Landtag von Baden-Württemberg – 12. Wahlperiode Drucksache 12 / 1670:
Ein Abgeordneter der SPD erwähnt, es komme, wenn man sich näher mit den Abordnungen beschäftige, Erstaunliches zutage. Manche Richter würden allein aufgrund ihres Alters nicht mehr zu Abordnungen zugelassen; die Tochter eines früheren Ministers sei im Alter von 36 Jahren an den Bundesgerichtshof abgeordnet worden. Dies habe zu Unruhe bei den Richterinnen und Richtern geführt, und deshalb sollte man hier eine Änderung ins Auge fassen. Er beantrage, eine schriftliche Stellungnahme des Vereins der Richter und Staatsanwälte einzuholen und vor der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs diese Stellungnahme im Ausschuß zu diskutieren. Der Ausschuß stimmt diesem Antrag des Abgeordneten der SPD einstimmig zu und beschließt gleichzeitig, die weitere Beratung des Gesetzentwurfs zu vertagen.
In der 9. Sitzung des Ständigen Ausschusses am 10. Juli 1997, zu der allen Ausschußmitgliedern die Stellungnahmen der Neuen Richtervereinigung Baden-Württemberg e. V. vom 10. April 1997 sowie des DRB – Verein der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg e. V. – vom 31. Mai 1997 zum Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Landesrichtergesetzes vorlagen, wurden diese am 17. April 1997 unterbrochenen Ausschußberatungen fortgesetzt.
Ein Abgeordneter der SPD verweist auf seine bisherigen Ausführungen zu dem Gesetzentwurf und erinnert daran, daß die Einholung der schriftlichen Stellungnahme des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg e. V. auf seinen Antrag erfolgte. Vorausgegangen sei ein Streit zwischen CDU, FDP/DVP und SPD über die Haltung des Vereins der Richter und Staatsanwälte zu der in dem Gesetzentwurf beantragten Änderung. Ein Abgeordneter der FDP/DVP habe bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs am 19. März 1997 im Plenum gesagt: Der Vorsitzende des baden-württembergischen Richtervereins hat heute mittag erklärt, er sehe keine Veranlassung, diesen Punkt zu ändern. Und dies, obwohl Sie – gemeint sei er als rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion – fortwährend zitieren, der Richterverein stehe dahinter. Das stimmt schlichtweg nicht.
Jetzt liege die schriftliche Stellungnahme des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg vor. Darin heiße es: Nachdem nunmehr die Fraktion der SPD einen entsprechenden Gesetzesentwurf eingereicht hat, der ausschließlich eine Ausweitung der Beteiligungsrechte der Präsidialräte hinsichtlich der Erprobungsabordnung vorsieht, unterstützt der Verein der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg diese Gesetzesinitiative nachdrücklich, weil die geplante Regelung aufgrund der danach durch die Präsidialräte stattfindenden Kontrolle objektiv die Gewähr einer größeren Transparenz der personellen Auswahl und der zeitlichen Einplanung der abzuordnenden Richterinnen und Richter bietet. Da auch die Neue Richtervereinigung e. V. den Gesetzentwurf ausdrücklich begrüße, gehe er davon aus, daß die Regierungsfraktionen jetzt keine Probleme mehr hätten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Hinzuweisen sei noch darauf, daß auf Bundesebene auch der Deutsche Richterbund eine Stärkung der Beteiligungsrechte fordere. Deshalb wäre es zu begrüßen, wenn Baden-Württemberg hier eine Vorreiterrolle übernehmen könnte. Der SPD-Fraktion sei bei der Ersten Beratung vom Sprecher der CDU-Fraktion vorgeworfen worden, der Gesetzentwurf sei handwerklich nicht sauber gemacht, weil er sich auf alle Abordnungen beziehe. Falls die CDU-Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen würde, wenn das Wort „Abordnung“ durch „Erprobungsabordnung“ ersetzt würde, oder falls sich die durch den Gesetzentwurf angestrebte Regelung auch durch eine entsprechende Verwaltungsvorschrift erreichen lasse, wäre die SPD-Fraktion auch damit einverstanden. Er sei erfreut darüber, daß der Verein der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg den Gesetzentwurf unterstütze, und bitte die Regierungsfraktionen, ihre bisherige ablehnende Haltung noch einmal zu überdenken und im Interesse von mehr Mitsprache im Justizbereich dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ein Abgeordneter der CDU vertritt die Auffassung, Baden-Württemberg sollte hier keine Vorreiterrolle spielen, sondern eine solche Änderung einer Novellierung des Deutschen Richtergesetzes überlassen. Baden-Württemberg habe im Justizbereich derzeit wichtigere Aufgaben zu lösen. In der Sache selbst sehe die CDU-Fraktion auch nach der Stellungnahme des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg keinen Grund, von ihrer bisher vertretenen Linie abzuweichen. Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Erweiterung der Beteiligungsrechte des Präsidialrats bedeute für diesen einen enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der nicht gerechtfertigt erscheine und nach dem SPD-Gesetzentwurf nicht einmal dazu führe, daß der Präsidialrat bei einer strittigen Abordnung bis in den Richterwahlausschuß hinein seine Position durchsetzen könne. Diesen enormen Verwaltungsaufwand sehe auch der Verein der Richter und Staatsanwälte und mache deshalb zur Vereinfachung des Verfahrens den nicht unbedingt überzeugenden Vorschlag, daß für einen begrenzten Zeitraum eine Liste der für eine Abordnung vorgesehenen Richterinnen und Richter sowie derjenigen Richterinnen und Richter, die erst später oder gar nicht für eine Abordnung vorgesehen sind, vorgelegt wird. Aus dieser Liste könne dann der Präsidialrat seine Auswahl treffen. Er sei der Auffassung, wenn man das Beteiligungsrecht des Präsidialrats auf die Abordnungsentscheidungen ausdehne, dann müsse das Justizministeriums jede Abordnung ausschreiben, jede seiner Entscheidungen gegenüber dem Präsidialrat begründen und hierzu die Personalakten vorlegen. Damit würde dem Präsidialrat, der heute schon sehr stark in Anspruch genommen sei, ein Arbeitsaufwand zugemutet, der in keinem Verhältnis zu dem damit erreichten Ziel stehe.
Ein Abgeordneter der FDP/DVP stellt fest, das baden-württembergische Richtergesetz sei im ganzen Bundesgebiet das demokratischste Landesrichtergesetz mit den meisten Mitbestimmungsrechten der Richter. Er wäre froh, wenn die Richtergesetze in Bremen, Hessen und Schleswig-Holstein ebensolche Mitwirkungsrechte enthielten. Insofern habe Baden-Württemberg hier bereits eine Vorreiterrolle. Seine Aussage bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs sei richtig gewesen. Er habe damals den Vorsitzenden des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg richtig zitiert. Das habe dieser auch nicht bestritten, aber jetzt in seiner schriftlichen Stellungnahme eine andere Meinung dargelegt. Ihm sei kein Fall bekannt, daß jemand, der eine Abordnung gewünscht habe, sie nicht irgendwann bekommen habe. Deswegen bestehe keine Notwendigkeit, das Landesrichtergesetz in der von der SPD-Fraktion beantragten Weise zu ändern.
Ein anderer Abgeordneter der CDU berichtet, daß der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg auch ihm zwei Stunden vor der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs genau die von einem Abgeordneten der FDP/DVP dann im Plenum vorgetragene Meinung bestätigt habe. Auch wenn der Verein der Richter und Staatsanwälte inzwischen seine Meinung geändert habe, übernehme die CDU-Fraktion nicht blind diese neue Meinung, sondern mache sich ihre eigenen Gedanken und bleibe bei ihrer bisherigen Haltung. Der Ausschußvorsitzende richtet an den Justizminister die Frage, ob das 1995 zum Mitbestimmungsmodell in Schleswig-Holstein ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ein gewisses Signal in Sachen Mitbestimmung darstelle, das sehr genau beachtet werden müsse. Außerdem interessiere ihn, wie die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Regelung in der Praxis vollzogen werden solle. Bisher habe man Abordnungen nach der Leistung vorgenommen. Er frage, ob die Abordnungen künftig ausgeschrieben werden sollten.
Der Justizminister legt dar, es gebe zwei Wege, wie ein Richter zu einer Abordnung gelangen könne: Einerseits spreche das Justizministerium als Dienstherr diejenigen Richter an, die es für geeignet halte, und andererseits würden sich auch Richter selbst um eine Abordnung bewerben. Nahezu alle Abordnungswünsche würden erfüllt. Nur in ganz wenigen Einzelfällen werde eine Abordnung abgelehnt, und in diesen Fällen seien bisher keine Proteste einer Richtervereinigung laut geworden. Das Problem sei, daß nicht alle Richter nach einer Abordnung auch befördert werden könnten. Falls man das bisherige Verfahren ändern und künftig bei Abordnungen den Präsidialrat beteiligen würde, müßten die Abordnungen ausgeschrieben werden, was einen riesigen Aufwand bedeuten würde, und der Präsidialrat müßte einen Überblick über das gesamte Bewerberfeld haben, da er sonst nur nach Anciennität entscheiden könnte. Um deutlich zu machen, wie weit die Mitwirkungsrechte des Präsidialrats in Baden-Württemberg und die Vorreiterrolle Baden-Württembergs schon gingen, weise er darauf hin, daß laut Richtergesetz des Bundes der Präsidialrat bei Verleihung eines Amtes mit höherem Endgehalt als dem eines Eingangsamts die Möglichkeit haben müsse, zur fachlichen und persönlichen Eignung des Kandidaten Stellung zu nehmen. Dies sei die Untergrenze des Beteiligungsrechts, die selbstverständlich überschritten werden könne. In Baden-Württemberg habe man die Mitwirkung des Präsidialrats auf nahezu alle Fälle der Personalentscheidung ausgedehnt – Fortsetzung des Probeverhältnisses, endgültige Übernahme, Beförderung, Versetzung –, und in keinem dieser Fälle habe der Dienstherr noch ein Letztentscheidungsrecht. Wenn beispielsweise das Amt eines Leiters eines Landgerichts frei werde, dann könne er (Justizminister) nicht mehr allein über die Neubesetzung entscheiden, sondern der Einigungsdruck sei fast hundertprozentig. Der Fall werde am Ende im Richterwahlausschuß entschieden, und dort habe die Vertretung der betroffenen Richter die Mehrheit. Die Richter seien damit eine Berufsgruppe, die ein Beteiligungsrecht habe. Dies gebe es weder in einem anderen Bundesland noch bei irgendeiner anderen Berufsgruppe. Es stelle sich die Frage, ob ein so weitgehendes Beteiligungsrecht nicht verfassungsrechtlich bedenklich sei. Schon in den siebziger Jahren habe der spätere Bundesverfassungsrichter Böckenförde in einem Gutachten festgestellt, es sei verfassungswidrig, wenn der Dienstherr nicht mehr allein entscheiden könne. Diese Stimme habe man damals als Einzelstimme abgetan. Jetzt gebe es aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 zum schleswig-holsteinischen Mitbestimmungsgesetz. In diesem Urteil heiße es erstens, daß auf den Dienstherrn kein Druck in der Weise ausgeübt werden dürfe, daß er bei Personalentscheidungen nicht mehr frei entscheiden könne. In Baden-Württemberg sei der Druck in diesem Fall aber, wie schon erwähnt, nahezu hundertprozentig. Zweitens werde festgestellt, daß dann, wenn am Schluß eine Einigungsstelle stehe, diese nur eine Empfehlung aussprechen dürfe. Darüber gehe man in Baden-Württemberg weit hinaus, weil sich das Justizministerium nie über die Einigungsstelle hinwegsetzen könne. Drittens werde in dem Urteil ausgeführt, daß dann, wenn ein Gremium entscheide, eine doppelte Mehrheit von parlamentarisch legitimierten Vertreten bei jeder Entscheidung gegeben sein müsse. Dies gelte nicht für Personalentscheidungen, sondern nur für eine Stufe darunter. Inwieweit man diesbezüglich in Baden-Württemberg bereits im roten Bereich sei, wolle er hier nicht untersuchen. Das Mitwirkungssystem in Baden-Württemberg habe bisher gute Ergebnisse gebracht, aber nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei die Frage offen, ob nicht verfassungsrechtliche Bedenken gegen seine Beibehaltung sprächen. Undenkbar sei jedenfalls, daß das bestehende tiefgreifende Mitbestimmungsrecht jetzt auch noch so weit ausgedehnt werde, daß das Justizministerium nicht einmal mehr bei einer Erprobungsabordnung letztlich entscheiden könne, wer geeignet sei und wer nicht. Deswegen bitte er, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ein Abgeordneter der SPD fragt, ob der Justizminister Zahlen nennen könne zum Verhältnis von Beförderungen von Richterinnen und Richtern a) mit Erprobungsabordnung und b) ohne Erprobungsabordnung und ob es überhaupt Richterinnen und Richter gebe – wenn ja, in welcher Prozentzahl –, die ohne vorherige Erprobungsabordnung in den Genuß einer Beförderung gekommen seien. Die Erprobungsabordnung werde von Richtern als „drittes Staatsexamen" bezeichnet und sei unabdingbare Voraussetzung für eine Beförderung. Wenn über die Erprobungsabordnung letztlich ohne Mitbestimmung allein vom Justizministerium entschieden werde, dann könne man sich vorstellen, daß sich diejenigen Richter gar nicht erst um Beförderungen bewürben, denen dieses „dritte Staatsexamen“ fehle. Er habe kein einziges sachliches Argument gegen den Gesetzentwurf gehört. Stattdessen müsse jetzt die Frage der Verfassungsmäßigkeit als Argument herhalten. Der Verein der Richter und Staatsanwälte habe ebenso wie die Neue Richtervereinigung dem Gesetzentwurf zugestimmt. Diese Juristen hätten sicherlich auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit geprüft, und wenn sie dem Gesetzentwurf zustimmten, dann könne man davon ausgehen, daß sie ihn nicht für verfassungswidrig hielten.
Ein Abgeordneter der CDU erwidert, dies seien Berufsvertreter, die hier legitimerweise ihre Interessen einbrächten. Die Landtagsabgeordneten als Gesetzgeber hätten die Verfassung zu beachten.
Der Justizminister erklärt, nach der Verfassung habe der Dienstherr einen bestimmten Handlungsspielraum, den er schon aus Gründen der Praktikabilität bei der Personalauswahl und -beförderung brauche. Mitwirkungsgremien der Betroffenen könnten nie denselben technischen Aufwand für eine komplette Personalpolitik betreiben wie der Dienstherr. Man dürfe auch nicht vergessen, daß bei den Betroffenen immer ein Stück Subjektivität in ihrer Entscheidung stecke. Insofern erscheine es sachlich richtig, daß der Dienstherr der Letztverantwortliche für die Personalpolitik sei. Im übrigen sei auch eine Reihe von Stellen ohne Erprobungsabordnung erreichbar. Außerdem stünde es nach dem jetzigen System dem Präsidialrat frei, jemanden, der zur Erprobungsabordnung nicht zugelassen worden sei, zur Beförderung vorzuschlagen. Dann bräuchte das Justizministerium, um seinen eigenen Kandidaten durchzusetzen, im Richterwahlausschuß – einem Gremium, das mit sieben Landtagsabgeordneten und acht Richtern besetzt sei – eine Zweidrittelmehrheit. Deshalb sehe er keinen Bedarf für den Gesetzentwurf, sondern verstehe diesen als Gefälligkeitsgeste gegenüber den Betroffenen. Mit dem Abgeordneten der SPD werde er sich noch verständigen, welche Zahlen dieser haben wolle, und sie ihm dann direkt liefern.
Danach empfahl der Ständige Ausschuß dem Landtag mehrheitlich, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1034 abzulehnen.
17. 07. 97
(Den Autor dieser Inhaltsangabe habe ich - Wolfgang Hirth - versehentlich gelöscht. Ich werde ihn nach evtl. Wiedererlangung seines Namens nachtragen.)