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Teil XIV
- Das "Baumartyrium" -

Anfang 1995 war im Ziviljustizgebäude - in der Grundbuchhalle - eine Ausstellung mit Zeichnungen Fritz Schumachers zu sehen. Die klaren, schönen Architekturzeichnungen des Anbaus zum Ziviljustizgebäude lassen kaum ahnen, welche Mühe hinter diesen Entwürfen steckt und wieviele Unsicherheiten und Diskussionen zu überwinden und zu bestehen waren. Verfolgen wir diese weiter:

Auf das Schreiben Schumachers vom 8.11.1926, in dem er in hörbar verärgert die Befriedigung aller Bedürfnisse der Gerichtspräsidenten als unmöglich abgelehnt und um Reduzierung der Raumforderungen gebeten hatte, wurden die Präsidenten des Land- und Amtsgerichts von Seiten der Senatskommission für den Verwaltungsdienst unter dem 11.11.1926 ersucht, "erneute, den dortigen Wünschen entsprechende Vorschläge bezüglich der Raumverteilung zu machen." Der Appell fruchtete: Man hielt die Begehrlichkeit im Zaume.

Schumacher konnte nun an die Gestaltung selbst gehen und fügte einem Brief vom 14.12.1926 an die Präsidenten von Amts- und Landgericht eine neue Ausarbeitung der Pläne bei, in der er "dem Gedanken der Konzentrierung des Grundbuchamtes in der Mitte" nachging. Der federführende Amtsgerichtspräsident Blunck war einverstanden, wie er am 28.12.1926 mitteilte. Er wies darauf hin, daß durch den Neubau die Bedürfnisse der Zivilgerichte für möglichst lange Zeit befriedigt werden sollten. Andererseits dürften aber allzu hohe Ansprüche die Baukosten nicht so anschwellen lassen, daß die Genehmigung aus finanziellen Gründen gefährdet werde. Blunck sprach sich deswegen dafür aus, die Holstenwallanlagen nicht in noch größerem Umfang in Anspruch zu nehmen, sondern die Flächenvermehrung an der inneren Rückseite des geplanten Gebäudes in geringerer Höhe und als Halbrundbau auszuführen. Dieser Ausbau solle im wesentlichen das Grundbuchamt aufnehmen. Hier gewinnt die Grundbuchhalle langsam Gestalt.

Mit Schreiben vom 4.4.1927 übersandte Schumacher der Baudeputation die Baubeschreibung. Er legte darin seine planerischen Grundvorstellungen dar:

"Die Disposition des neuen Bauwerks ist so getroffen, daß es sich trotz der körperlichen Verbindung vom Altbau loslöst, Zu diesem Zweck ist Sorge getragen, daß sich die Eckrisalite auf der Rückseite frei lösen und die Verbindung erst hinter ihnen eintritt. Ferner ist diese Loslösung dadurch zu erreichen gesucht, daß die Grundform des Bauwerks - polygonal aufgelöstes Bogensegment - die rechtwinklige Grundform des Altbaus nicht fortsetzt, sondern in weicherer Art ausklingen läßt. Dies erscheint auch in Rücksicht auf den Charakter des Stückes Natur, in das der Bau eingreift, wünschenswert. Die gerundete Form paßt sich dem Anhang besser an, auf dem das Gebäude steht." Schumacher hob weiter hervor, daß durch eine teilweise Tieferlegung des Hofes das Untergeschoß gut beleuchtet werde und zusätzliche Nutzräume schaffe. Den zentralen Teil dieses Baukörpers beschreibt Schumacher so: "Das Grundbuchamt ist so in die Baumasse eingefügt, daß es durch Keller-, Erd- und drei Geschosse hindurch das Zentrum der neuen Anlage einnimmt. Es gruppiert sich um eine große Publikumshalle, an der in offener Architektur die Hauptreppe durch drei Geschosse hindurch sichtbar ist, die Korridore der oberen Geschosse umgeben als offene Gänge die Halle. Sie hat Oberlicht. Der runde Ausbau dieser Mittelhalle beherrscht den neu sich bildenen Innenhof zwischen Altbau und Neubau." Das ist sie, wie wir sie heute kennen - die Grundbuchhalle. Daß gerade im Jahre des 125. Geburtstages hier eine Ausstellung von Zeichnungen und Modellen in dieser Halle stattfand, machte Schumachers Werk in hohem Maße lebendig.

Zurück zu den Planungen 1926/27. Amts- und Landgericht sollten im Anbau den Dienstraum des jeweiligen Präsidenten nebst der für den "Präsidialbetrieb" notwendigen Räume erhalten. Schumacher beschrieb das Innere des Gebäudes schon in folgenden Einzelheiten:

"Die Konstruktion des Gebäudes soll in der für staatliche Dienstgebäude üblichen Ausführungsart erfolgen. Die Decken werden massiv, und die Böden erhalten in der Hauptsache Linoleumbelag. Die Fronten des Gebäudes sollen mit Klinkern verblendet werden. Die Fenster sind als Doppelfenster konstruiert. Das flache Dach wird massiv hergestellt.....Alle Diensträume erhalten Wasseranschluß und elektrische Beleuchtung." Insgesamt wies der Neubau eine Nutzfläche von 9500 qm auf. Der gleichzeitig eingereichte Kostenanschlag belief sich auf RM 2.105.000 für die Hochbauarbeiten zuzüglich RM 730.000.- für die Arbeiten der Heiztechnischen Abteilung und RM 65.000.- für die Umänderung der Fernsprechanlage im Altbau. Die Gesamtkosten betrugen RM 2.900.000.- einschließlich der Um- und Durchbruchkosten für den Anschluß zum Altbau und des neuen Feuerwehrzufahrtweges. Ein stattlicher Betrag, der zu bewilligen war. So gut ging es Hamburg nicht.

Die Baudeputation tagte am 7. April 1927. Schumacher erläuterte dort seinen Bericht. Die Deputation beschloß, dem Projekt zuzustimmen und es an die Senatskommission für die Justizverwaltung zur Einwerbung der Mittel weiterzuleiten. Unter dem 14 Oktober 1927 übersandte die Hochbaudirektion in einer Zuschrift an die Senatskanzlei und die Senatskommission für die Justizverwaltung neue Kostenanschläge mit der Bitte, diese gegen die vorliegenden auszutauschen. Die veranschlagten Kosten waren auf 3.045.000.- RM gestiegen. Schumacher beantragte mit Schreiben vom 12.10.1927, diese Summe einzusetzen. Er wies darauf hin, daß bei Aufstellung des Kostenanschlages die Teuerungszahl 168 %, jetzt aber 176 %, also 5 % mehr betrage, weil am 7.4.1927 und 28.9.1927 Lohnerhöhungen im Baugewerbe eingetreten seien.

Unter dem 12.10.1927 heißt es in Beschreibung der Gründe für den Neubau in den Mitteilungen Senat an die Bürgerschaft:

"Das jetzige Ziviljustizgebäude am Sievekingplatz ist im Jahre 1903 von den Gerichten bezogen worden. Die seit dieser Zeit ständig wachsende Bevölkerungszahl Hamburgs hat schon im Jahre 1911 die Notwendigkeit ergeben, in Verhandlungen über eine Erweiterung des Gebäudes einzutreten, die jedoch wegen des Krieges zu keinem Abschluß kamen. Schon bei normaler Entwicklung hatten sich die der Justizverwaltung für die Gerichtsbetriebe zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten als unzureichend erwiesen. Die wirtschaftliche Lage seit Beendigung des Krieges und die durch sie bedingte Entwicklung der Gesetzgebung haben aber ein derartig starkes Wachsen des Geschäftsganges der Gerichte zur Folge gehabt, daß es unumgänglich ist, für die Zivilgerichte neuen Platz zu schaffen.

Am stärksten ist das Bedürfnis für das Grundbuchamt, das zur Zeit im Verwaltungsgebäude Bleichenbrücke völlig unzureichend untergebracht ist. Schon in dem Jahre 1913 stellte der Senat einen Antrag auf Errichtung eines Neubaus für das Grundbuchamt auf dem Platz des ehemaligen Thaliatheaters. Der von der Bürgerschaft seinerzeit eingesetzte Ausschuß schlug in seinem Bericht vom Februar 1914 vor, diesen Antrag abzulehnen, weil der auf dem genannten Platz zur Verfügung stehende Raum keine Ausdehnungsmöglichkeit gewähre und für den gedachten Zweck viel zu klein sei. Die Notwendigkeit eines Neubaus für das Grundbuchamt wurde von ihm aber durchaus anerkannt. Die Bürgerschaft schloß sich den Gründen des Ausschusses an und lehnte in ihrer Sitzung vom 6. März 1914 die Senatsvorlage ab. Inzwischen ist der Geschäftsgang beim Grundbuchamt ganz erheblich gestiegen. Nicht nur das Aufwertungsverfahren, das die mit dem Grundbuchamt verbundenen Aufwertungsstellen noch mehrere Jahre beschäftigen wird, sondern auch das Anwachsen der Parzellierungen und Auflassungen, die durch die Erschließung neuer Gebietsteile und durch die zunehmende Bautätigkeit verursacht sind, lassen es erforderlich erscheinen, die Anzahl der Abteilungen beim Grundbuchamt um das Doppelte zu vermehren. Hinzukommt, daß das Arbeiten in den wegen Mangel an ausreichendem Tageslicht elektrisch beleuchteten Kellerräumen für Beamte und Angestellte auf die Dauer gesundheitsschädlich ist.

Auch der Geschäftsgang beim Land- und Amtsgericht in Zivil- und Handelssachen ist ständig gestiegen. Die Vermehrung der Abteilungen und Kammern hat zur Folge gehabt, daß nur je 1 Richterzimmer beim Landgericht für sechs Richter und beim Amtsgericht für 2 bis 3 Richter zur Verfügung steht. Ferner haben die Leiter der Gerichtsschreibereien nicht mehr wie früher ihr eigenes Zimmer. Dies ist aber im Interesse der Arbeit und der Prozeßparteien durchaus unerwünscht.

Unter diesen Umständen sind durchgreifende Maßnahmen nötig, die sich nur durch eine Erweiterung des Ziviljustizgebäudes verwirklichen lassen.

Gegen die Erbauung eines neuen Gerichtsgebäudes in einem anderen Stadtteil sprechen verschiedene Gründe: Nicht nur daß dieser Plan erheblich teurer würde, gegen ihn sprechen vor allem die Interessen der Anwaltschaft, die Schwierigkeiten der Abgrenzung der Bezirke sowie die Verteuerung der Verwaltung und notwendige Vermehrung des Richterpersonals. In Berlin sind mit der Dezentralisierung so schlechte Erfahrungen gemacht, daß der Haushaltsausschuß des Preußischen Landtages beschlossen hat, die Regierung zu ersuchen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Dezentralisierung rückgängig zu machen................."

Die Mitteilungen enden mit dem Antrag des Senats, "Die Bürgerschaft wolle beschließen, daß für den Erweiterungsbau des Ziviljustizgebäudes 3.045.000 RM bewilligt werden und die Finanzdeputation ermächtigt wird, diesen Betrag auf dem Anleihewege zu beschaffen." Auf Vorschlag Senator Nöldekes wurde in die Bürgerschaftssitzung vom 19. Oktober 1927 neben dem Referenten Oberbaudirektor Schumacher Amtsgerichtspräsident Blunck als Senatskommissar entsandt.

Auf den Antrag des Senats Nr. 299 (vom 12. Oktober 1927) Erweiterung des Ziviljustizgebäudes, bewilligte die Bürgerschaft zunächst einen Betrag von 3 000 000 RM und behielt sich ihre Beschlüsse im übrigen vor. Sparen sollte und wollte man. Ins Auge fielen die Paternosteranlagen in den seitlichen Treppenaufgängen. Ferner wurde eine Verbilligung in den Sanitärräumen diskutiert.

Am 15. Dezember 1927 tagte der "Betreffend Erweiterungsbau des Ziviljustizgebäudes" niedergesetzte Ausschuß. Als Senatsvertreter wurden Amtsgerichtspräsident Dr. Blunck, Regierungsdirektor Dr. Meyer und zwei von der Baudeputaiton zu benennende Herren entsandt. Vom 13.12.1927 datiert ein Vermerk Schumachers: "Ich schlage mich selber für das Hochbauwesen vor."

Mitglieder des am 19. Oktober 1927 von der Bürgerschaft wegen der noch nicht bewilligten 45 000 RM eingesetzten Ausschusses, der im Mai 1928 seinen Bericht abgab, waren Dr. Brinckmann (Schriftführer), Dr. Eddelbüttel (Vorsitz) und die Herren Fraatz, Günther, Gundelach, Paeplow, Dr. Pardo. Schumacher erläuterte das Projekt an Hand eines Modells und verschiedener Pläne. Der geplante Anbau nahm danach einen großen Teil der nach dem Wallgraben abfallenden Rasenfläche ein.

Der Ausschuß hatte seine Arbeiten bereits abgeschlossen, als "der Berichterstattung durch Selbstauflösung der Bürgerschaft ein Ziel gesetzt wurde". Die am 28. Februar 1928 neu gewählte Bürgerschaft setzte zur Fortsetzung der Beratungen einen Ausschuß ein, der aus den selben Mitgliedern bestand, man konnte von einer nochmaligen Beratung absehen. Das Vordergebäude sollte nach wie vor beiden Gerichten dienen, weil deren Raumbedarf schwanke. Die Konkursabteilungen und die freiwillige Gerichtsbarkeit sollten nach der Drehbahn verlegt werden. Die Anwälte äußerten im Ausschuß den Wunsch nach großen Warteräumen, der aber zurückgewiesen wurde. Die Anwaltschaft wünschte sich ferner Räume, in denen während der Sitzungspausen gearbeitet werden könne. Die Senatsvertreter erklärten sich damit einverstanden, daß nach Fertigstellung des Erweiterungsbaus die Berufsorgansationen der Anwälte bei der Beschaffung der erforderlichen Neueinrichtungen mit zu Rate gezogen werden sollten.

In den Diskussionen wurde auch darauf hingewiesen, daß die Notwendigkeit einer besseren Kennzeichnung der Nummerierung der Zimmer und einer Verbesserung der Orientierungstafeln bestehe. Auch die Befriedigung dieser Wünsche sagten die Senatsvertreter zu. Sie haben es bis heute nicht gehalten. Umherirrende Besucher sind seither in den Fluren des Gebäudes ein gewohntes Bild.

Der Ausschuß erklärte sich mit den Ausführungen zufrieden und kam übereinstimmend zu der Ansicht, daß gegen die Zweckmäßigkeit des Projektes Einwendungen nicht zu erheben seien. Der Vertreter der kommunistischen Fraktion erklärte, daß seine Fraktion aus prinzipiellen Gründen jede Bewilligung für ein Justizgebäude ablehne. Der Ausschuß beschloß daher bei einer Gegenstimme zu beantragen: "Die Bürgerschaft bewilligt für den Erweiterungsbau des Ziviljustizgebäudes (Senatsantrag Nr. 299/27) auch die restlichen 45 000 RM."

Am 7.2.1928 bat Schumacher die Hochbaudeputation, den Bildhauer Kuöhl Skizzen für die äußeren Bildhauerarbeiten fertigen zu lassen. Es sei notwendig, frühzeitig mit dem Bildhauer in Verbindung zu treten, weil die Bassengrößen für die Bildhauerarbeiten festgelegt werden müßten.

Schumacher übersandte 3 Blatt Detailzeichnungen (1:20) der Ausbildung der Oberlichthalle und der seitlichen Treppenläufe sowie ein Naturdetail zur Betonsäule. Die Betonoberflächen sollten dabei hausteinmäßig bearbeitet werden. Er schrieb: "Zu den Keramikarbeiten in den Brüstungen und an den Deckengesimsen der Oberlichthalle werden vom Bildhauer Modelle geliefert"

Schumacher sorgte sich in der Tat um Details. Er fertigte Entwurfszeichnungen für den Ausbau der Präsidentenzimmer. Ob Geld für die Ausführung in Eiche vorhanden sei, wurde in Frage gestellt. Die Zeichnungen für die Eingänge die eisernen Abschlußgitter der Hofeinfahrten, die Beleuchtungskörper in der Wandelhalle, die äußere Beleuchtung, Details für die Durchfahrttore, für die Pflasterarbeiten der seitlichen Treppen, der Füllungs- und Oberlichtgitter, der Tischlerarbeiten für die Eingangstüren stammen von ihm selbst. Schumacher bat auch darum, von den Treppengeländern ein Probestück anfertigen zu lassen. Sogar um die Beschriftung kümmerte er sich selbst. Mit Schreiben vom 20. Mai 1930 bat er die 4. Hochbauabteilung:

"Zum Neubau des Ziviljustizgebäudes wird anliegende Schriftzeichnung übersandt. Ich bitte einige Buchstaben in modellmäßiger Ausführung über dem Eingang zum Grundbuchamt zur Probe anbringen zu lassen, um die Entscheidung beim nächsten Baubesuch treffen zu können." Wie man sieht, überließ er nichts dem Zufall. So wurde ein Werk aus einem Guß geplant - und schließlich auch ausgeführt. Davon soll im nächsten Abschnitt die Rede sein.