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1.
Strafe erfüllt ihren Zweck nur dann, wenn der
Straftäter mit ihrer Vollstreckung rechnen muß. Wird bei bestimmten
Delikten in großem Umfang auf die Vollstreckung der Strafe verzichtet,
so verliert diese ihre abschreckende Wirkung. Deswegen dürfen beim
Erlaß von Ersatzfreiheitsstrafen im Gnadenwege fiskalische Gründe
bzw. Haftplatzkapazitäten keine Bedeutung haben. Alles andere hieße,
daß die Vollziehung von Ersatzfreiheitsstrafen von den Staatsfinanzen
abhinge. Die bisherigen Äußerungen der Justizbehörde machen
deutlich, daß fehlende Haftplatzkapazitäten und hohe Haftplatzkosten
jedenfalls ein wesentlicher Grund für die veränderte Gnadenpraxis
sind. Diese Praxis stößt auf Bedenken.
2.
Man mag Zweifel am kriminalpolitischen Sinn von
Ersatzfreiheitsstrafen haben. In Hamburg gibt es seit längerem die
Möglichkeit, uneinbringliche Geldstrafen durch gemeinnützige
Arbeit zu tilgen. Auch kann in Härtefällen das Gericht anordnen,
daß die Vollstreckung unterbleibt (§ 459 f. StPO). Weitere
Reformvorschläge werden diskutiert, sind aber vom Gesetzgeber bislang
nicht aufgegriffen bzw. umgesetzt worden. Solange jedoch das Gesetz Ersatzfreiheitsstrafe
vorsieht, gilt es auch insoweit uneingeschränkt. Der Gesetzgeber ist
hier zu einer Reform aufgerufen, nicht die Gerichte bzw. die Gnadenkommissionen.
3.
Richter und Staatsanwälte haben das Recht auf
freie Meinungsäußerung auch in ihrem Berufsfeld. Wer dieses
Recht in Anspruch nimmt, handelt nicht "grob ungehörig". Es steht
außer Zweifel, daß nicht die Gerichte für Gnadenentscheidungen
zuständig sind. Dennoch müssen Richter zu einer Gnadenpraxis
ihre Meinung äußern dürfen, wenn sie Bedenken und Zweifel
haben, zumal Gnadenentscheidungen in einem engen Zusammenhang mit der richterlichen
Entscheidung stehen.
Hamburg, 25. Juni 1998
Dr. Heiko Raabe, Vorsitzender