***** HEUTE IM BUNDESTAG **** PRESSEDIENST DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES
*****
**************************************************************************
Berlin: Mittwoch, 6. Dezember 2000 Redaktionsschluss: 10:00 Uhr (307)
...
3.
Rechtsausschuss/Anhörung
ANWALTSKAMMER UND RICHTERBUND LEHNEN ZIVILPROZESS-REFORM WEITER AB
Berlin: (hib/BOB) Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Richterbund
halten an ihrer Kritik an der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
geplanten Reform des Zivilprozesses (14/3750) fest.
Anlässlich einer Anhörung des Rechtsausschusses zu der Thematik
am Mittwochmorgen erklärt die Anwaltskammer in ihrer Stellungnahme,
insbesondere die Vorschläge für das Rechtsmittelverfahren verkürzten
unvertretbar die Rechte der Prozessparteien.
Eine umfassende Berufung gegen zivilgerichtliche Urteile seien "Bestandteil
unserer Rechtskultur". Zu plädieren sei deshalb dafür, die Tatsachenfeststellung
des Berufungsgerichts im Interesse der materiellen Gerechtigkeit nicht
einzuschränken.
Der Deutsche Richterbund argumentiert unter anderem, die personellen
Auswirkungen der Reform könnten in keiner Weise verlässlich kalkuliert
werden.
Befürchtet werden müsse deshalb, dass das Vorhaben zu einer
personell nicht abgedeckten Mehrbelastung der Justiz führe.
Professor Reinhard Böttcher, Vorsitzender der ständigen Deputation
des Deutschen Juristentages, teilt diese Ansicht.
Die Auffassung der Koalitionsfraktionen, die von ihnen beabsichtigte
Stärkung der ersten Gerichtsinstanz könne durch den verstärkten
Einsatz von Richtern höherer Instanzen gewährleistet werden,
überzeuge nicht.
Praktiker rechneten statt dessen mit einer deutlichen Mehrbelastung
durch das Vorhaben. Böttcher widerspricht in seiner Stellungnahme
der Ansicht, eine Reform des Zivilprozesses in Deutschland sei erforderlich,
um berechtigten Ansprüchen Recht suchender Bürger sowie der Wirtschaft
zu entsprechen.
Es gebe, so Böttcher, diesbezüglich in der Praxis keinerlei
"Leidensdruck". Der deutsche Zivilprozess stehe, was Erledigungszeiten
und Berechenbarkeiten der Ergebnisse betreffe, nach dem Urteil vieler Sachkenner
auch international gut da.
Grundsätzliche Zustimmung zu ihrem Reformhaben erntet die Koalition
hingegen unter anderem von der Neuen Richtervereinigung, der Deutschen
Justiz-Gewerkschaft sowie dem Sachverständigen Horst Eylmann.
Die Neue Richtervereinigung bescheinigt dem Entwurf, er beruhe auf
einem "umfassenden und ausgewogenen rechtspolitischen Konzept".
Durch die beabsichtigte nachhaltige Stärkung der Eingangsinstanz
werde die Justiz "vom Kopf auf die Füße gestellt".
Eylmann, ehemaliger Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages,
kommt in seiner Stellungnahme zu dem Schluss, der gegenwärtig praktizierte
Zivilprozess vor dem Amtsgericht sei nicht bürgerfreundlich.
Eine Reform sei deshalb notwendig. Dies sei allerdings schwierig, da
sie angesichts der angespannten Haushaltslage der Länder kostenneutral
durchgeführt werden müsse.
Auch Professor Peter Gottwald von der Universität Regensburg ist
der Ansicht, der Koalitionsentwurf verwirkliche eine ganze Reihe rechtspolitischer
Reformvorhaben.
Es würde deshalb zu weit gehen, die Initiative in der vorliegenden
Form pauschal abzulehnen.
Überwiegend kritisch fallen die Stellungnahmen der Sachverständigen
zu der Absicht aus, die Berufungen künftig bei den Oberlandesgerichten
(OLG) zu konzentrieren.
Unter anderem Professor Reinhard Greger von der Universität Erlangen
und die Präsidentin des Oberlandesgerichtes München, Hildegund
Holzheid, sprechen sich dagegen aus.
Dies sei "nicht hinnehmbar", so Holzheid. Wege zum Berufungsgericht
würden sich für Parteien und Rechtsanwälte verlängern
und verteuern.
Richter und Unterstützungspersonal müssten von den Landgerichten
zu den OLG versetzt werden, was einen hohen Raummehrbedarf verursache.
Der vom Bundesjustizministerium aufgezeigt Ausweg, dann eben auswärtige
Senate einzurichten, erscheine wie ein "Schildbürgerstreich".
Hingegen hat die Neue Richtervereinigung keine Bedenken gegen die vorgeschlagene
Regelung. Sie plädiert allerdings dafür, dass die Länder
sämtliche reformbedingten Entlastungspotenziale auch tatsächlich
zur Stärkung der ersten Instanz verwenden und insbesondere die Amtsgerichte
entlasten.
Keinesfalls dürfe die Reform deshalb den Sparplänen der Finanzminister
zum Opfer fallen. Auch Karlmann Geis, ehemaliger Präsident des Bundesgerichtshofes,
spricht sich in seiner Stellungnahme dafür aus, das Rechtsmittel der
Berufung bei den Oberlandesgerichten zu konzentrieren.
Die OLG seien die "geborenen Berufungsgerichte". Geis bezweifelt aber,
dass mit der Reform in dieser Hinsicht verbundene Mehrbelastungen aufwandsneutral
ausgeglichen werden können.
Eylmann ist der Ansicht, die Behauptung, die Verlagerung der Berufungszuständigkeit
würde einen erheblichen personellen Mehrbedarf in OLG auslösen,
sei "zumindest übertrieben".
Schwerer wiege allerdings der Einwand, dass die in Flächenländern
zum Teil sehr großen Entfernungen zum OLG einen erheblichen Verlust
an Bürgernähe bedeuteten. Die Einrichtung auswärtiger Senate
sei deshalb unverzichtbar.
...
Recht/Gesetzentwurf
Bundesrat kritisiert Kosten vorgesehener Reform des Zivilprozesses
Berlin: (hib/BOB) Zur Reform des Zivilprozesses hat die Bundesregierung
einen Gesetzentwurf (14/4722) vorgelegt.
Die Vorlage ist im Wesentlichen identisch mit einem dem Parlament bereits
vorliegenden Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
(14/3750) zur gleichen Problematik. Eine der Ausnahmen betrifft Änderungen
des Arbeitsgerichtsgesetzes.
Kritik übt unterdessen der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu
dem Reformvorhaben. Entgegen den Regierungsangaben würden auf die
Länder "erhebliche Mehrkosten" zukommen, so die Argumentation.
Durch die vorgesehenen Maßnahmen, wie etwa vertiefte Tatsachenfeststellungen
in der ersten Instanz, würde das Verfahren deutlich personalintensiver.
"Massive zusätzliche Belastungen" entstünden dadurch, dass die
landgerichtlichen Berufungen an die Oberlandesgerichte verwiesen werden
sollen.
Um ihre Aufgaben künftig besser bewältigen zu können,
müssten die bei den Landgerichten eingesetzten Berufungsrichter an
die Oberlandesgerichte versetzt werden, heißt es weiter.
Dies setze Stellenhebungen voraus und verursache zusätzliche Baukosten.
Für eine personelle Verstärkung der Amtsgerichte stünde
damit kein einziger Richter zur Verfügung.
Hinzu kämen zumindest in den Flächenländern erhöhte
Prozesskostenhilfeausgaben wegen der weiteren Entfernungen zu den Oberlandesgerichten,
so der Bundesrat.
Diese Mehrbelastungen würden durch die vorgesehenen Entlastungen
wie beispielsweise das Zurückweisungsverfahren in der Berufungsinstanz
oder den verstärkten Einzelrichtereinsatz in der ersten Instanz nicht
kompensiert.
Sie seien für die Länder angesichts der Lage der öffentlichen
Haushalte nicht verkraftbar. Der Bundesrat fordert deshalb die Regierung
auf, ihren Entwurf zu überarbeiten und dem Gebot der Kostenneutralität
zu entsprechen.
In ihrer Gegenäußerung weist die Bundesregierung diese Auffassung
zurück. Die Reform des Zivilprozesses lasse sich vielmehr ohne zusätzliche
Belastungen für die Länderhaushalte umsetzen.
Die beabsichtigten Änderungen in der Rechtsmittelinstanz und der
verstärkte Einsatz von Einzelrichtern beim Landgericht erster Instanz
setzten vielmehr Richterarbeitskräfte frei, welche die reformbedingten
Mehrbelastungen der ersten Instanz bei weitem überstiegen.
Diese Mehrbelastung falle keineswegs so dramatisch aus, wie vom Bundesrat
befürchtet, erklärt die Regierung.
...
**************************************************************************
Herausgeber: Deutscher Bundestag * Pressezentrum
Platz der Republik 1 * 11011 Berlin
Tel.: 030/2 27-3 56 42 * Fax: 030/2 27-3 61 91
Verantwortlich: Uta Martensen
Redaktionsmitglieder: Dr. Bernard Bode, Rainer Büscher, Michael
Klein,
Sabrina Möller, Dr. Volker Müller, Siegfried Wolf
...
**************************************************************************