Zur Selbstverwaltung der Gerichte ein Auszug aus:
Hans-Ernst Böttcher, Präsident des LG Lübeck,
Mit Kaisers Justiz ins dritte Jahrtausend?
Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1997, 101 - 107
S. 101:
... Die Verwaltung hat der eigentlichen Rechtsprechungsaufgabe und damit den Richterinnen und Richtern zu dienen. Denn (siehe oben) die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern (in der moderneren Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung: den Richterinnen und Richtern) anvertraut" (Art. 92 GG).
Hieraus folgt schon nach eigener selbstbewußter richterlicher Überlegung, die freilich durch die eher organisationssoziologisch und betriebswirtschaftlich orientierten Überlegungen zur Strukturanalyse der Justiz bestätigt wird: Die Richterinnen und Richter müssen die Arbeitsabläufe einzeln, durch ihre Selbstverwaltungsgremien (Präsidium) und mit Hilfe der Mitbestimmungsgremien in die Hand nehmen, um unter den Gegebenheiten der elektronischen Datenverarbeitung die Abläufe des Gerichts (wieder) in dem Sinne zu organisieren, daß sie der auf die Richterinnen und Richter zugeschnittenen Gerichtsverfassung entsprechen. Es geht also darum, sich nicht verwalten zu lassen (was sicherlich viele Richterinnen und Richter ausgesprochen gern tun, auch und gerade solche, die über ,,die Verwaltung" gern und häufig klagen), sondern die Dinge im Gericht im Sinne richterliche Selbstverwaltung in die Hand zu nehmen, freilich in den geordneten Bahnen der §§ 2l a ff. GVG. ...
S. 102:
... Die Selbstverwaltung der Gerichte (genauer: der Richterinnen und Richter) ist also weiterzuentwickeln.
1.3. Es gibt dabei durchaus ein Gericht in Deutschland mit voller richterlicher Selbstverwaltung, von dem sich lernen ließe: das BVerfG. Natürlich werden vor einer unbesehenen Übertragung sämtlicher Details der Selbstverwaltung des BVerfG die Besonderheiten dieses Gerichts hinsichtlich seiner Aufgaben und seines Status zu beachten sein. Dennoch ist m.E. die Konstruktion der richterlichen Selbstverwaltung des BVerfG vorbildlich auch für die anderen Gerichte. Wie im einzelnen im BVerfG und in der GO-BVerfG nachzulesen, verwalten die Richterinnen und Richter des BVerfG ihr Gericht vollständig selbst, also nicht nur zum Einzelpunkt der Geschäftsverteilung. (Im Gegenteil ist diese ja grundsätzlich durch den Gesetzgeber im BVerfGG mit der Zuweisung der Geschäfte an die zwei Senate festgelegt).
Die Selbstverwaltung schließt die Budgethoheit ein. Das BVerfG hat einen eigenen Einzelplan im Bundeshaushalt; der Haushalt ist also nicht dem Bundesjustizministerium nachgeordnet. Dies ist übrigens vom Gericht im sog. ,,Status-Streit" erkämpft worden und war nicht von vornherein selbstverständlich. Die Binnenstruktur des BVerfG ist - folgerichtig - weiter dadurch gekennzeichnet, daß die Präsidentin/der Präsident (nur) Geschäftsführer/in des Plenums ist. Die Richterinnen und Richter verwalten sich vollständig selbst, als Plenum der durch Kommissionen, die für Geschäftsordnung, Protokoll, Haushalt und Personal, Bibliothek sowie EDV eingerichtet sind.
1.4. Eine vollständige richterliche Selbstverwaltung der Gerichte birgt, das soll nicht verschwiegen werden, durchaus Gefahren, die zuvor ausgelotet werden sollten. U.U. wird bei kollegialer Selbstverwaltung ,,die Verwaltung" noch stärker und mächtiger als bisher. Das Problem ist aus anderen Bereichen bekannt, in denen eine (vielfach auch noch ehrenamtliche) auf Zeit gewählte Behörden- und Verwaltungsspitze einer dauerhaft arbeitenden professionellen Verwaltung gegenübersteht, z.B. in der Hochschulverwaltung oder in Kammern und anderen Selbstverwaltungs-Körperschaften. Hier ist das Problem des ,,court management" berührt. In Ausbildungsgängen für Richterinnen/Richter und Rechtspflegerinnen/Rechtspfleger wird dafür Sorge zu tragen sein, daß diese Kenntnisse in der Justizverwaltung erwerben. EDV ist ein Bestandteil hiervon. Eine derartige Ausbildung (und Fortbildung) ist zum einen die Voraussetzung Für eine professionalisierte Gerichts- und Justizverwaltung, für diejenigen also, die hier dauerhaft im Verwaltungsbereich (geschäftsführend!) tätig werden wollen. Es ist zum anderen die Voraussetzung dafür, daß die Richterinnen und Richter, die Selbstverwaltungsaufgaben bei Gericht ausüben und sich der Hilfe der - beständigen - Gerichtsverwaltung bedienen, die Fähigkeit zum Durchblick, zum Gestalten und zur Kontrolle haben.
2. Zukunftsfähige Elemente
Das geltende deutsche Richter- und Gerichtsverfassungsrecht enthält durchaus Elemente, die geeignete Bausteine eines insgesamt demokratie-adäquaten Justizsystems sind.
Anders als in solchen westeuropäischen Ländern (z. B. Italien, Frankreich, Spanien und Portugal, in denen - sei es für Richterschaft und Staatsanwaltschaft gemeinsam, sei es jeweils getrennt - einheitliche und dann auch gleich oberste Leistungsorgane der Justiz institutionalisiert sind, die weitgehend Selbstverwaltungselemente enthalten, findet sich in Deutschland eher ein Bündel von Institutionen, die insgesamt jedenfalls Teile eines Systems demokratischer Justiz(selbst)verwaltung enthalten. Es sind dies, wie oben schon angedeutet, die Vorschriften über die Richterwahl (2.1.), über die gerichtliche Teilselbstverwaltung durch die Präsidien (2.2.), die richterliche Mitbestimmung (2.3.) sowie die mit Richtern besetzten Richterdienstgerichte (2.4.). ...