Friedrich-Joachim Mehmel (Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ)-Hamburg)
BINNENREFORM DER JUSTIZ
Die gegenwärtige Diskussion über die Reform
der Justiz findet in einem Klima statt, das vor allem durch folgende Punkte
geprägt ist:
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Der Justiz werden gesellschaftspolitisch Aufgaben und
Verantwortung für gesellschaftliche Probleme und Entwicklungen zugeschrieben.
Das zeigt etwa in jüngster Zeit die Debatte zur Inneren Sicherheit,
insbesondere zur Jugendkriminalität.
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Der Ansehensverlust der Justiz ist bedrohlich.
Lange Verfahrensdauer, nicht hinreichend erklärte Entscheidungen,
aber auch obrigkeitsstaatliches Auftreten von Richtern und Geschäftsstellen
sind häufig geäußerte Kritikpunkte.
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Für die Politik steht angesichts der Knappheit
öffentlicher Haushalte das Verdikt des Sparens im Vordergrund. Justiz
wird zunehmend als zu teuer, zu ineffektiv und zu unproduktiv gesehen.
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Von gerichtlicher Seite, von den Richterinnen und Richtern
wird hingegen schon seit Jahrzehnten immer wieder die Überlastung
der Justiz beklagt.
Das Dilemma
Die in diesem Klima stattfindende Reformdebatte steckt
in einem Dilemma: Justizreform wird einerseits durch Politik und Exekutive
weitgehend auf ökonomische Überlegungen und dementsprechende
Reformansätze reduziert. Andererseits fehlt es ebenso weitgehend (noch)
an Bereitschaft für eine selbstkritische Mitwirkung der Gerichte,
insbesondere der Richterinnen und Richter, an der inhaltlichen Reform der
Justiz:
I.
Das Primat des Sparens führt dazu, daß
für Politik und Justizverwaltungen nicht Effektivität, sondern
Effizienz unter fiskalischen Gesichtspunkten im Vordergrund steht. Es droht
eine - zudem allein auf Geld und Zeit reduzierte und inhaltliche "Qualität"
ausblendende - Ökonomisierung der Justiz. Dementsprechend stehen die
Verabschiedung von Entlastungs- und Beschleunigungsgesetzen (u.a. Anhebung
von Streitwertgrenzen, obligatorische Einführung des Einzelrichters),
die "Rechtsmittelreform" mit der Einschränkung von Rechtsmitteln oder
die Einführung der Dreigliedrigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit
in einer Form, die nicht zu mehr Bürgernähe und Modernität
führt, im Vordergrund.
Auch bei der Übertragung der aktuellen Ansätze
der Verwaltungsmodernisierung ("Neues Steuerungsmodell") auf die Justiz
(Gerichte, Staatsanwaltschaften) und den Strafvollzug dominiert die betriebswirtschaftliche
Effizienz eindeutig. Sehr eng bemessene Budgets sowie eine Reduzierung
der Bewertung gerichtlichen Handelns allein auf quantitative Größen
mit entsprechendem Datenzugriff für die Justizverwaltungen schafft
hier indirekte Steuerungsmöglichkeiten durch die Verwaltung: Es besteht
die Gefahr der Exekutivierung der Justiz, die die durch stärkere Selbstverwaltung
der eigenen Budgets gewonnene höhere Flexibilität wieder entwertet
und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen kann.
II.
Die eigentliche Aufgabe der Justiz droht dabei in
den Hintergrund zu geraten: Die Justiz hat als eine der drei Gewalten Verfassungsrang.
Sie soll die Bürgerinnen und Bürger vor Übergriffen der
anderen Gewalten schützen. Ihre wichtige gesellschaftliche Funktion
besteht in der Herstellung und Sicherung des Rechtsfriedens. Und: Justiz
ist nach den Vorgaben von Verfassung und Gesetzen für die Gesellschaft,
für die Bürgerinnen und Bürger da. In diesem Sinne hat die
Justiz eine Dienstleistung zu erbringen. In diesem Rahmen besteht sicher
auch ein Anspruch auf eine ökonomisch arbeitende, kostenbewußte
Justiz. Solche Überlegungen dürfen aber nicht Ausgangs- oder
Schwerpunkt, sondern nur Teilaspekt von Reformen sein. Im Vordergrund muß
die Frage stehen, welche Qualität Justiz als (spezifische) Dienstleistung
mit Verfassungsrang liefert.
III.
Die Gerichte selbst, die Richterinnen und Richter
beteiligen sich nur sehr eingeschränkt an der Reformdiskussion. Sie
erdulden sie oder wehren Reformbestrebungen ab. Reformangst statt eigenem
- selbstbewußtem, aber auch selbstkritischen - Reformbestreben dominiert
die Debatte. Das ist zunächst kein spezifisches Problem der Justiz.
Ohne Veränderungsdruck von außen ist diese Haltung in Verwaltung,
aber auch in Unternehmen ebenso regelhaft anzutreffen, hieße es doch
sonst, eigenes Handeln in Frage zu stellen und gegebenenfalls ändern
zu müssen. Da aus gutem verfassungsrechtlichen Grund die Justiz als
Dritte Gewalt verfassungsrechtlichen Schutz genießt, die Richterinnen
und Richter aufgrund richterlicher Unabhängigkeit im Rahmen ihrer
spruchrichterlichen Tätigkeit keinen Weisungen unterliegen und in
den Präsidien als Selbstverwaltungsorgane der Gerichte die Richterinnen
und Richter ihre Geschäfte selbst verteilen können, wird eben
dieser Außendruck kaum empfunden. Im Gegenteil ist häufig zu
beobachten, daß eine sehr weitgehend verstandene Unabhängigkeit,
die weit über den Kernbereich richterlichen Handelns hinausreicht,
als Schutzschild des liebgewonnenen status quo vor sich hergetragen wird.
Kritik - so sie denn geäußert wird - richtet sich meist gegen
mangelnde Finanzausstattung und Überlastung.
IV.
Genau diese Phänomene haben aber die Justiz
als äußeren Veränderungsdruck längst eingeholt. Das
Problem liegt aber tiefer: Es geht nicht allein um Geld, sondern auch um
gesellschaftliche Akzeptanz, die wiederum Einfluß darauf hat, wieviel
Geld die Gesellschaft für Justiz einzusetzen bereit ist. Und in dem
Maße, in dem Justiz allein versucht, binnenorientiert Eingriffe abzuwehren,
anstatt ihre Leistungsfähigkeit nach außen, ihren Service für
die "Justizverbraucher" zu verdeutlichen und zu verbessern, erleichtert
sie das Geschäft derjenigen, die – auf ihre Art ebenso binnenorientiert,
aber mit zur Zeit überlegenem Managementsachverstand - ökonomische
Effizienz statt gesellschaftliche Effektivität der Justiz vorantreiben.
Die Binnenorientierung zu überwinden muß
deshalb ein Kernstück einer Justizreform sein. Eine Reflexion über
die Aufgabe der Justiz nach außen findet aber zu selten statt. Das
Bewußtsein fehlt vielerorts, daß aus Sicht des Empfängers
gerichtlicher Leistungen zu deren Qualität nicht nur das Urteil als
Ergebnis, sondern der gesamte Umgang des Gerichts mit seinem Anliegen von
- untechnisch gesprochen - der Annahme der Klage über Schreiben und
Telefonate der Geschäftsstelle, vernünftige Fristen, rechtzeitige
Terminierung und Verhandlungsführung bis hin zur zügigen Absetzung
eines verständlichen Urteils gehören. Richter und Geschäftsstelle
arbeiten allzu häufig nebeneinanderher: Die einen lösen den Fall,
die anderen erledigen Verfügungen; gemeinsame Verantwortung für
das "Produkt" ist vielfach nicht genügend vorhanden und wird im übrigen
auch durch die gegenwärtige hierarchische Aufgabenteilung verhindert.
Richter sehen häufig nur ihre Arbeit, ihren Fall, und beziehen die
– häufig negative - Bewertung der Justiz durch ihre Adressaten und
die sonst am Rechtsfindungsprozeß Beteiligten nicht auch auf sich.
Damit kapseln sie sich vor der notwendigen Modernisierung ab.
V.
Allen bisherigen Reformansätzen mit ihrer Ausrichtung
auf Beschleunigungs- und Entlastungsgesetze, auf eine Änderung der
Rechtsmittelmöglichkeiten und die Einführung der Dreistufigkeit
in der ordentlichen Justiz ist deshalb gemein, daß sie die Richter
nicht erreichen und quasi vor dem Sitzungssaal, der Fallbearbeitung halt
machen. Auch die Übertragung von Ansätzen der Verwaltungsmodernisierung
wie z.B. des Neuen Steuerungsmodells davon auf die Justiz durch die Justizverwaltungen,
bei denen ganz überwiegend auf die Verwaltung und die Verwaltungsabläufe
der Gerichte abgestellt wird, wird nur begrenzten Erfolg haben. Technik
und eine funktionierende Verwaltung können nur Hilfsmittel sein. Es
hängt aber maßgeblich von den Richterinnen und Richtern selbst
ab, ob die Gerichte effizient, qualitativ gut, quantitativ ausreichend,
ob sie dem Justizverbraucher zugewandt arbeiten. Denn Richterinnen und
Richter steuern maßgeblich gerichtliches Handeln. Spruchkörper
und Geschäftsstelle als Einheit verstanden sind aber die zentrale
Steuerungseinheit für alles, was mit der Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten
zu tun hat; die Steuerung erfolgt über die richterlichen Verfügungen
vom Eingang der Sache bis zum Versand der Entscheidung. Das Handeln der
einzelnen Akteure wirkt sich auf das "Gesamtprodukt" gerichtliche Streitschlichtung
aus - sowohl hinsichtlich effektiver Arbeitsabläufe nach innen als
auch der Wirkung nach außen. Eine Justizreform, die ihren Namen verdient,
darf daher vor dem richterlichen Bereich nicht halt machen. Die Akzeptanz
gerichtlichen Handelns und damit die Herstellung von Rechtsfrieden hängt
ganz wesentlich von der Beachtung der Dienstleistungsfunktion der Justiz
ab – gerade auch vor dem Hintergrund, daß die Rechtssuchenden, abgesehen
von wenigen Ausnahmen (z.B. Schiedsgerichtsbarkeit), aus gutem Grund keine
Wahlmöglichkeit haben. Dienstleistungsorientierung kann aber - schon
aus Gründen der Verfassung, aber auch aus Gründen der internen
Akzeptanz - nicht von Politik oder Verwaltung angeordnet werden.
Die Schlüsselstellung der Justiz
Den Gerichten, den Richterinnen und Richtern selbst
kommt deshalb bei der Reform der Justiz eine Schlüsselstellung
zu:
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Sie müssen sich aktiv in den gegenwärtigen
Reformprozeß einschalten und offensiv ihre eigene Leistung und Funktion
unter Beweis stellen. Der gegenwärtigen Tendenz in der Politik, die
Justiz nur als Kostenlast zu sehen, werden sie und alle an Justizpolitik
Interessierten nur dann entgegenwirken können, wenn die Justiz selbst
ihren Aufgaben gerecht wird und sich der Kritik stellt. Der bloße
Ruf nach mehr Geld und Stellen, die Beschwörung der Überlastung
oder der abwehrende Rückzug auf die richterliche Unabhängigkeit
sind hier kontraproduktiv. Wer sich hierauf zurückzieht, läuft
Gefahr, als Totengräber der Unabhängigkeit zu enden - weil er
durch eigene Verweigerung denen in die Hand arbeiten, die Justiz als reine
Kostenlast sehen.
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Ohne die Richterinnen und Richter wird es in der Sache
keine wirklichen Änderungen geben. Justiz als unabhängige Dritte
Gewalt muß die Unabhängigkeit des Richters ebenso gewährleisten
wie die Garantie des gesetzlichen Richters. Die inhaltliche Entscheidungsfindung
- unter verantwortungsvoller Nutzung der dafür nötigen Ressourcen
- bleibt deshalb Aufgabe der Richterin und des Richters. Sie entzieht sich
ebenso wie die Aufgabe der Gerichtspräsidien, die Arbeit auf Spruchkörper
bzw. Richterinnen und Richter gerecht und gleichmäßig zu verteilen,
externen Managementansätzen der Justizverwaltungen.
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Die Vorgabe von Zielen, die damit verbundene Planung
von Maßnahmen zu deren zielgerichteter, kundenfreundlicher und effizienter
Umsetzung und deren Erfolgskontrolle ist deshalb notwendige Aufgabe der
Gerichte selbst. Gerade das setzt aber voraus, daß sich die Richterinnen
und Richter selbstkritisch auf den Reformprozeß einlassen und daran
aktiv mitwirken. Ein Rückzug auf die richterliche Unabhängigkeit,
auf eine Position, man sei nur Recht und Gesetz verpflichtet, hilft hier
nicht weiter. Richterliche Unabhängigkeit und der gesetzliche Richter
dienen der Sicherstellung der Gewaltenteilung. Sie sind kein Selbstzweck
und kein individuelles Privileg, um die eigenen Arbeitsbedingungen nach
eigenem Gusto gestalten zu können, sich jeglicher Rechtfertigung für
eigenes Tun zu entziehen. Verantwortung und Verantwortlichkeit gehören
untrennbar zusammen.
Die Gerichte, die Richterinnen und Richter haben in
dem gegenwärtigen Stadium der Reformdebatte mit einem Ansatz, der
auf Selbstverwaltung der Gerichte setzt, eine große Chance für
Reformen. Probleme und Schwachpunkte der Gerichtsorganisation und der Arbeit
der Gerichte sind jedenfalls Insidern der Justiz altbekannt. Vieles von
dem, was immer wieder bemängelt bzw. als Abhilfe gefordert wird, ist
ohne gesetzliche Änderungen etwa des Gerichtsverfassungsgesetzes zu
realisieren: Niemand hindert die Gerichte daran, dienstleistungsorientiert
zu sein, ihre Arbeitsabläufe zu optimieren, die Hierarchien in der
Gerichtsverwaltung abzubauen, Aufgabenerfüllung zu überwachen
oder Dienstaufsicht auszuüben, und zwar ohne Mitwirkung der Justizverwaltungen.
Niemand hindert Präsidien daran, Belastungsanalysen vorzunehmen und
auf dieser Basis eine gerechte und transparente Aufgabenverteilung vorzunehmen
und diese zeitnah an Änderungen der Situation anzupassen. Niemand
hindert die einzelne Richterin und den einzelnen Richter daran, ganz selbstbestimmt
und unabhängig - aber zielgerichtet und in Diskussion mit anderen
- die eigene Arbeit zu verbessern.
Eckpunkte einer Binnenreform der Justiz
Dementsprechend darf eine Justizreform, die ihren
Namen verdient, sich nicht beschränken auf die Aufgaben, die den Gerichten
zugewiesen sind, die Aufbauorganisation oder das Verfahrensrecht. Sie muß
sich auch und gerade der Modernisierung der Binnenstruktur gerichtlicher
Aufgabenerfüllung beziehen, wenn sie den verfassungsrechtlichen Auftrag
der Justiz als Dritte Gewalt für die Gesellschaft, die Bürgerinnen
und Bürger, ernst nimmt. Eckpunkte einer solchen Binnenreform der
Justiz sind:
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Zentraler Ansatzpunkt für eine Binnenreform der
Gerichte ist die Stärkung ihrer Selbstverwaltung mit Blick auf Organisation
und Ressourcen. Die gegenwärtigen Reformmodelle mit einer Ausrichtung
auf das Prinzip, Aufgabe, Kompetenz und (Leistungs- sowie Finanz-)Verantwortung
bei den Gerichten zusammenzuführen, bieten einen guten Ansatz. Nur
eine Selbstverwaltung unter Einschluß eigener Budgethoheit im Sinne
einer dezentralen Ressourcenverwaltung und –steuerung des durch den Haushaltsgesetzgeber
bzw. die Justizverwaltung zugewiesenen Budgets wird hier die nötigen
Anreize für die Ausnutzung vorhandener Ressourcen schaffen und helfen,
offene und verdeckte Reserven ohne Qualitätsverlust und Beeinträchtigung
richterlicher Unabhängigkeit auszuschöpfen.
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Die Justiz kann sich angesichts der dramatischen Finanzlage
öffentlicher Haushalte auch nicht unter Hinweis auf ihre verfassungsrechtliche
Sonderstellung als eigenständige (Dritte) Gewalt von der Spardiskussion
abkoppeln. Haushaltskonsolidierung kann nicht allein zu Lasten der Erfüllung
anderer öffentliche Aufgaben wie Gesundheits-, Sozial-, Schul- und
Bildungspolitik oder der Gewährleistung der Inneren Sicherheit gehen.
Die Gesellschaft, jeder einzelne Steuerzahler hat einen Anspruch auf einen
kostenbewußten, effizienten und zweckrationalen Einsatz der der Justiz
zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln. Nur bei nachweisbaren
Anstrengungen der Justiz um Ausschöpfung ihrer Binneneinsparressourcen
wird die Chance bestehen, die notwendigen finanziellen Mittel zu erhalten.
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Der Justiz müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben
die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die von Haushaltsgesetzgeber und Justizverwaltungen den Gerichten zugewiesenen
Budgets dürfen keinen Erdrosselungscharakter haben und müssen
auch nach Erfüllung von Sparvorgaben Raum für Modernisierung
lassen - insbesondere für die dringend erforderliche Modernisierung
der in weiten Teilen veralteten oder fehlenden Technik, der Gerichtsgebäude
mit bürgerfreundlichen Geschäftsstellen und Sitzungssälen
sowie angemessenen Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter. Eine Mindestausstattung der Justiz etwa mit modernen Bürotechniken
ist zwingende Voraussetzung für eine langfristig kostengünstige
Justiz.
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Rationalisierung und Effizienzsteigerungen sind Grenzen
gesetzt. Wenn diese überschritten werden, ist die Substanz gerichtlichen
Handelns betroffen. Es besteht dann die Gefahr, daß der Spardruck
durch längere Verfahrensdauer, durch Reduzierung der Kontrolldichte
und das "Durchschlagen" von Problemen an der "dünnsten Stelle" an
die Rechtssuchenden weitergegeben wird. Dies führte kurzfristig zu
weiteren Vertrauens- und Akzeptanzverlusten und gefährdete langfristig
den Rechtsstaat.
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Die für eine verläßliche Ressourcenplanung
und Mittelzuweisung durch Parlament und Justizverwaltung unerläßlichen
aggregierten Struktur- und Ergebnisdaten sind von den Gerichten zur Verfügung
zu stellen. Damit korrespondiert ebenso, daß die Justizverwaltungen
frühzeitig über mögliche Fehlentwicklungen, unvorhergesehene
Kosten oder Aufgabenzuwächse informiert werden, um rechtzeitig gegensteuern
zu können. Eine auf Einzelfälle bezogene Kontrolle der Gerichte
durch die Exekutive wäre nicht nur kontraproduktiv, sondern würde
die Unabhängigkeit der Gerichte gefährden. Eine (Detail-) Steuerung
durch übergeordnete Instanzen wäre systemwidrig.
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Die Gerichte selbst bedürfen eines gerichtsinternen
Controllings. Die Herstellung von Kostentransparenz gehört ebenso
dazu wie die Transparenz über die Auslastung der einzelnen Spruchkörper,
um so mehr Planungsgenauigkeit zu erhalten. Eine über die gesetzlichen
Vorgaben für die Dienstaufsicht hinausgehende Kontrolle einzelner
Richterinnen oder Richter ist auszuschließen; die ihrer Entscheidung
und Verantwortung obliegende Lösung der Zielkonflikte bei der Rechtsgewährung
und der Verfahrensgestaltung ist zu achten.
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Dafür müssen professionelle Strukturen geschaffen
werden: An größeren Gerichten kann den Anforderungen der erweiterten
Selbstverwaltung nur durch den Einsatz qualifizierten Personals Rechnung
getragen werden. Eine Möglichkeit hierfür ist die Einführung
eines für die Gerichtsverwaltung verantwortlichen Gerichtsmanagers
mit entsprechenden Qualifikationen, der allein dem Präsidenten bzw.
einzuführenden kollektiven Leitungs- und Steuerungsorganen gegenüber
weisungsgebunden (unechte Doppelspitze) ist. Der Präsident übt
die Dienstaufsicht über die Richterinnen und Richter aus. Präsident
und Gerichtsmanager sollen nur auf Zeit ernannt werden mit der Möglichkeit
der Wiederernennung. Die sog. Doppelspitze oder das sog. Vorstandsmodell
mit nebeneinander gleichberechtigten Gerichtsmanager und Präsident
mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben, wie sie gelegentlich in diesem
Zusammenhang als Konzept vorgeschlagen werden, ist strikt abzulehnen, da
hierdurch das Nebeneinanderher von Richtern und Geschäftsstellen bzw.
Serviceeinheiten und damit die Binnenorientierung von Richterinnen und
Richtern nur verstärkt werden würde; Präsidenten und Richter
würden damit aus der Verantwortung entlassen für einen Bereich,
der als Service für die Rechtsprechung untrennbar mit ihr verbunden
ist.
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Im Verhältnis der Spruchkörper (Senate, Kammern,
Einzelrichter), der Abteilungen zu den Geschäftsstellen bzw. Serviceeinheiten
sind Strukturen zu schaffen, die dem Umstand Rechnung tragen, daß
in diesem Bereich die zentrale Steuerung und Umsetzung richterlichen Handelns
erfolgt. Eine Möglichkeit ist die Einführung regelmäßiger
Gesprächsrunden zwischen Richtern einer Sprucheinheit (Kammer, Senat,
Abteilung) und Geschäftsstellenmitarbeitern zur Verbesserung der Kommunikation,
Zusammenarbeit und der Arbeitsabläufe. Zu prüfen wird sein, ob
Richterinnen und Richtern neben der fachlichen Steuerung der Tätigkeit
von Geschäftsstellen durch Verfügungen auch darüber hinausgehende
Weisungskompetenzen einzuräumen sind, um dem Nebeneinanderher von
Richtern und Geschäftsstellen entgegenzuwirken; in welchem Verhältnis
stünde dies etwa zur Stärkung der Kompetenzen eines Verwaltungsleiters
bzw. an größeren Gerichten eines Gerichtsmanagers.
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Die Koordination und Steuerung richterlicher Tätigkeit
(Besetzung der Spruchkörper, Geschäftsverteilung) durch die Präsidien
muß gestärkt werden auf der Basis genauer Auslastungsanalysen
sowie in Kenntnis der finanziellen Rahmenbedingungen. Hierzu ist dem Verwaltungsleiter
bzw. Gerichtsmanager die Teilnahme am Präsidium mit beratender Stimme
einzuräumen. Auch muß durch regelmäßige Berichte
eine Überprüfung getroffener Verteilungsentscheidungen sichergestellt
werden, damit das Präsidium in die Lage versetzt wird, frühzeitig
Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.
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Die Möglichkeiten einer verstärkten Kostentransparenz
durch Einführung von Kosten- und Leistungsrechnung, Zeiterfassung
oder alternative Möglichkeiten der Kostenerfassung sind zu prüfen,
um das Kostenbewußtsein bei richterlichen Entscheidungen zu stärken.
Erforderlich ist eine systematische Analyse der Arbeitsabläufe zur
Beseitigung von Schwachstellen der Ablauforganisation.
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Budgerelevante Entscheidungen sind im Zusammenwirken
von Präsidenten, Gerichtsmanager (bzw. Geschäftsstellenleiter
in kleineren Gerichten), Präsidium unter Beteiligung der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eines Gerichtes, etwa durch Personal- und Richterrat oder
hierfür extra zu wählenden Vertretern in einem entsprechenden
Gremium wie z.B. einem Budgetrat zu treffen. Hier sind verschiedene Modelle
denkbar, die einer näheren Erprobung bedürfen. Die Mitwirkungsmöglichkeiten
von Personal- und Richterräten sind vor dem Hintergrund der veränderten
Aufgaben und Kompetenzen der Gerichte zu überprüfen und ggf.
fortzuentwickeln.
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Der Qualitätsdiskussion über gerichtliches
Handeln wird zukünftig eine zentrale Rolle zukommen müssen: Grundsätzlich
gilt nämlich, daß nur dann, wenn die Richterinnen und Richter
erreicht werden, die Reform gelingen kann. Die Gerichte, vorrangig die
Richterinnen und Richter selbst, müssen in Ansehung der richterlichen
Unabhängigkeit diese Diskussion führen. Hierfür sind gerichtsinterne
Verfahren und Foren zur Diskussion und Bestimmung der inhaltlichen Qualität
der Leistungen der Justiz – bei der Verfahrensgestaltung wie im Ergebnis
– und ihrer Sicherung zu institutionalisieren. Die Qualitätsdiskussion
ist unerläßlich als Korrektiv und zur Schärfung richterlichen
Bewußtseins in Hinblick auf den Spardruck und der diesem immanenten
Tendenz zu einer (eher) quantitativen Betrachtung und Bewertung richterlichen
Handelns. Dazu gehören die Analyse und Verbesserung richterlicher
Arbeitsabläufe und des gerichtlichen Verfahrens in Hinblick auf die
im Rahmen der Vorgaben von Verfassung und Gesetzen bestehenden Dienstleistungsfunktion.
Hierzu können sog. "Kundenbefragungen" ebenso beitragen wie die Einführung
von sog. Qualitätszirkeln sowohl kammer-, senats- und abteilungsintern
als auch - etwa in Hinblick auf gleiche Zuständigkeiten - spruchkörperübergreifend
sowie die regelmäßige Durchführung sog. "Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gespräche",
die in ihrer Grundstruktur auch auf den richterlichen Bereich erstreckt
werden müßten. (Gerichtsintern organisierte) Fortbildung auch
und gerade in bezug auf flexiblere Arbeitsformen und –weisen, der Einsatz
von Technik (Software) aber auch Überlegungen zur Evaluation gerichtlichen
Handelns können ebenfalls einen Beitrag hierzu leisten.
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Unerläßlich für eine Binnenreform der
Gerichte ist deren Bereitschaft, sich der Diskussion mit den Adressaten
gerichtlichen Handelns zu stellen. Dies sind in erster Linie Bürgerinnen
und Bürger sowie ihre Anwälte, es sind Anwaltskammer und Anwaltsvereine,
können je nach Gerichtsbarkeit aber auch andere Stellen, Institutionen,
Verbände etc. sein. Eine kritische Reflexion gerichtlichen Handelns
und Wirkens von außen kann helfen, die Gefahr des "Schmorens im eigenem
Saft", die Binnenorientierung zu überwinden und so einen Beitrag zur
Verbesserung der eigenen Arbeit leisten.
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Die inhaltliche Ausfüllung dieser Vorschläge
ist gerade im Hinblick auf die weitestgehende Weisungsungebundenheit der
Richterinnen und Richter abhängig von den Handelnden selbst. Erforderlich
ist daher eine konsequente Personalpolitik:
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Bei der Einstellung neuer Richter muß vorherige
Berufserfahrung (um so frühzeitig der Binnenorientierung entgegenzuwirken)
ein Einstellungskriterium sein. Um die zum Anforderungsprofil einer Richterin,
eines Richters gehörenden Fähigkeiten wie soziale Kompetenz,
Kommunikations- und Teamfähigkeit einigermaßen valide feststellen
zu können, sind moderne Einstellungsverfahren (z.B. Assessmentcenter)
einzuführen.
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Bei Beförderungsämtern wie Vorsitzendenstellen
ist darauf zu achten, daß neben notwendigen juristischen Kenntnissen
die Bewerber auch Führungs-, Anleitungs- und Vorbildfunktionen gerecht
werden. Führungsämter wie Präsidentenposten sollten auf
Zeit vergeben werden; Präsidenten müssen als Einstellungsvoraussetzungen
über profunde Kenntnisse modernen Managements und Personalführung
verfügen, die auch im Wege der Fort- und Weiterbildung erworben bzw.
vertieft werden können. Zu Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten
sollten nur solche Personen berufen werden, die in ihrem beruflichen Werdegang
sich dadurch ausgezeichnet haben, daß sie sich für Organisationsabläufe
interessiert und schöpferisch gezeigt und sich nicht nur für
ihre Spruchkörper sondern auch für den nichtrichterlichen Dienst
besonders eingesetzt haben.
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Für Gerichtsmanager/-innen an großen Gerichten
müssen diese Kompetenzen unabdingbare Einstellungsvoraussetzung sein.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der allgemeinen Verwaltung, die diese
Voraussetzungen erfüllen, können dabei wichtige Impulse geben.
Im übrigen sind für die derzeitigen Geschäftsleiter/innen
entsprechende Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen.
Hamburg, im September 1999