LAMBERT LEOPOLD aus Hamburg
an seine Schwester Friedel Wertheim in Südafrika,
auf eine Schallplatte gesprochen,
wahrscheinlich im Frühjahr 1934:
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„Schwesterchen, hier bin ich, Dein Bruder. Wir haben uns seit dem Oktober nicht
gesprochen. Ich habe immer vorgehabt,
mal wieder mit Dir zu reden; denn reden ist doch immer besser als Briefe
schreiben. Heute mittag habe ich deinen
Brief abgeholt, den Du Else zum
Geburtstag zugedacht hast. Es hat
soviel lebendige Seele aus Deinen Zeilen gesprochen, daß ich mich am Nachmittag
gleich auf die Socken gemacht und auf die Bahn gesetzt habe.
Nun sitze ich hier im Aufnahmesaal im
Großen Bleichen und will Dir etwas sagen
- was, das weiß ich selbst nicht recht; denn alles das, was uns im
Herzen bewegt und so auf uns drückt , läßt sich schwer über Meere hinweg
ausdrücken. Ich dachte mir, dies oder
jenes mitzuteilen. Aber nun, wo ich hier
sitze, will es mir doch nicht so recht von den Lippen, und da mache ich lieber
gleich, was ich vorgehabt habe: Ich
öffne einen Aktendeckel, den ich mitgebracht habe. In diesem sind, erschrick nicht,
Gedichte. Du hast mich früher manchmal ausgelacht, wenn ich Dir
derartiges gezeigt oder vorgelesen habe.
Ich glaube, du wirst heute verstehen, daß das, was auf mir drückt, sich
nicht anders sagen läßt als in dieser Form.
Hier ist ein
Gedicht aus dem Mai vorigen Jahres: ..........“
Mai 1933 : Titel 02
es blauen
die Syringen (griechisch: Flieder),
Kastanien
prangen, der Rotdorn glüht,
die Welt
ist Lachen und Singen.
Du da, was
schaust du so trübe drein?
Warum
willst du nicht lachen?
Ein Riegel
fiel und schloß mich ein.
Helft mir
das Tor aufmachen!
Mai 1933 : Titel 03
Gott,
warum tust Du dieses, daß wir sehen,
wo
sich der Weg zieht, den wir schreiten müssen,
und
daß wir brennen, ihn beherzt zu gehen,
des
Heimwehs spottend, das uns wundgerissen.
Und
sind gebunden doch an diese Stätte,
die
uns nicht liebt, und die uns von sich stößt?
Nicht
hier, nicht dort zu Haus - grausame Kette -
und
keine Kraft, die unsere Fesseln löst.
Oktober
1933 : Titel 04 (fragmentarische Aufnahme)
AN DER WENDE
Sieh, ich
hab‘ mich fertig gemacht,
will
auf alles, was war, verzichten.
Was
mich gezogen und angelacht,
soll
nicht mehr sein. Du sollst mich richten!
Wo
Du mich hinweist will ich geh’n.
Ich
habe keine Angst (vorm Wege?)
Will
wie ein Kind im Dunkel steh’n
und
warten, daß Dein Weg sich rege.
Denn da ich so verstoßen bin,
kannst Du, mein Gott,
mich nicht vergessen.
Ich weiß zutiefst in
meinem Sinn
mich um so mehr von Dir
besessen.
Du streichst um meine
Einsamkeit
wie Wind um bröckelndes
Gemäuer.
Sprich zu mir Gott, ich
bin bereit,
fahr vor mir aus als
Weggeleit,
Gewölk bei Tage,
nächtens Feuer.
(kursiv gedruckter Text fehlt bei Aufnahme)
November
1933 : Titel 05
WENN NOCH EINMAL
Wenn
noch einmal mich dieses Leben riefe
und
höbe mich in den geweihten Kreis
der
Schaffenden aus der Verbannung Tiefe
ins
Licht herauf, das ich zuinnerst weiß,
dann
soll mein Jubel wie ein Sturzbach schäumen
durch
alle meine Stunden, Tag und Nacht.
Gelobet
seist Du, der im Dunkel wacht
Und
Wirklichkeiten webt aus Menschenträumen.
Dezember
1933 : Titel 06
Ich hab‘ etwas verloren,
daran ich innigst hing.
Es war mit mir geboren,
umschloß mich wie ein Ring.
Doch such‘ ich in Gedanken
nach dem verlor’nen Gut,
so fühl‘ ich nur mein Kranken,
das mir so wehe tut.
Und finde nicht den Namen. -
War’s Heimat, Ehre, Ruh‘,
was mir die Tage nahmen?
Ich schließ‘ die Augen zu
und seh‘‚ im Grund sich wälzen
ein Meer von Überdruß.
Verlebte Formen schmelzen
und treiben hin im Fluß.
Und nichts ist, was mich bindet,
kein Erdreich, das mich hält.
Die letzte Krume schwindet.
Zur Fremde wird die Welt.
Dezember
1933 : Titel 07 (fragmentarische Aufnahme)
Der Geist ist uns geblieben,
das ist ein schwacher Trost.
Mensch will den Menschen lieben,
will Heimat, die ihn kost.
Will Sprache, die ihn bindet,
will Treu und Bruderwort,
daß Schritt und Tritt ihm kündet:
„Hier bist du recht am Ort.“
Wir mögen ......... und trinken
am Born der Ewigkeit.
Wir werden dennoch hinken
............................................
Verkümmert und verkommen
wie ein gehetztes Wild,
wird uns die Kraft genommen
die aus der Erde quillt.
(kursiv gedruckter Text fehlt bei
Aufnahme)
Dezember
1933 : Titel
08
NEUE
HEIMAT
Und dennoch ist die Fremde mir
wohlig und vertraut.
Sie war mein‘ Väter Erbe, eh ich
die Welt erschaut.
Von Land zu Lande zogen die Ahnen
hin und her,
Ihr Acker war die Sehnsucht, und
die war tief und schwer.
Sie schleppten ihn durch Wüsten
und über die weite See.
Sie streuten Traumessamen hinein
und Herzensweh,
und Angst und Not und Bangen. - Der
Acker trug und trug.
Doch wenn sie ernten wollten, kam
Hagel und zerschlug
die goldene Saat. - Der
Acker der Sehnsucht bringt kein Glück.
Sie kehrten immer wieder arm und
enttäuscht zurück.
So war der Väter Leben. Sie sind in meinem Blut
und hüten ihren Acker, den alten
Acker gut.
Und wer sich losgerissen und seine
Wurzeln senkt
In anderer Völker Boden, den
Zufall ihm geschenkt,
den lassen sie nicht ruhen und
holen ihn heraus
mit allen Wurzelfasern und rufen
ihn nach Haus.
Mich haben sie gerufen. Ich hör und bin bereit.
Sei mir willkommen Heimat der
Heimatlosigkeit.
LAMBERT LEOPOLD
(Abschrift von Frau Irmgard Pilz, Hofheim am Taunus)
Die vorstehenden Gedichte wurden von Lambert Leopold auf
eine ‚Schallplatte’ gesprochen, die vermutlich 1934 in den Großen Bleichen in
Hamburg aufgenommen wurde. Von Herrn Georg Giffey, Schellackplatten-Sammler und
Tontechniker beim NDR, habe ich erfahren, dass es in den Großen Bleichen zu
jener Zeit mehrere Tonstudios für private Zwecke gab, in denen überwiegend
Privataufnahmen als ‚Grußkarten’ erstellt wurden. Ein Verfahren, dass zu jener
Zeit offenbar sehr beliebt war. Die Sammlung von Herrn Giffey beinhaltet mehrere
derartiger Aufnahmen, so auch einige Geburtstagsgrüße und Feldpostbriefe.
Von der ursprünglichen Aufnahme wurde für Frau Irmgard Pilz eine
Kopie auf Tonband-Kassette gezogen, die heute dem Jüdischen Museum in Berlin
vorliegt. Von dieser Kopie wurde wiederum eine Kopie für Frau Pilz gefertigt,
die ihrerseits davon eine Kopie für mich erstellt hat. Die Qualität der
Aufnahme lässt dementsprechend zu wünschen übrig. Herr Giffey hat mit einigem
Erfolg versucht, die Qualität durch eine technische Bearbeitung zu verbessern.
Diese bearbeitete Aufnahme liegt mir als CD vor.
Lambert Leopold hat die ursprüngliche Aufnahme wohl 1934 an
seine Schwester Friedel Wertheim, geb. Leopold in Südafrika geschickt. Friedel
Wertheim ist mit ihrem Mann Dr. Siegmund Wertheim, einem aus Gießen stammenden Arzt,
nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten schon frühzeitig nach
Südafrika emigriert. Eine Patientin von Dr. Wertheim hatte diesem eine
Emigration nach Südafrika empfohlen, da sie das drohende Unheil für die
jüdische Bevölkerung in Deutschland erkannte und Dr. Wertheim ohne Probleme
seine Zulassung als Arzt in Südafrika erhalten würde, da er auch über ein
englisches Medizinerexamen verfügte. Die Mutter von Friedel und Lambert Leopold
ist kurze Zeit danach ebenfalls nach Südafrika zu ihrer Tochter und ihrem
Schwiegersohn gezogen.
Der Vater von Frau Pilz war mit Siegmund Wertheim seit
gemeinsamen Studientagen befreundet. Frau Pilz lebte mit ihrem Mann für einige
Jahre ebenfalls in Südafrika und ist noch heute mit der Tochter von Friedel und
Siegmund Wertheim, Eva Levy, befreundet und steht mit dieser in regelmäßigem
Kontakt.
Halstenbek, 22.11.2005
Johann-Hinrich Möller