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(aus: „64. Deutscher Juristentag Berlin 2002 – Zusammenfassung der Ergebnisse durch die Abteilungsvorsitzenden“, NJW 2002, Heft 42, XXVII, XXXIV)

6. Aktuelles Forum: Präsident des OLG Dr. Peter Macke

Thema: Mehr Selbständigkeit für die Dritte Gewalt?

Das Aktuelle Forum hat sich mit der Frage „Mehr Selbständigkeit für die Dritte Gewalt?" - also mit einem Fragezeichen dahinter - befasst und so wiederum Gelegenheit zum Austausch über ein die Gemüter bewegendes Thema gegeben. Das Interesse war groß. Angemeldet waren 650 Teilnehmer, und am Donnerstag Vormittag waren tatsächlich mehr als 400 Teilnehmer zugegen. Nachmittags begaben sich naturgemäß eine Reihe von Teilnehmern in die Fachabteilungen, um dort an den Abstimmungen teilzunehmen. Aber auch am Nachmittag lag die Teilnehmerzahl im Aktuellen Forum noch bei 200.

Das Forum wurde eingeleitet durch drei Referate. Der Richter des BVerfG Prof. Dr. Hoffmann-Riem nahm zu dem Gedanken einer Verselbständigung der Justiz eine insgesamt skeptische, unbeschadet dessen aber doch differenzierende Position ein. Er hielt fest, dass die Justiz der demokratischen Legitimation auf einem problemangemessenen Legitimationsniveau bedürfe. Eine stärkere Verselbständigung der Justiz lasse sich um so eher rechtfertigen, wenn die Justiz eine leistungsfähige Binnenstruktur und strukturelle Garantien für eine Qualitätssicherung der Rechtsprechung bereithalte. Nicht zuletzt sprach sich Hoffmann-Riem für einen weiteren Ausbau der dezentralen Haushaltsverantwortung im Justizbereich aus. Einer weitgehenden Verdrängung des Justizministers durch einen mit Vertretern der Gerichtsbarkeit besetzten Justizverwaltungsrat steht er aber ablehnend gegenüber. Ehen dieses Modell stellte der Vorsitzende des Deutschen Richterhundes, Mackenroth, zur Diskussion. Er beschrieb den gegenwärtigen Zustand der Justiz als nicht allenthalben befriedigend wegen verwaltungsmäßiger und struktureller Abhängigkeiten und verspricht sich von einer Verselbständigung der Dritten Gewalt mit richterlicher Spitze eine stärkere Orientierung an der eigentlichen Rechtsprechungsaufgabe mit qualitätssteigerndem Effekt. Der dritte Referent, Rechtsanwalt Felix Busse, wiederum setzte sich mit den Vorstellungen des Deutschen Richterbundes sehr kritisch auseinander. Er sähe eine richterliche Justizspitze gar dem nicht auszuschließenden Missverständnis einer unangebrachten „Kameraderie" ausgesetzt und hält im wohlverstandenen Interesse der Justiz die politische Rückendeckung durch einen Minister für nicht verzichtbar. Auch Busse befürwortet aber erweiterte Handlungsspielräume der Gerichte vor Ort. Wegen der Einzelheiten bitte ich Sie, Kolleginnen und Kollegen, die drei Referate nachzulesen. Sie werden in den Sitzungsbänden des Juristentages dokumentiert werden. Es schlössen sich Kurzstatements von Herrn Ministerialdirektor Steindorfner aus der Sicht der Exekutive und von Frau Ursula Knapp von der Frankfurter Rundschau aus der Sicht der Justizberichterstattung an. Die anschließende Diskussion, überschlägig untergliedert in eine Generaldebatte und einen Meinungsaustausch zu einzelnen Aufgabenfeldern, verlief anregend, in kollegialem Geiste und ertragreich.

Die Zeichnung eines Stimmungsbildes ist nur eingeschränkt möglich. Von den mehreren hundert Teilnehmern hat naturgemäß nur ein Bruchteil das Wort genommen, und jeder Redner hat, abgesehen von den Verbandssprechern, nur seine persönliche Auffassung geäußert. Es gab jedoch interessante Überschneidungen und Berührungspunkte und insgesamt denn doch Aufgeschlossenheit für Veränderungen jedenfalls unter einzelnen Aspekten und in einzelnen Fragen. Konsens besteht darin, dass es eine der demokratischen Kontrolle entzogene Dritte Gewalt, gar mit Kooptation der Richter, nicht geben kann. Auch die rechtsprechende Gewalt geht vom Volke aus. Gewaltenteilung bedeutet wechselseitige Balancierung der drei Staatsgewalten. Dennoch steht die Frage im Raum, ob die rechtsprechende Gewalt in diesem Spiel einer wechselseitigen Balancierung bisher nicht zu kurz kommt. Dass sich die Gerichte - unbeschadet der sachlichen Unabhängigkeit der Richter in ihren Entscheidungen - staatsorganisatorisch in weitgehender Abhängigkeit vom Justizministerium befinden, ist unverkennbar. Vor diesem Hintergrund gab es in einer ganzen Reihe von Beiträgen des gestrigen Tages, wohl überwiegend, Verständnis für den Wunsch nach - im Sinne des Themas des Forums - „mehr" Selbständigkeit für die Dritte Gewalt. Die weitgehenden Vorstellungen des Deutschen Richterbundes haben allerdings unter den Rednern des Forums keine mehrheitliche Unterstützung gefunden, was ja nicht bedeutet, dass sie keine Zukunft haben; aber unter den gestrigen Rednern überwog Skepsis. Indes gab es zahlreiche befürwortende Stellungnahmen in Richtung von mehr Eigenständigkeit der Justiz im Rahmen, manchmal auch unter Ausreizung des geltenden Systems und abzielend auf verstärkte Mitentscheidungsbefugnisse im Dialog mit Legislative und Exekutive. Im Personalbereich war der Ruf nach einer effektiveren - nicht dominierenden, aber doch effektiveren - Mitwirkung der Richterschaft jedenfalls vernehmbar, wobei aber in dieser Hinsicht kritische Bemerkungen nicht nur in Richtung der Justizministerien, sondern auch im Verhältnis zu den Gerichtspräsidenten, und ihrer, wie es hieß, karrierebestimmenden Rolle im gegenwärtigen Personal- und Beurteilungswesen laut geworden sind. In Fragen des Justizetats gab es eher die Stimmung, dass es für die politische Durchsetzbarkeit ohnehin entscheidend auf das Ministerium ankomme. Aber es gab in der Diskussion auch den Gedanken, dass die Gerichtsbarkeit gegebenenfalls die Möglichkeit haben müsse, ihre Etat-Anliegen auch selbst deutlich zu machen, soweit das Ministerium sie nicht aufgreife. Und die Gerichte sind fast durchgehend sehr ermutigt worden, jedenfalls von den neuen Steuerungsmodellen Gebrauch zu machen, um eigene justizpolitische Prioritäten zu setzen. Unüberhörbar war der Appell an die Richterschaft, sich für die entschlossenere Wahrnehmung von Justizverwaltungsaufgaben bereit zu halten, um auch in dieser Hinsicht die Leistungsfähigkeit der Justiz unter Beweis zu stellen. Die innere Bereitschaft zur qualitätssichernden Wahrnehmung von Justizverwaltungsaufgaben, auch zur Mitwirkung an der Erarbeitung bedarfsgerechter Parameter, sei die unerlässliche Voraussetzung für eine erweiterte Selbständigkeit der Dritten Gewalt.

Zu dem Sonderproblem der Rolle der Staatsanwaltschaften war das Stimmungsbild ziemlich eindeutig zum Status der Generalstaatsanwälte und des Generalbundesanwalts als politische Beamte. Es wird als Schlag ins Gesicht einer Neutralität für sich in Anspruch nehmenden Justiz empfunden, dass ein Generalstaatsanwalt, der sich missliebig gemacht hat, dieserhalb ausgetauscht werden kann. Zum externen Weisungsrecht war das Meinungsbild offener. Das interne Weisungsrecht war unumstritten.

Wenn ich versuchen soll, die Diskussion im Aktuellen Forum auf den Punkt zu bringen und die Botschaft zu formulieren, die von der Veranstaltung ausgeht, so würde ich eine Wendung von Hoffinann-Riem aufgreifen wollen, nämlich: Keine Selbständigkeit pur, aber so viel Eigenständigkeit wie möglich und in jedem Falle mehr Eigenständigkeit als bisher, und dies alles, auch das übernehme ich von Hoffmann-Riem, in einer „Koalition des Vertrauens". Die Befürworter und Skeptiker zum Thema unseres Aktuellen Forums stehen sich im Übrigen, jedenfalls wenn man den Ton, und so war das Thema )a gefasst, nur auf die Frage eines „mehr" an Selbständigkeit für die Dritte Gewalt legt, nicht in starrer Front gegenüber. Da gibt es Verständigungsbereitschaft, teilweise gar Übereinstimmung, und wohl auch schon Fnedensfühler hinter den Kulissen.

Die Diskussion um „Mehr Selbständigkeit für die Dritte Gewalt" ist nicht beendet. Sie wird, angeregt und bereichert durch dieses Aktuelle Forum, weitergehen. Was sich ergibt, bleibt abzuwarten. Wir haben ein wichtiges, genau das richtige Thema aufgegriffen. Es war ein Gewinn, sich über diese wichtige Systemfrage auszutauschen. Damit hat das Aktuelle Forum seinen Zweck erreicht.