Friedrich-Joachim Mehmel
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Hamburg
Stellungnahme zu der Drucksache 16/834: Professionelles Gerichtsmanagement (SPD-Antrag)
A. Vorbemerkung
Als Ausgangspunkt für die Beantwortung der Fragen des Ausschusses können die Ergebnisse der Diskussion auf dem Seminar der AsJ-Hamburg zu dem Thema "Justiz heute - zwischen Sparzwang und Reformangst?" am 24./25. Mai 1997 dienen, die im Vorwort des Tagungsberichtes des Seminars als Eckpunkte der Diskussion festgehalten sind. Auf diese nehme ich Bezug, den Tagungsbericht habe ich in mehreren Exemplaren für die Mitglieder des Ausschusses meiner Stellungnahme als Anlage beigefügt.
B. Zu den Fragen im einzelnen
1. Frage
Eine Professionalisierung der Gerichtsverwaltungen ist dringend geboten in Anbetracht der vielfältigen Defizite in diesem Bereich (vgl. Ziff. 5 des Vorwortes des Tagungsberichts), schon unabhängig von dem nunmehr durch die Einführung von Elementen des Neuen Steuerungsmodells auch in den Gerichten und der Staatsanwaltschaft. Grundsätzlich müßten Präsidentinnen und Präsidenten angesichts des Spielraumes, der ihnen durch das GVG aufgrund fehlender konkreter Regelungen eröffnet wird, in der Lage sein, mit diesen Herausforderungen fertig zu werden. Voraussetzung ist dabei natürlich, daß Schlüsselpositionen wie etwa der Verwaltungsleiter bzw. die Verwaltungsleiterin qualifiziert besetzt sind und Verwaltungsstrukturen geschaffen werden, die ein effektives Arbeiten, klare Verantwortlichkeiten aber auch Kontrolle ermöglichen. Einführung eines Einheitssachbearbeiters bzw. -in oder qualifizierter Systemverwalter bzw. Systemverwalterinnen für die Einführung bzw. Betreuung neuer Bürotechniken und Datenbanken sind keine Fragen, die von der Einführung eines Gerichtsmanagers bzw. Gerichtsmanagerin oder einer Änderungen des GVG abhängig sind. Daß trotz tarif- und beamtenrechtlicher Hemmnisse etwa für die Einführung eines Einheitssachbearbeiters Lösungen auch schon jetzt möglich sind, zeigen Beispiele an einigen Gerichten.
Für größere Gerichte allerdings kann es sinnvoll sein, die Position des derzeitigen Verwaltungsleiter bzw. -leiterin stellenmäßig aufzuwerten, um diese Positionen auch mit Bewerberinnen und Bewerbern besetzen zu können, die über fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse verfügen und mit modernen Managementmethoden und Personalführung vertraut sind. Gerade Bewerber und Bewerberinnen, die nicht aus der traditionellen Justizverwaltungslaufbahn kommen, könnten aufgrund ihrer fehlenden Binnensicht festgefahrene Strukturen besser erkennen und hinterfragen.
2. Frage
Bei der Einführung der Position einer Gerichtsmanagerin bzw. eines -managers (Verwaltungsdirektorin bzw. -direktor, Aufwertung der derzeitigen Verwaltungsleiterstellen etc.) an größeren Gerichten ist eine sog. echte Doppelspitze, d.h. Präsidentin, Präsident und Gerichtsmanagerin, -manager stehen gleichberechtigt nebeneinander, die bzw. der eine ist für die Verwaltung, die bzw. der andere für den richterlichen Dienst zuständig, entschieden abzulehnen. Es muß eine Verantwortlichkeit geben, die in der Hand der präsidialen Leitung liegen sollte:
- Entsprechend der Aufgabenstellung, daß die Gerichte nach den Vorgaben von Verfassung und Gesetzen für die Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger da sind, also in diesem Sinne eine Dienstleistung für die Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger erbringen, daß das "Produkt" die Rechtsprechung bzw. Streitschlichtung ist, ist die Aufgabe der Gerichtsverwaltung Zuarbeit für Richter und sonst am Prozeß Beteiligten.
- Spruchkörper/Richter, -in und Geschäftsstelle als Einheit verstanden sind gerade die zentrale Steuerungseinheit für alles, was mit der Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten zu tun hat; die Steuerung erfolgt über die richterlichen Anordnungen vom Eingang der Sache in dem Spruchkörper bis zur Absetzung der Entscheidung. Es besteht insoweit ein Zusammenhang des Handelns des einzelnen (Richter/in u. Geschäftsstelle) mit dem "Gesamtprodukt" gerichtliche Streitschlichtung sowohl hinsichtlich effektiver Arbeitsabläufe als auch der Außenwirkung. Ein Weisungsrecht durch die Richterin bzw. den Richter besteht aber derzeit nicht. Dieses Nebeneinanderher von Geschäftsstellen und Spruchkörpern bzw. Richterinnen und Richtern ist eines der gravierendsten Probleme. Dieser Zustand bestärkt die Binnenorientierung, das "Nicht-über-den-Tellerrand-sehen" und steht einer Verantwortlichkeit für das "Gesamtprodukt" entgegen. Dieses "Sich-verantwortlich-fühlen" herzustellen und zu erreichen, daß die Beteiligten, nämlich Richter/ -in und z.B. Geschäftsstelle sich regelmäßig zusammensetzen und ergebnisoffen und ergebnisorientiert miteinander besprechen, wie Arbeitsabläufe optimiert werden können, dürfte ein entscheidender Ansatzpunkt sein. Wenn noch die letzte organisatorische Klammer zwischen Rechtsprechung und Verwaltung wegfallen würde (echte Doppelspitze), würde dieses Nebeneinanderher nur noch verstärkt werden. Richter/-in und auch die Präsidentinnen bzw. -en würden aus der Verantwortung für einen Bereich entlassen, der als Service für die Rechtsprechung untrennbar mit ihr verbunden ist.
- Eine echte Doppelspitze wäre nur schwer mit einem der tragenden Prinzipien der Justizreform "Justiz 2000" vereinbar, nämlich die Selbstverantwortung der Gerichte mit eigenem (Sach- und Personal-) Budget. Das schon jetzt bestehende nebeneinander von Verantwortlichkeiten und damit letztlich Unverantwortlichkeit würde verstärkt. Jede der beiden Spitzen könnte die Verantwortung auf die andere im Bedarfsfall schieben. Wenn Gerichtsmanager/-in gar noch der Justizbehörde selbst gegenüber verantwortlich und weisungsgebunden sein sollten, würde das zwar aus Sicht der Behörde verlockend und möglicherweise kurzfristig unter dem rein fiskalischen Aspekt des Einsparens "erfolgreich" sein, würde aber an einem entscheidenden Punkt das Prinzip der Selbstverwaltung und -verantwortung durchbrechen und erst recht die Binnenorientierung der Richter/-innen fördern. Ein solches Konstrukt derart nebeneinander bestehender Verantwortlichkeiten für ein "Produkt" widerspricht auch allen Erkenntnissen modernen Managements.
3. Frage
Unabhängig davon, ob ein Gerichtsmanager/-in als unechte Doppelspitze, der also Präsidentinnen/-en gegenüber verantwortlich ist, an großen Gerichten installiert wird, müssen Präsidentinnen/-en über prufunde Kenntnisse modernen Managements und Personalführung verfügen. Dies kann im Wege der Fortbildung erworben und vertieft werden. Zu Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sollten nur solche Personen gemacht werden, die in ihrem beruflichen Werdegang sich dadurch ausgezeichnet haben, daß sie sich für Organisationsabläufe nicht nur für ihre Spruchkörper sondern auch in dem nichtrichterlichen Dienst besonders eingesetzt und interessiert und schöpferisch gezeigt haben.
Für Gerichtsmanager/-innen an großen Gerichten müssen diese Kompetenzen unabdingbare Einstellungsvoraussetzung sein. Im übrigen sind für die derzeitigen Verwaltungsleiter/innen entsprechende Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen
4. Frage
Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, liegt das eigentliche Problem der Reform der Justiz nicht in hindernden gesetzlichen Regelungen - das GVG läßt hier viel Raum - , es liegt letztlich in den Einstellungen und Haltungen der Handelnden begründet. Ein professionelles Gerichtsmanagement kann auch ohne Gesetzesänderung eingeführt werden, es sei denn, man will eine echte Doppelspitze, was m.E. allerdings strikt abzulehnen ist. Anstatt hier eine Novellierungsdiskussion zum Thema Gerichtsmanager/-in zu führen, deren Erfolg angesichts des Umstandes, daß schon jetzt hierzu widerstreitende Interessen der Bundesländer bestehen, sowieso fraglich ist, sollten verschiedene Modelle professionellen Gerichtsmanagements unterhalb der Ebene einer Änderung des GVG einfach ausprobiert werden, um vor dem Hintergrund der bei ihrer Auswertung gewonnenen Erfahrungen zu sehen, welche Änderungen von GVG und DRiG erforderlich sind.
Derzeit sehe ich hier zwei Themen i.Z.m. der Einführung von Elementen des Neuen Steuerungsmodells , bei denen eine gesetzlich Änderung in Betracht kommen könnte:
- das Verhältnis Kammer, Dezernat, Richter/-in zur Geschäftsstelle
- Entscheidungskompetenz über die Mittelvergabe. In meiner Stellungnahme vom 30. Mai dieses Jahres zur Drucksache 16/527 habe ich hierzu ausgeführt:
"In Zusammenhang mit der Einführung von eigenen Budgetrechten für die einzelnen Gerichte ist auf die Frage der Entscheidungskompetenz über die Mittelvergabe eine Antwort zugeben: Einführung eines sog. Budgetrates, stärkere Beteiligung des Präsidialrates, Übertragung auf das Präsidium ganz oder nur insoweit, als Rechtsprechungstätigkeit betroffen ist und sich Auswirkungen auf richterliche Tätigkeit ergeben, um nur einige Möglichkeiten zu benennen.
In diesem Zusammenhang muß auch berücksichtigt werden, daß das Präsidium d i e zentrale Steuerungseinheit für die gleichmäßige und gerechte Verteilung der richterlichen Arbeit ist und damit für eine effektive Ausschöpfung der Ressourcen verantwortlich ist, aber aus gutem verfassungsrechtlichen Grund keinen Weisungen unterworfen ist (wie im übrigen auch das Präsidium gegenüber den einzelnen Spruchkörpern über die Geschäftsverteilung und Besetzung hinaus keine Weisungskompetenz hat)."
Hamburg, den 31. August 1998