Der Deutsche Richterbund begrüßt - im Hinblick auf die damit zum Vorteil der Rechtsuchenden einhergehende Verringerung der Kosten und der Dauer der Verfahren - grundsätzlich die Zielsetzung des Reformprojekts, durch eine Verlagerung des Schwerpunkts der zivilgerichtlichen Verfahren eine i.d.R. abschließende Streitbeendigung innerhalb der ersten Instanz zu ermöglichen und die Aufgaben der zweiten Instanz auf die der Fehlerkontrolle und -beseitigung zu konzentrieren. Unabdingbar erscheint zur Verwirklichung dieses Ziels die Stärkung der ersten Instanz, insbesondere hinsichtlich der für das einzelne Verfahren dem Richter zur Verfügung stehenden Zeit. Auch eine deutliche personelle Verstärkung ist unumgänglich.
Der "Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen" geht davon aus, dass durch die angestrebte Reform bundesweit 265 Richterstellen "frei werden". Selbst wenn die künftigen Gerichte erster Instanz - Amtsgerichte und Landgerichte - in diesem Umfang personell verstärkt würden, was nach dem "Bericht" nicht einmal beabsichtigt ist, reichte dies mit Sicherheit nicht aus, um das angestrebte Reformziel - eine nachhaltige Stärkung der ersten Instanz - zu erreichen.
1. Gegen einen einheitlichen
Berufungs- und Beschwerderechtszug zu den Oberlandesgerichten bestehen
keine grundsätzlichen Bedenken.
2. Prüfungsumfang in der
Berufungsinstanz:
Die Bindung des Berufungsgerichts
an die rechtsfehlerfreie Tatsachenfeststellung der ersten Instanz begegnet
keinen Einwänden. Allerdings entspricht es schon jetzt der gerichtlichen
Praxis, eine Wiederholung der Beweisaufnahme nur dann vorzunehmen, wenn
die Beweiserhebung oder Beweiswürdigung der ersten Instanz lückenhaft
oder fehlerhaft ist.
Die Beschränkung des Prüfungsumfangs auf gerügte Verfahrensfehler erscheint sinnvoll.
Der Vorschlag zur Zulassung neuen Vorbringens stellt einen vernünftigen Kompromiss zwischen der bloßen Entscheidungskontrolle und einer vollständigen zweiten Tatsacheninstanz dar und verhindert Verfahrensverzögerungen durch absichtliche Beschränkung des Sachvortrags. Eine Erhöhung des Arbeitsaufwandes des Gerichtes erster Instanz wird damit aber unvermeidbar, insbesondere auch durch die vorgesehenen verstärkten Hinweispflichten.
Auch dieser Gesichtspunkt ist bei der personellen Ausstattung der Eingangsinstanz zu berücksichtigen.
Der Umstand, dass nach dem Reformkonzept
künftig in der ersten Instanz die Rechtsstreitigkeiten tatsächlich
und rechtlich umfassend beurteilt und regelmäßig abschließend
entschieden werden sollen, bedingt im Übrigen, dass die dort zusätzlich
zu schaffenden Stellen jedenfalls überwiegend von berufserfahrenen
Richterinnen und Richtern besetzt werden müssen. Die damit verbundenen
strukturellen Probleme und insbesondere auch die Frage der Einarbeitung
von Berufsanfängern bedürfen dringend einer Lösung im Rahmen
des anstehenden Reformvorhabens. Sie dürfen nicht "ausgeklammert"
und vertagt werden.
3. Klageänderung, Klageerweiterung,
Widerklage und Aufrechnung:
Der Vorschlag Rimmelspacher wird als
zweckmäßig unterstützt. Zulässigkeitskriterium sollte
demnach neben der Sachdienlichkeit das Erfordernis sein, dass eine weitere
Beweisaufnahme nicht geboten ist.
4. Anforderungen an die Berufungsbegründung:
Der Formulierungsvorschlag Rimmelspacher
findet Zustimmung.
Im Hinblick auf das vorgeschlagene
und für sinnvoll erachtete Annahmeverfahren im Berufungsrechtszug
sollten neue Tatsachen in der zweiten Instanz nur eingeschränkt vorgebracht
werden dürfen. Insoweit sollte der vom "Bericht" im Rahmen der Bindung
an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung aufgestellte Ausnahmenkatalog
(keine Bindung bei fehlerhaft getroffenen Feststellungen und bei erst nach
Schluss der mündlichen Verhandlung veranlassten neuen Angriffs- und
Verteidigungsmitteln) bereits die Möglichkeit des Vortrags in der
Berufungsbegründung erfassen und begrenzen.
5. Form und Fristen der Berufungseinlegung
und -begründung:
Der Vorschlag im "Bericht" wird befürwortet,
zumal durch die vorgeschlagene Regelung klare Verhältnisse geschaffen
werden, die auch dabei helfen, künftig eine erhebliche Reduzierung
der Wiedereinsetzungsanträge zu erreichen.
Die Möglichkeiten zur Fristverlängerung
sollen zwar grundsätzlich auf einen weiteren Monat begrenzt werden,
jedoch sind in der Praxis in seltenen Fällen Gründe zu beachten,
die ausnahmsweise eine weitere Fristverlängerung im Einzelfall rechtfertigen.
Dies wäre dann gegeben, wenn die Parteien glaubhaft machen, dass sie
die Frist wegen eines nicht zu beseitigenden Hindernisses nicht einhalten
können, oder dass sie ohne die beantragte Fristverlängerung einen
schweren Schaden erleiden würden (vgl. Bericht S. 31, 1.2.1). Es wäre
auch daran zu denken, diese weitere Fristverlängerung dann zuzulassen,
wenn beide Parteien übereinstimmend wegen schwebender Vergleichsverhandlungen
in schwierigen Fällen dies wünschen.
6. Berufungssumme:
Eine Herabsetzung der Berufungssumme
sollte unterbleiben, damit die begrenzten Mittel der staatlichen Rechtsschutzgewährung
nicht für Bagatellfälle verbraucht werden. Allerdings sollten
die Berufungssumme und die Wertgrenze für das Verfahren nach §
495 a ZPO vereinheitlicht werden. Für eine unterschiedliche
Bewertung gibt es keine sachliche Rechtfertigung.
7. Einführung der Bagatellberufung:
Entsprechend dem Vorschlag des Bundesministeriums
der Justiz wird diese derzeit nicht befürwortet.
8. Zulassungsberufung in Streitigkeiten
mit geringem Streitwert:
Der Vorschlag wird unterstützt.
Damit würde eine Angleichung an das System in Mietsachen erfolgen
und ein Instrument geschaffen, durch das ungeklärte Rechtsfragen auch
bei geringen Streitwerten einer obergerichtlichen Klärung zugeführt
werden können (z. B. Reisevertragsrecht). Eine Nichtzulassungsbeschwerde
ist allerdings auszuschließen.
9. Entscheidungskompetenz des
Berufungsgerichts bei fehlender Entscheidungsreife:
Auch wenn ein Regelungsbedarf hier
angesichts der Tatsache, dass 97 % aller Fälle durch das Berufungsgericht
selbst entschieden werden, zweifelhaft erscheint, kommt ein völliger
Ausschluss der Zurückverweisung nicht in Betracht. Der Vorschlag Rimmelspacher
erscheint nicht praktikabel.
10. Einzelrichterzuständigkeit
im Berufungs- und Beschwerdeverfahren:
Die beabsichtigte Einführung
des Einzelrichters in Rechtsmittelverfahren wird abgelehnt. Damit würde
die Akzeptanz der Entscheidung nicht nur bei den Parteien leiden, sondern
auch bei den lnstanzrichtern. Allein die Zugehörigkeit eines Richters
zu einer übergeordneten Instanz vermag einer Überprüfungsentscheidung
keine stärkere Autorität zu geben. Für den rechtsunkundigen
Bürger stellt sich auch die Frage nach der Beliebigkeit des Rechts.
Ihm kann kaum vermittelt werden, dass nur der Richter in zweiter Instanz
Recht hat, wenn dieser die Erstentscheidung abändert, die ihm Recht
gegeben hat. Aus seiner Sicht stellt sich dies oft als Zufall dar. Die
Überlegungen zum Einzelrichter verkennen, dass viele Rechtsfragen
nicht richtig oder falsch entschieden werden können, sondern dass
sich häufig mehrere juristisch gut begründbare Lösungen
finden lassen. In diesen Fällen schützt die Kollegialentscheidung
davor, dass die Rechtsauffassung eines Richters zum Maßstab wird.
Jeder, der Qualität, Gewicht und Bedeutung von Senatsberatungen kennt,
wird die Kollegialentscheidung für unverzichtbar halten, zumal nIcht
wenige obergerichtliche Entscheidungen eine erhebliche Breitenwirkung im
Rechtsverkehr erzeugen. "Einfache" Verfahren sind nach dem vorgegebenen
Konzept ohnehin bereits im Annahmeverfahren ausgeschieden. Im Rechtsmittelverfahren
haben die Überlegungen zum Einzelrichter, die über den bisherigen
Zustand hinausgehen, keinen Platz. Allenfalls wäre daran zu denken,
die Möglichkeit zu schaffen, dass der Senat dem Einzelrichter die
Sache auch ohne Zustimmung der Parteien zur endgültigen Entscheidung
zuweisen kann.
Der Deutsche Richterbund lehnt die
beabsichtigte Einführung des Einzelrichters aus den dargestellten
Gründen strikt ab. Die einzige sachliche Begründung, nämlich
die Einsparung von Richterstellen, darf nicht als Rechtfertigung für
einen erheblichen Abbau der Qualität der Rechtsprechung in unserem
Land dienen.
11. Annahmeberufung:
Das vorgeschlagene Annahmeverfahren
wird begrüßt, wobei der - unanfechtbare
- Nichtannahmebeschluss mit Gründen
versehen werden sollte.
12. Revisionsgericht:
Die hierzu unterbreiteten Vorschläge
erscheinen zur Entlastung des Bundesgerichtshofs zweckmäßig.
Soweit jedoch erwogen wird, langfristig gänzlich von einer Streitwertgrenze
abzusehen, wird zu berücksichtigen sein, dass in diesem Falle die
zur Entlastung der Oberlandesgerichte eingeführte Vorschrift des §
543 Abs. 1 ZPO leerliefe und in allen Fällen
ein vollständiges Urteil gemäß §
543 Abs. 2 ZPO abzufassen wäre. Damit dürfte
eine erhebliche Mehrbelastung der Oberlandesgerichte einhergehen.
13. Sprungrevision:
Es wird vorgeschlagen, es bei der
bisherigen Regelung des § 566
a ZPO zu belassen.
14. Änderung des Beschwerdeverfahrens:
Zur Entlastung des Beschwerdegerichts
sollte generell die Abhilfemöglichkeit bei Beschwerden eingeführt
werden. Auch sollten alle Beschwerden befristet sein. Schließlich
ist die Anhebung der Beschwerdesummen dringend geboten. Es gibt keine sachliche
Rechtfertigung dafür, dass wegen einer Nebenentscheidung weitergehende
Rechtsmittel eröffnet sind als in der Hauptsache. Die Klärung
rechtlicher Zweifelsfragen könnte entsprechend der Zulassung der Revision
durch die Zulassung der Beschwerde bzw. weiteren Beschwerde ermöglicht
werden, aber auch hier ohne Nichtzulassungsbeschwerde.
Für die Möglichkeit zur Aussetzung
des Verfahrens zum Zwecke eines Schlichtungsversuchs besteht kein Bedarf.
Da die Aussetzung ohnehin von der Zustimmung der Parteien abhängen
soll, kann dasselbe Ergebnis auch durch Anordnung des Ruhens des Verfahrens
erreicht werden; die Parteien sind in diesem Zusammenhang insbesondere
nicht gehindert, Abreden darüber zu treffen, dass auf die Erhebung
der Einrede der Verjährung für den Ruhenszeitraum verzichtet
wird.
3. Einzelrichter in der ersten
Instanz:
Dieser Vorschlag wird abgelehnt. Die
vom DRB bereits früher erhobenen Einwendungen zum obligatorischen
Einzelrichter gelten nach wie vor.
Statt dessen wird vorgeschlagen, das Wort "soll" in § 348 ZPO durch das Wort "muss" zu ersetzen. Damit wäre sichergestellt, dass nach Prüfung durch die Kammer "einfache" Fälle dem Einzelrichter übertragen werden.