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Dr. Lars Lütgens (RiLG
Neuruppin; abgeordnet an das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg in
Potsdam)
Das Selbstverwaltungsprojekt der Dritten Gewalt
ZRP 2009, 82
(Auszüge ausgewählt von RiLG Wolfgang Hirth)
I.
Einleitung
…
II. Selbstverwaltung der Justiz im „Zwei-Säulen-Modell“
Ausgangspunkt ist das so genannte „Zwei-Säulen-Modell“, das durch zwei neu zu
schaffende Gremien geformt werden soll, namentlich dem Justizwahlausschuss und
dem Justizverwaltungsrat. …
III. Demokratische Legitimationsanforderungen
...
1. Der Modus der Legitimationsvermittlung
… Demokratische Legitimation ist mithin grundlegend in eine personelle und in
eine sachlich-inhaltliche Komponente unterteilbar. …
2. Bewertung
Bereits an den Anforderungen der personellen Legitimation scheitert das
Selbstverwaltungskonzept des DRB:
Indem das Prinzip der Volkssouveränität über Art. 20 II 1 GG Teil des
änderungsfesten Kernbereichs der Verfassung ist (Art. 79 III GG), kann es in
seinem Regelungsbereich keine Ausnahmen kennen, muss also insbesondere jeder
Amtswalter durch einen anderen berufenen Amtswalter eingesetzt oder bestätigt
werden, so dass sich von jedem eine geschlossene Kette individueller
Berufungsakte bis auf das Volk als den Träger der Staatsgewalt zurückführen
lässt. Andernfalls ginge nicht „alle Staatsgewalt vom Volke“ aus. Die Kette der
Berufungen endet jeweils beim Ressortminister. In einem radikalen Gegensatz dazu
steht die spätere Hinzuwahl neuer Mitglieder in ein Kollegialorgan durch die
dieser Körperschaft im Wahlzeitpunkt bereits angehörenden Mitglieder
(Kooptation). Denn für das „Ausgehen der Staatsgewalt vom Volk“ ist
entscheidend, dass die Kette individueller Berufungen nicht durch das
Dazwischentreten eines unberufenen Organs unterbrochen wird. Dadurch würde die
am Ende ausgeübte Staatsgewalt unheilbar kontaminiert. Deutlich wird daran, dass
Wahlakte von Amtswaltern innerhalb einer bereits eingerichteten Institution
keine demokratische Legitimation stiften; sie „legitimieren“ allenfalls
innerbehördliche Abläufe. Konfrontiert man damit den vom DRB im Rahmen des
Zwei-Säulen-Modells als „Ernennungs- und Beförderungsgremium“ konzipierten
Justizwahlausschuss, fällt sofort auf, dass sich dieser nicht nur aus vom Volk
gewählten Abgeordneten, sondern auch aus von „Kollegen“ gewählten Richtern und
Staatsanwälten zusammensetzen soll. Dass durch den selbstreferentiellen Wahlakt
der Richter und Staatsanwälte eine demokratische Legitimation der Gewählten
nicht gestiftet werden kann, liegt nach dem oben Gesagten auf der Hand. Es
handelt sich um ein Kooptationsverfahren, das etwa demjenigen der Papstwahl
gleicht, anlässlich derer nicht alle braven Katholiken, sondern nur die
einberufenen Kardinäle im Konklave zusammenkommen. Mit Volkssouveränität hat
dies nichts zu tun.
Nach dem Vorschlag des DRB soll dem paritätisch aus Richtern und Staatsanwälten
besetzten Gremium zwar (immerhin) der demokratisch legitimierte
Parlamentspräsident vorsitzen, „der in einer Pattsituation die wegen der
demokratischen Legitimation erforderliche Stimmenmehrheit herstellt“. Würde man
so verfahren, ginge aber die Staatsgewalt, die der Justizwahlausschuss im Rahmen
der ihm zugewiesenen Aufgaben zwangsläufig ausüben müsste, gleichwohl nicht mehr
durchgängig vom Volk aus. Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die
demokratische Legitimation des Parlamentspräsidenten nur in Pattsituationen
benötigt werden soll. Dazu ist festzustellen, dass sich der
Legitimationsanspruch des Volks nicht auf Staatsgewalt in Pattsituationen,
sondern gemäß dem durch Art. 79 III GG absolut geschützten Inhalt des Art. 20 II
2 GG auf „alle“ Staatsgewalt erstreckt. Die in dem Thesenpapier zum Ausdruck
kommende Vorstellung von demokratischer Legitimation hält mit dem aufgezeigten
Regel-Ausnahmemodell bereits einer immanenten Kritik nicht stand; sie ist, indem
sie ohne rechtserheblichen Konnex („Pattsituation“) zweierlei Maß nimmt,
inkonsistent.
Unter tiefgreifender Modifikation des Abstimmungsverfahrens könnte die Frage der
demokratischen Legitimation allenfalls dann anders beurteilt werden, wenn die
Beschlüsse des Justizwahlauschusses nur Empfehlungscharakter hätten und im
Folgenden von einer demokratisch legitimierten Instanz umgesetzt würden. Denkbar
wäre auch, dass ein demokratisch legitimiertes Mitglied des
Justizwahlausschusses jeden Mehrheitsbeschluss des Gremiums durch sein Veto
verhindern könnte, d.h. nicht nur - wie bisher für den vorsitzenden
Parlamentspräsidenten vorgesehen - in einer Pattsituation. Die Vetolösung für
gemischt zusammengesetzte Gremien mag verfassungsrechtlich noch vertretbar sein.
Es ist aber weder wünschenswert, die bestehende Ministerialverwaltung um ein
innerbehördliches Empfehlungsgremium zu ergänzen, noch einem
Parlamentspräsidenten solche Vetomacht in die Hand zu geben.
IV. Der Justizverwaltungsrat als ministerialfreie
Zwischengewalt
Dessen ungeachtet behauptet der DRB, das Selbstverwaltungsmodell würde das im
Grundgesetz angelegte Gewaltenteilungsprinzip überhaupt erst zur vollen Geltung
bringen. Wörtlich heißt es im Thesenpapier: „Die Eigenständigkeit und Autonomie
der Justiz im gewaltengeteilten Rechtsstaat sind im Grundgesetz angelegt.“
Tatsächlich widerspricht der in dem Thesenpapier verfolgte Ansatz auch der
klassischen Gewaltenteilungslehre, indem er offen gegen das aus dem
Gewaltenteilungsgrundsatz folgende Verbot von Zwischengewalten verstößt.
1. Das Verbot von Zwischengewalten
Das Verbot von Zwischengewalten besagt in seinem Kern, dass kein
funktionstypisches (legislatives, exekutives oder judikatives) Element der nach
Funktionen aufgeteilten Staatsgewalt von einer jeweils anderen Funktion ausgeübt
werden darf. Gerade darauf zielt aber das Selbstverwaltungskonzept ab, wenn es
in dem Thesenpapier auszugsweise zur Einrichtung eines Justizverwaltungsrats
heißt: „Der Justizverwaltungsrat ist die administrative, professionelle Spitze
der Justizverwaltung. Er ist eine Verwaltungsbehörde, die die exekutiven
Funktionen, die die Justizministerien derzeit für die Justiz ausführen, in
Selbstverwaltung übernimmt.“ Dieser Satz ist es wert zweimal gelesen zu werden,
wird damit doch das im westlichen Verfassungsstaat in Jahrhunderten gewachsene
Modell der Gewaltenteilung in Frage gestellt. Denn dass es sich bei dem Verbot
von pouvoirs intermédiaires nicht um einen alten Zopf aus dem Spätbarock
handelt, lässt sich anhand einer folgenorientierten Bewertung sogleich
aufzeigen.
2. Bewertung
Von den Befürwortern der judikativen Selbstverwaltung wird angeführt, der
Umstand, dass Richter und Staatsanwälte bereits heute innerbehördliche
Verwaltungsaufgaben erledigten, etwa zur internen Geschäftsverteilung und
Aufrechterhaltung des Prozessbetriebs (vgl. § 4 EGGVG), belege hinreichend, dass
die Kollegen durchaus in der Lage seien, Verwaltungstätigkeiten zu leisten. Das
wird auch niemand bezweifeln, zumal nicht wenige Richter- und Staatsanwälte
durch Abordnungen in Ministerien tätig waren und deshalb einschlägige
Verwaltungserfahrung vorweisen können. Richter mögen deshalb der Meinung sein,
die Ausübung der vom Justizministerium ausgeübten Exekutivtätigkeit sei bei
ihnen gut aufgehoben, zumal sie das ihnen verfassungsrechtlich originär
zugewiesene Aufgabengebiet am besten kennen.
Man könnte diese Argumentation gutwillig als Betriebsblindheit bezeichnen und
weniger gutwillig als Ausdruck einer der Dritten Gewalt von der Politik oftmals
nachgesagten Hybris, ähnlich derjenigen, die Vertreter der Dritten Gewalt der
Legislative attestieren, wenn dort einmal mehr von dem in der Verfassung
vermeintlich angelegten „Primat der Politik“ und dem reinen
„Dienstleistungsauftrag“ der Zweiten und Dritten Gewalt die Rede ist. Denn das
Dogma vom Verbot von Zwischengewalten hat seinen guten Grund, wenn man sich
darüber klar wird, dass das, was in die eine Richtung gelten soll, dann auch in
die andere Richtung gelten müsste. Wenn es also verfassungsrechtlich zulässig
wäre, dass Elemente exekutivischer Tätigkeit im Bereich der Judikative ausgeübt
werden, dann müsste es verfassungsrechtlich ebenso zulässig sein, dass
judikative Tätigkeit im Bereich der Legislative oder Exekutive ausgeübt wird.
Das ist auch unter praktischen Gesichtspunkten nicht so abwegig, wie es sich
zunächst anhören mag. Im Bereich der Exekutive könnte man der Meinung sein, dass
dienstrechtliche Fragen, die den reinen Beamtenstatus betreffen, nicht vor die
Verwaltungsgerichte gehören, sondern vor aus der Verwaltung selbst gebildete
Spruchkörper. Einige Verfahrenserfahrung ließe sich aus dem Disziplinarwesen
einbringen und Beamte, die über Richtererfahrung verfügen, werden sich wohl in
jeder obersten Landesbehörde finden. Ein entsprechendes Thesenpapier der
Exekutive könnte - teilweise äquivok - wie folgt lauten: „Der
Verwaltungsjustizrat ist eine Justizbehörde, welche die judikativen Funktionen,
die die Verwaltungsgerichte derzeit für die Justiz ausführen, in Selbstjustiz
übernimmt.“ Warum eigentlich nicht? Schließlich kennen die Beamten das ihnen
verfassungsrechtlich originär zugewiesene Aufgabengebiet selbst am besten.
Desgleichen könnten die Parlamentarier auf die Idee kommen, bei der Durchführung
von Untersuchungsausschüssen in Zukunft die Verfahrensregeln der
Strafprozessordnung nicht mehr nur - wie bei der Vernehmung von Zeugen -
entsprechend anzuwenden, sondern statt zu einer deklaratorischen Feststellung am
Ende gleich selbst zu einem (Mehrheits-)Urteil zu kommen. Im Bereich der
Legislative könnte man durchaus der Meinung sein, dass rechtliche Fragen, die
sich im Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit stellen, eigentlich gar
nicht vor unabhängige Verfassungs- oder Strafgerichte gehören, sondern vor aus
der Legislative gebildete Spruchkörper. Einige Verfahrenserfahrung ließe sich
aus den Untersuchungsausschüssen einbringen und Abgeordnete, die über
Richtererfahrung verfügen, werden sich wohl in jedem Parlament finden lassen.
Ein entsprechendes Thesenpapier der Legislative könnte - teilweise äquivok - wie
folgt lauten: „Der Parlamentsjustizausschuss nimmt die Tätigkeit einer
Justizbehörde wahr, welche die judikativen Funktionen, die die Gerichte derzeit
für die Justiz ausführen, in Selbstjustiz übernimmt.“ Warum eigentlich nicht?
Schließlich kennen die Parlamentarier das ihnen verfassungsrechtlich originär
zugewiesene Aufgabengebiet selbst am besten.
V. Fazit
Es ist klar, dass die für Exekutive und Legislative als Gedankenspiel
vorgeschlagenen Selbstjustizprojekte auf Widerstand treffen würden, am
lautstärksten von den nunmehr in ihrer Kernkompetenz getroffenen Vertretern der
Dritten Gewalt - mit dem wehleidigen Ruf: „Das verstößt gegen das Prinzip der
Gewaltenteilung!“ Dieser Vorwurf würde vollkommen berechtigt erhoben werden,
zeigt aber zugleich, wie mit der vermeintlich idealtypischen Umsetzung des
Gewaltenteilungsgrundsatzes sein intentionales Gegenteil verwirklicht worden
wäre. Denn was an den obigen Gedankenspielen sofort ins Auge sticht, ist die
Missbrauchsgefahr der neuen Instrumentarien, sei es zu politischen oder
profaneren (Karriere-)Zwecken. Dass Richter und Staatsanwälte davor gefeit
wären, mag glauben wer will.
Zu erwähnen bleibt, dass sich der Justizverwaltungsrat auf Grund seiner
Ansiedlung in der weisungsfreien Judikative zugleich als „ministerialfreier
Raum“ darstellen würde, d.h. als Verwaltungstätigkeit ohne ministerielle
Aufsicht. Es ist anerkannt, dass ministerialfreie Räume wegen des im Grundgesetz
angelegten Regeltypus der parlamentarisch kontrollierten Verwaltung überaus
problematisch sind. Über diesen Mangel kann die Ansiedlung exekutivischer
Tätigkeit im Bereich der gem. Art. 97 I GG weisungsfreien Judikative nicht
hinwegtäuschen.
…