(veröffentlicht am 16.07.2003 im Weser-Kurier;
hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der BREMER TAGESZEITUNGEN Aktiengesellschaft)
Richter klagen am lautesten
Streik in Brasilien: Regierung will die Renten der
Justizbeamten kürzen
Rio de Janeiro. Brasiliens sozialistischer Präsident Lula da Silva hat es
mit dem ersten Streik in seiner Amtszeit zu tun. Die Arbeitsverweigerer sind
aber keineswegs die Ärmsten im Lande, sondern Richter und Staatsanwälte. Sie
wollen nicht mit dem gemeinen Volk in einen Topf geschmissen werden.
Nie im Leben würde Oberstaatsanwalt Demosthenes da Silva hinter roten Fahnen
herziehen und Kampfparolen brüllen. Das lässt er lieber seinen Fahrer machen.
Demosthenes lässt streiken. Dagegen, dass die Justizbeamten, die Richter und
Staatsanwälte – kurz die „Magistraten“ der Dritten Gewalt – in ein „Massengrab“
wandern müssen. Den hübschen Ausdruck hatte Kollege Mauricio Correa, der
Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, dafür gefunden, dass die Regierung
beabsichtigt, Justizbeamte wie gewöhnliche Staatsdiener zu behandeln und ihre
wohlverdienten Ruhebezüge kürzen will. Das „Massengrab“ fürs Volk.
Die Herren Magistraten wollen besser ausgestattet werden. Besitzstandswahrung –
steht das nicht sogar in der Verfassung? Und steht da nicht auch, dass die
Richterschaft autonom und unabhängig ist? Die Dritte Gewalt in Brasilien ist so
autonom, dass sie ihre Gehälter selber bestimmt. Der Chef des
Staatsgerichtshofes teilt der Regierung nur jährlich mit, wie viele Milliarden
die Magistraten brauchen. Das Parlament segnet es ab. Das ist alles. Danach
verteilen die Robenträger die Beute untereinander.
So einer wie Mauricio Correa kriegt mehr als doppelt soviel wie der
Staatspräsident – ruhestandsfähig und ohne Abzug. Nach unten hin wird das Salär
schon schmaler, aber über einen eigenen Dienstwagen gebieten selbst schon die
jüngsten Amtsrichter. Das Amtsgericht in Rio de Janeiro verfügt sogar über einen
Heliport.
Dabei haben es die Robenträger nicht wirklich eilig. Zivil- wie Strafprozesse
ziehen sich über Jahre hin. Die brasilianischen Mühlen der Justiz malen langsam,
Grundsatzentscheidungen gibt es nicht. Jeder Prozess muss bis zur letzten
Instanz einzeln geführt werden. Sokommen gigantische Aktenberge zusammen. Die
Richter aber stöhnen, sie hätten oft mehr als zwei Dutzend identische Verfahren
pro Tag zu entscheiden und abzuzeichnen – Fließbandurteile mit dem Federkiel.
Dabei ist der Staatsjuristenalltag gemächlich. Drei Monate im Jahr brauchen die
Magistrados nicht zur Arbeit erscheinen; alle paar Jahre gibt es bezahlte
Sabbat-Jahre – um nicht zu sagen: Faulenzerjahre. Und im Übrigen kann jeder
Staatsjurist schon nach einem Dutzend Dienstjahren bei vollenBezügen in den
Ruhestand treten ohne auch nur einen einzigen Centavo aus der eigenen Tasche für
die Pension ausgeben zumüssen.
Während ein normaler Rentner im Schnitt nicht mehr als 380 Real (rund 120 Euro)
monatlich hat, kassieren die Pensionäre der Dritten Gewalt 8000 Real monatlich.
Über ihre Alimentierung haben sich die Roben- wie die übrigen Hoheitsträger nie
groß Gedanken gemacht. Auch nicht darüber, dass die Renten und Pensionen der
öffentlichen Angestellten etwa zehn Mal höher liegen als die der gewöhnlichen
Sterblichen.
Die Robe sitzt immer noch näher als der Rock. Die Rentenreform, die Lula plant,
soll den Staat von Defiziten entlasten und von den Bessergestellten einen Obulus
zur Finanzierung der Renten einfordern. Dagegen streiken der Bundesbediensteten.
Doch den Streik spüren die Brasilianer kaum. An den Unis wird eigentlich immer
irgendwo gestreikt. Dass nun die Richter streiken, scheint kaum jemand zu
bemerken. Wenn die Steuerbeamten streiken: umso besser!