Präsident des BVerfG Professor Dr. Hans-Jürgen Papier,von Wolfgang Hirth gefertigter Auszug
Zur Selbstverwaltung der Dritten Gewalt,
NJW 2002, 2585
"...
I. Einleitung
...
II. Die aktuelle Diskussion um eine Selbstverwaltung der Dritten
Gewalt
...
Den folgenden Erörterungen liegt vor allem das Abschlusspapier
zu Grunde, das die Arbeitsgruppe Selbstverwaltung des Deutschen Richterbundes
im März dieses Jahres veröffentlicht und zur Diskussion gestellt
hat9.
...
III. Selbstverwaltung der Dritten Gewalt als Gebot des Gewaltenteilungsprinzips?
...
Ein striktes Gebot der Gewaltentrennung, das sich für die Forderung
nach einer Selbstverwaltung der rechtsprechenden Gewalt fruchtbar machen
ließe, enthält diese Bestimmung" (scil.: Art. 20 II GG) "jedoch
nicht. Überhaupt ist das Gewaltenteilungsprinzip mit der Fixierung
auf den Aspekt der Trennung und der wechselseitigen Hemmung nur einseitig
und verzerrt erfasst. Denn es geht nicht allein um die Trennung, sondern
daran anschließend vor allem um die sachgerechte Zuordnung und Balancierung
der Teilgewalten13.
Ähnliches gilt für den Gesichtspunkt der Mäßigung
der Staatsmacht, die durch Gewaltenteilung bewirkt werden soll. Über
dieser sicherlich zentralen Funktion des Gewaltenteilungsprinzips darf
nicht in Vergessenheit geraten, dass es dabei vorrangig um Missbrauchsabwehr,
nicht aber um eine Lähmung der Staatsgewalt, gewissermaßen als
Selbstzweck, geht. Gewaltenteilung ist vielmehr stets auch - positiv -
gerichtet auf ein Zusammenwirken der Teilgewalten im Interesse einer möglichst
effektiven staatlichen Aufgabenerfüllung.
Gewaltenteilung darf ferner nicht, jedenfalls nicht bei der hier interessierenden Fragestellung, in einem vorverfassungsrechtlichen oder überpositiven Sinne verstanden werden. Natürlich steht die Gewaltenteilungslehre in einer geschichtlichen Tradition, die vor allem mit dem Namen Montesquieus verbunden ist14. Maßgeblich für die Beantwortung aktueller Rechtsfragen kann jedoch immer nur die konkrete verfassungsgesetzliche Regelung sein. Auch hierbei darf nicht bei einer allgemeinen Norm, wie der des Art. 20 II 2 GG, stehen geblieben werden. Inhalt und Tragweite des Gewaltenteilungsprinzips ergeben sich vielmehr aus der Gesamtheit der staatsorganisationsrechtlichen Bestimmungen und deren systematischen Zusammenhang. Schon ein nur kursorischer Blick, etwa auf die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren, zeigt, dass sich das Grundgesetz insoweit durch eine vielfältige Verschränkung und ein differenziertes Zusammenwirken der Staatsgewalten auszeichnet. Zu den typischen Mitteln der Mäßigung der Staatsgewalt gehört dabei gerade auch, dass die Amtswalter einer Teilgewalt durch Funktionsträger einer anderen Teilgewalt vorgeschlagen, gewählt oder ernannt und schließlich kontrolliert werden15.
Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang - schließlich - die pauschale Berufung auf ausländische Rechtsordnungen. Insbesondere der „Oberste Rat der Richterschaft“ in Italien und der „Allgemeine Rat der Gerichtsgewalt“ in Spanien werden insoweit vielfach als Belege für eine europaweite Entwicklung und als Vorbild für die Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz in Deutschland herangezogen16. Auch bei einem solchen Blick über die Grenzen dürfen freilich nicht bloß einzelne Regelungen oder Institutionen der dortigen Rechtsordnung isoliert herausgegriffen werden. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Systemvergleich, der voraussetzt, dass die Stellung und Funktion der rechtsprechenden Gewalt im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Staatsverfassung begriffen wird. Erforderlich ist ferner, dass in einen solchen Vergleich auch die praktische Umsetzung und das unterschiedliche politische Umfeld, in denen die jeweiligen Regelungen zum Tragen kommen, mit einbezogen werden. Beide Gesichtspunkte werden nach meinem Dafürhalten in der gegenwärtigen Diskussion vielfach nicht hinreichend beachtet. Ein solcher umfassender Vergleich kann naturgemäß auch im vorliegenden Rahmen nicht geleistet werden. Dennoch sind Zweifel angebracht, ob den ausländischen Selbstverwaltungssystemen wirklich jene Modellfunktion für Deutschland zukommen kann, wie sie ihnen teilweise zugeschrieben wird17. Den Länderberichten von Mariuzzo für Italien18 und von Manzanares Samaniego für Spanien19, auf die sich Befürworter einer Selbstverwaltung der Justiz häufig berufen, lassen sich jedenfalls durchaus auch kritische Zwischentöne entnehmen.
2. Wendet man sich den einzelnen Regelungen des Grundgesetzes zu, so
ist zunächst festzuhalten, dass eine Selbstverwaltung der Gerichte
nicht aus der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in
Art. 97 GG abgeleitet werden kann. Die Garantie richterlicher Unabhängigkeit
hat - trotz begrifflicher Parallelen - eine andere Schutzrichtung als die
rechtspolitische Idee einer Autonomie oder Selbstständigkeit der Dritten
Gewalt. Richterliche Unabhängigkeit ist - zum einen - verbunden mit
dem Status des Richters. Sie zielt dagegen nicht auf eine institutionelle
Unabhängigkeit der Gerichte20.
...
An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts dadurch, dass über
Personalentscheidungen oder Mittelzuweisungen mittelbar auf die richterliche
Tätigkeit Einfluss genommen werden kann. Es ist unbestreitbar, dass
derartige Einflussnahmen möglich sind, und unter anderem hiergegen
richtet sich die Garantie richterlicher Unabhängigkeit. Dass die Justizverwaltung
die richterliche Unabhängigkeit zu beachten hat, bedeutet jedoch nicht,
dass ihr Aufgabenbereich deshalb - gleichsam als Annex - der rechtsprechenden
Gewalt zuzuordnen wäre. Wenn in diesem Zusammenhang darauf verwiesen
wird, dass beispielsweise auch dem Bundestag und insbesondere dem BVerfG
eigene personal- und haushaltsrechtliche Befugnisse zustehen24,
so beruht diese weitergehende Autonomie im Wesentlichen auf deren Stellung
als Verfassungsorgan. Sie lässt sich daher nicht auf die Justiz insgesamt
übertragen.
3. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Regelungen des Grundgesetzes über die Berufung bzw. Anstellung der Richter, in denen bestimmte Zuständigkeiten der Exekutive von Verfassungs wegen festgeschrieben sind, unter dem Blickwinkel des Gewaltenteilungsprinzips durchaus konsequent25.
...
Im Gegenteil: Einige verfassungsrechtliche Bestimmungen, insbesondere
Art. 95 II und 98 IV GG, setzen der Forderung nach mehr Selbstständigkeit
für die Dritte Gewalt Schranken. Von diesen Schranken abgesehen,
ist das Gewaltenteilungsprinzip andererseits so inhaltsoffen, dass sich
- unter dem Blickwinkel zunächst nur dieses Prinzips - durchaus Spielräume
für Kompetenzverlagerungen ergeben können.
IV. Probleme der demokratischen Legitimation, insbesondere eines Justizverwaltungsrats
Die Bindung aller staatlichen Organe an Gesetz und Recht (Art. 20 III
GG) ist dabei als sachlich-inhaltliche Legitimation allein nicht
ausreichend. ...
Ob sich durch die „Zwischenschaltung“ des Landtagspräsidenten
als Dienstvorgesetzten der Mitglieder des Justizverwaltungsrats eine vergleichbare
Legitimations- und Verantwortlichkeitsbeziehung herstellen lässt,
erscheint dagegen äußerst zweifelhaft.
...
Soll die demokratische, insbesondere die sachlich-inhaltliche Legitimation
künftig nicht mehr über die Justizminister, also über die
Zweite Gewalt, verlaufen, so muss sie unmittelbar von den Landesparlamenten
geleistet werden.
...
V. Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte bei Personalentscheidungen
...
Die Vorschläge des Richterbunds sehen keine Entscheidungs-
oder Mitentscheidungszuständigkeit des jeweiligen Landesjustizministers
in Personalangelegenheiten mehr vor. Soweit es um die Anstellung von Richtern
geht, verstößt dies, wie bereits im Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsprinzip
angesprochen, gegen Art. 98 IV GG.
...
Für diese Entscheidungen setzt das Selbstverwaltungsmodell des
Richterbunds daher in jedem Falle eine Verfassungsänderung voraus.
...
d) Verfassungsrechtliche Grenzen bestehen schließlich für
die Beteiligung von Mitbestimmungsgremien, insbesondere des Richterrats.
Das BVerfG hat hierzu in seinem eben zitierten Beschluss zum schleswig-holsteinischen
Mitbestimmungsgesetz entschieden, dass bei personellen Maßnahmen,
wie den hier in Rede stehenden, die parlamentarische Verantwortlichkeit
keine substanzielle Einschränkung erfahren darf; jedenfalls auf der
letzten Stufe der Willensbildung und Entscheidungsfindung darf deshalb
das Votum eines Mitbestimmungsgremiums nur den Charakter einer Empfehlung
haben47.
...
Verbindlicher materieller Maßstab für jede Personalentscheidung
ist Art. 33 II GG: Alle Personalentscheidungen müssen allein nach
Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Bewerber ergehen.
... Es wäre andererseits aber eine Illusion zu glauben, dass Entscheidungen
durch richterliche Gremien oder in richterlicher Selbstverwaltung
per
se unpolitisch wären. Auch hier gibt es Interessenfraktionen,
sei es parteipolitischer oder standespolitischer Art oder auch nur in der
Form von Karriereseilschaften48.
... Ich kann dies nicht in Zahlen belegen, aber ich glaube, dass sich
die Justizverwaltung - von singulären Fällen abgesehen - auf
das Ganze gesehen eher als Garant einer sachlichen Personalpolitik und
als Schutz richterlicher Unabhängigkeit bewährt hat denn als
ihre Bedrohung. Eine besondere Funktion der Justizverwaltung liegt im Übrigen
auch darin, eine langfristige und kontinuierliche Personalpolitik
zu gewährleisten.
...
VI. Eigene Haushaltsverantwortung der Dritten Gewalt?
...
In der Tat dürfte ein unmittelbares Rederecht im Plenum oder im
Haushaltsausschuss des Parlaments kaum geeignet sein, den Verlust an Einwirkungs-
und Verhandlungsmöglichkeiten zu kompensieren, über die ein durchsetzungskräftiger
Justizminister als Regierungs- und in der Regel auch Parlamentsmitglied
im Kabinett, in der Fraktion und in den Parteigremien verfügt. Der
Haushalt der Justiz kann, auch wenn er von der Dritten Gewalt unmittelbar
dem Parlament vorgelegt wird, nicht isoliert erörtert und beschlossen
werden. Er kann nur - mit allen daraus resultierenden Beschränkungen
und Zwängen - als Teil des Gesamthaushalts und damit als Teil eines
politischen Gesamtkonzepts verabschiedet werden. In diesem Gesamtkonzept
aber können die Belange der Rechtsprechung per se keinen unbedingten
Vorrang und keine unbedingte Priorität vor anderen politischen Zielen
beanspruchen. Der Ausgleich etwa mit den Zielen der inneren und äußeren
Sicherheit, der Bildung und der Gesundheitsfürsorge, der sozialen
Absicherung und der Förderung der Wirtschaft ist genuine Aufgabe der
Politik und - was das Haushaltsverfahren betrifft - eines komplexen Zusammenwirkens
von Verwaltung, Regierung und Haushaltsgesetzgeber. Ob ein isoliert agierender
Justizverwaltungsrat in diesem Kräftespiel die finanzielle Situation
der Dritten Gewalt wirklich verbessern könnte, erscheint sehr zweifelhaft.
Bereits im Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsprinzip wurde darauf hingewiesen,
dass Beteiligungsrechte im Haushaltsverfahren - je nach konkreter Ausgestaltung
- Änderungen der Verfassung voraussetzen könnten52.
Unabhängig davon stößt jedenfalls auch praktisch gesehen
der Versuch, die Dritte Gewalt insoweit als selbstständigen Akteur
in das parlamentarische Regierungssystem einzupassen, an deutliche Grenzen.
14Zu diesen historischen Wurzeln vgl. Stern, Staatsrecht, II, 1980, § 36 III.
15Vgl. hierzu die Beispiele bei Stern (o. Fußn. 14), § 36 IV 4c.
16Vgl. in diesem Sinne zuletzt etwa Häuser, Betrifft Justiz 70 (2002), 340. Zum dänischen Gerichtsverwaltungsrat vgl. Feier, DRiZ 2001, 436. Weitere Hinweise bei Mackenroth/Teetzmann, ZRP 2002, 337 (338ff.).
17Zweifelnd etwa auch Mertin, ZRP 2002, 332 (334).
20Sehr
klar hierzu schon Mahrenholz, DRiZ 1991, 432 (433).
...
24So
für die Personalhoheit z.B. Groß, ZRP 1999, 361 (362).
25Vgl.
in diesem Sinne auch Ehlers, Verfassungsrechtliche Fragen der Richterwahl,
1998, S. 28ff., 35ff. Nach Groß, ZRP 1999, 361 (363), sollen
diese Regelungen dagegen als eine zwar zulässige, aber vom Grundprinzip
abweichende Ausgestaltung der Gewaltenteilung zu verstehen sein, die deshalb
restriktiv auszulegen sei.
...
47BVerfGE93,
37 (72f.) = NVwZ 1996, 574. Vgl. hierzu im Zusammenhang richterlicher Mitbestimmungsrechte
auch Mackenroth/Wilke, DRiZ 2001, 148 (152).
48Oder
in den Worten von Mahrenholz, DRiZ 1991, 432 (433): „Kooptation
endet regelmäßig in Klüngelwirtschaft“.
...
52O.
III am Ende.
53Hiervon gehen z.B. Mackenroth/Teetzmann, ZRP 2002, 337 (341), aus.
54Vgl. hierzu im Kontrast die Bestandsaufnahme bei Mackenroth/Teetzmann, ZRP 2002, 337 (338).