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T H E S E N
(Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt am 19. August 1997)

I.
Die Justiz hat sich zu einem großen Entsorgungs- und Reparaturunternehmen für alle gesellschaftlichen Probleme entwickelt.

Grund:
Eine erschreckende und erschreckend zunehmende Unfähigkeit der Gesellschaft zum Konsens, Probleme konsensual zu lösen. Im Vordergrund stehen Partikularinteressen und Egoismen. Politische Gruppierungen blockieren sich gegenseitig. Es gibt gesellschaftliche Fehlentwicklungen zuhauf.

Folge:
Die Justiz soll letztendlich alle Probleme lösen. Dieser an sie gestellte Anspruch muß die Justiz überfordern. Der Staat wird immer justizorientierter bzw. justizlastiger.

II.
Die Justiz ist für die Kriminalitätsentwicklung nicht verantwortlich. Sie kann nicht steuernd auf die Kriminalitätsursachen einwirken. Sie steht vielmehr am Ende einer Fehlentwicklung, die sie mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln nur zum Teil korrigieren kann. Dabei arbeitet die Justiz bei zum Teil äußerst schwierigen Rahmenbedingungen mit hohem Engagement.

III.
Die Ursachen für die Kriminalität sind vielfältig, z.B.: Investitionen in diesen Bereichen sind Investitionen für die Zukunft.

IV.
Auch heilige Kühe gehören auf den Prüfstand. Was in den 70er und 80er Jahren richtig gewesen ist, muß bei veränderten gesellschaftlichen Bedingungen heute nicht mehr richtig sein. Die Einrichtung geschlossener Heime für hochgewalttätige Jugendliche - pädagogisch betreut - muß diskutiert werden, unaufgeregt und ohne ideologische Schere im Kopf. Diese Heime können eine "weiche" Vorstufe zur Jugendstrafe sein und diese verhindern.

V.
Auch die Justiz steht bei der Kriminalitätsbekämpfung in der Pflicht, und sie nimmt sich in die Pflicht. Das Bild einer statischen Justiz ohne Wahrnehmung der gesellschaftlichen Veränderungen ist falsch. Es gibt einen lebhaften, zum Teil kontroversen Diskurs innerhalb der Richterschaft über Fragen richterlicher Spruch-praxis. Beispiel: Ist es richtig, grundsätzlich Jugendstrafrecht auf heranwachsende Täter anzuwenden, eine zur Zeit ganz überwiegend geübte Praxis?

VI.
Drei wichtige Grundsätze für die Bekämpfung insbesondere der Jugenddelinquent: Hamburg, 19. August 1997
Dr. Raabe