeiten an der Denkmalsanlage.
Ich wäre daher für eine größtmögliche Beschleunigung dieser Arbeiten und weiter für eine Äußerung darüber dankbar, ob es möglich sein würde, vom Sievekingplatz her einen Zugang nach dem Seiteneingang unmittelbar hinter dem Denkmal an der Gebäudefront entlang zu führen. Hier wäre alsdann eine Richtungstafel mit entsprechender Aufschrift anzubringen."
Zu dieser Zeit, im Spätsommer 1930, befand sich Hamburg schon auf dem Weg in den Nationalsozialismus.
Der Einbruch der Weltwirtschaftskrise traf
die Hamburger Wirtschaft durch die internationale Depression im Winter
1929/1930 besonders schwer. Die Arbeitslosigkeit wurde zu einem immer drückenderen
menschlichen, gesellschaftlichen und politischen Problem. Die Zahl der
Arbeitssuchenden wuchs in Hamburg von rund 50.000 Ende 1928 auf knapp 100.000
Ende 1930. Die Reihenuntersuchungen in den Schulen zeigten, daß der
Gesundheitszustand der Kinder wieder ebenso schlecht war wie nach den Hungerjahren
des Ersten Weltkrieges. Die NSDAP hatte seit 1930 überall Erfolge
zu verbuchen. Sie suggerierte auch Fernerstehenden den Glauben an die Kraft
der NSDAP, aller Schwierigkeiten Herr werden zu können. Sie wuchs
just zur Zeit der Fertigstellung des Anbaus zum Ziviljustizgebäude
bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 zur zweitstärksten
Partei. In Hamburg hatte sie ihren Durchbruch bei den Bürgerschaftswahlen
am 27. September 1931. Sie wurde nach der SPD zweitstärkste Partei.
Aus den Neuwahlen am 24. April 1932 ging die NSDAP mit 31,2 % der Stimmen
als die stärkste Partei hervor. Gauleiter war seit dem 15. April 1929
Karl Kaufmann. Welche Veränderungen sich für die Hamburger Justiz
anbahnten, ahnten im September 1930 die wenigsten. "Ein Hort des lauteren
Rechts und der Gerechtigkeit", hatte Dr. Ewald gewünscht, möge
das Ziviljustizgebäude sein. Was mit den Justizgebäuden in der
Folgezeit geschah, soll in späteren Folgen dieser Artikelserie untersucht
werden.