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"Sine spe ac metu"

Strukturen einer unabhängigen und demokratischen Justiz

(Beschluß der Mitgliederversammlung der Neuen Richtervereinigung in Treis-Karden am 3. 3. 1991)

Vorwort
1. Richterwahlausschüsse
2. Landesgerichtsverwaltung und Selbstverwaltung
3. Die Mitbestimmung durch die Richterräte
4. Ergänzende Bemerkungen
 
Zur Gewaltenteilung im Staate, einer Vorbedingung von Demokratie und Menschenrechten, gehören unabhängige Richter als Dritte Gewalt.

Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit liegen in zu großen Einflüssen der Exekutive und in den hierarchischen Binnenstrukturen der Justiz. Es gilt daher, die hierarchischen durch demokratische Strukturen zu ersetzen.

Die innere Demokratisierung der Justiz kann nur dadurch erfolgen, daß die Selbstverwaltung und die Mitbestimmung innerhalb der Dritten Gewalt ausgebaut werden. Die Dienstaufsicht über die Richterschaft, die im absolutistischen Obrigkeitsstaat wurzelt, darf nicht mehr allein bei der Exekutive liegen. Von dieser - der Regierung, den Ministern und ihren Verwaltungen - darf der Richter nichts zu fürchten und nichts zu hoffen haben, "sine spe ac metu", dann wird er am ehesten unabhängig sein.

Die Befugnis zur Einstellung der Richter sollte - mit Beteiligung der Richter - maßgeblich bei den Parlamenten liegen. Denn dann ist die ,im Namen des Volkes" rechtsprechende Justiz stärker demokratisch legitimiert als bei jeder anderen Regelung.

Zur Verwirklichung der Einheitlichkeit aller Richterämter muß auf das Beförderungssystem verzichtet werden, da das Richteramt, im Gegensatz zum Beamtentum, wegen des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit mit einem Laufbahn- und Karrieresystem unvereinbar ist. Es kann nur noch Funktionszuweisungen geben, etwa zu den verschiedenen Instanzen und Gerichtszweigen.

All diesen Zielen dienen die folgenden Vorschläge der Neuen Richtervereinigung.

1. Einrichtung von parlamentarischen Richterwahlausschüssen in allen Bundesländern Die Richterwahlausschüsse sollen unter Mitwirkung der für die Justiz zuständigen Minister die Richter einstellen und ernennen. Das parlamentarische Element in den Ausschüssen ist wichtig für die demokratische Legitimation der Richter. Zur Ausbalancierung der dann an der Ernennung der Richter Beteiligten, der Exekutive und der Legislative, ist es angebracht, auch Richter an den Richterwahlausschüssen zu beteiligen. Durch die Beteiligung der Richter darf allerdings der demokratische Charakter der Richterwahlausschüsse, das heißt die Zurückführbarkeit auf den Willen der Wähler, nicht beseitigt werden. Gute Gründe sprechen deshalb dafür, die Zahl der Richter in den Ausschüssen so zu begrenzen, daß sie keine Vetoposition haben, also keine Richterwahl gegen den Willen aller beteiligten Parlamentarier blockieren können. Zu denken ist deshalb an eine Zusammensetzung zu 2/3 aus Parlamentariern und zu 1/3 aus Richtern.

Die Zusammensetzung der Parlamentarier in den Richterwahlausschüssen muß dem Kräfteverhältnis der Fraktionen entsprechen. Für die Auswahl der richterlichen Mitglieder in den Ausschüssen gibt es verschiedene schon Gesetz gewordene oder noch gedankliche Modelle. Sie reichen von der Wahl dieser Ausschußmitglieder durch das Parlament bis zur Wahl durch die Richter.

Die Verhandlungen der Richterwahlausschüsse sollen öffentlich sein. Von Bedeutung ist die Frage, mit welcher Mehrheit die Ausschüsse entscheiden sollen. Wer die Nötigung zum Konsens wünscht, wird die 1/3-Mehrheit verlangen; wenn regierende Parteien sich stark durchsetzen sollen, wird man die einfache Mehrheit genügen lassen.

2. Gewaltengeteilte Landesgerichtsverwaltung und Selbstverwaltung an den Gerichten Hauptorgan der Justizverwaltung im Lande soll der Landesgerichtsbarkeitsrat sein, dem "Consiglio Superior della Magistratura" in Italien vergleichbar. Er soll sich stark dem Charakter eines Selbstverwaltungsorgans der Justiz nähern und deshalb zu zwei Dritteln seiner Mitglieder aus der Richterschaft gewählt sein. Andererseits sollen Elemente der Gewaltenteilung dadurch in ihm wirken, daß das weitere Drittel seiner Mitglieder vom Parlament gestellt oder bestimmt wird. Auch an eine Vertretung des Justizministeriums in ihm kann gedacht werden.

Der Landesgerichtsbarkeitsrat ersetzt die heute bestehende Verwaltung der Gerichte durch das Justizministerium. Er soll folgende Aufgaben haben und in öffentlicher Sitzung beraten und entscheiden:

a)
Alle Funktionszuweisungen und Versetzungen von Richtern. Die Zuweisung der Funktion der Gerichtspräsidenten erfolgt nur auf Zeit. Bei größeren Gerichten wird diese Funktion mehreren gleichberechtigten Personen zugewiesen. Das Plenum des betreffenden Gerichts macht dem Landesgerichtsbarkeitsrat Vorschläge.
Solange es noch Beförderungsämter gibt, werden sie vom Landesgerichtsbarkeitsrat vergeben.

b)
Die gesamte Verwaltung der personellen und sachlichen Ressourcen einschließlich der Haushaltsmittel und ihrer Anforderung im Parlament.

c)
Die Wahrnehmung der Disziplinarbefugnisse der Justizverwaltung.
Das alles erfordert eigene Verwaltungsorgane dieses Rates. An den Gerichten bestehen die Präsidien mit den hergebrachten und mit neuen Aufgaben der Selbstverwaltung. Die Wahl zu den Präsidien erfolgt wie alle Wahlen innerhalb der Richterschaft nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts. Das heutige Vorsitzendenquorum entfällt. Der Vorsitzende des Präsidiums wird aus dessen Mitte gewählt.

Die Präsidien neuen Zuschnitts können dem Landesgerichtsbarkeitsrat als Verwaltungsunterbau an den Gerichten dienen und als gewählte örtliche Repräsentanz der Richter dabei ein kontrollierendes Gewicht gewinnen - entsprechend der Rolle, welche die "Consigli giudiziari" an den Tribunalen in Italien einnehmen.

3. Die Mitbestimmung durch die Richterräte Die Mitbestimmung durch die Richter in ihren Angelegenheiten ist überall dort angebracht, wo Justizverwaltung - heute durch den Einfluß der Exekutive, künftig durch die Mitwirkung gewaltenteilender Elemente - nicht im wesentlichen Selbstverwaltung der Gerichte ist.

In einer Justiz mit ausgeprägtem Landesgerichtsbarkeitsrat kann deshalb das Erfordernis zusätzlicher Mitbestimmung sich relativieren oder sich auf bestimmte Interessen und Sachgebiete beschränken. Als Widerpart, Kontrollorgan und Ergänzung des Landesgerichtsbarkeitsrat können die Gerichtspräsidien neuen Zuschnitts große Bedeutung bekommen. Die Einzelheiten richten sich nach den Regelungen der Justizstrukturen, welche jedes Land sich geben kann.

Bis zur Einführung des neuen Systems aber jedenfalls stellen die mitbestimmenden Richterräte ein sehr wichtiges Instrument zur Überbrückung und zur Vorbereitung der Richter auf ihre Aufgaben bei zunehmender Mit- und Selbstverwaltung dar.

In Ländern ohne obere Richterräte auf Landesebene, wo die Richter noch nicht einmal die Mitbestimmungsrechte der anderen öffentlichen Bediensteten haben (Baden-Württemberg), müssen sie eingeführt werden.

            4. Ergänzende Bemerkungen
a)
Die Präsidialräte nach heutigem Rechtszustand mit ihrem beschränkten Wahlrecht und Umfang der Mitsprache und mit ihrem nichtöffentlichen Verfahren sind weitgehend eine bloße Reproduktion des heutigen Zustandes der Justizverwaltung. Sie werden in den künftigen Organen der Justizstruktur aufgehen.

b) Abgestufte Verwirklichung.
Reformen, welche eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes voraussetzen, erfordern naturgemäß eine gewisse Aufgeschlossenheit in Gesellschaft und Politik, die erst geschaffen werden muß. Das betrifft die Abschaffung der Präsidialräte.

Weitgehend aber ist das Modell neuer Justizstrukturen landesrechtlich herstellbar, so daß einzelne Länder dabei voranschreiten können. Dabei kann die Rolle der Präsidialräte bereits soweit minimiert und ihre Aufgaben auf andere Organe übertragen werden, wie das Bundesrahmenrecht es schon heute zuläßt.

c)
Für die Staatsanwaltschaften als Teile der Justiz ist das obige Modell spezifiziert zu ergänzen.