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Mitteilung der Gerichtspressestelle vom 23. Juni 2005:

Verfassungsrichter Gündisch und Grambow verabschiedet

Der Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts Wilhelm Rapp hat heute die langjährigen Hamburgischen Verfassungsrichter Rechtsanwalt Dr. Jürgen Gündisch und Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Grambow bei einem Empfang im Plenarsaal des Hanseatischen Oberlandesgerichts verabschiedet und ihnen für ihre hervorragende Arbeit im Verfassungsgericht gedankt. Unter den erschienen rund 100 Gästen befanden sich unter anderem derzeitige und frühere Mitglieder der Bürgerschaft, des Senats, der Hamburger Gerichte und Staatsanwaltschaften und der Standesvertretungen.

Rede des Verfassungsgerichtspräsidenten Wilhelm Rapp: 

„… es ist ein vergleichsweise seltenes Ereignis, dass das Hamburgische Verfassungsgericht sozusagen öffentlich langjährigen Verfassungsrichtern Lebewohl sagt. Es ist keineswegs so, dass wir uns da auf einen der fundamentalen Grundsätze des Verwaltungshandelns, nämlich den, wir hätten es schon immer so gemacht, berufen könnten. Denn bisher sind nur unsere frühere Kollegin Leithäuser und die ehemaligen Verfassungsrichter Herbert Dau und Prof. Werner Thieme in dieser Form verabschiedet worden. Bei allen anderen ausgeschiedenen Kolleginnen und Kollegen gab es nur eine kleine gerichtsinterne Feier.

Es bedarf daher einer besonderen Begründung für die heutige Feierstunde. Die Mitglieder des Hamburgischen Verfassungsgerichts waren der Meinung, der Abschied von zwei Kollegen die seit langen Jahren, Herr Dr. Gündisch seit insgesamt 26 und Herr Dr. Grambow seit 16 Jahren, dem Gericht angehören und dessen Beratungen und Entscheidungen mit geprägt haben, sei ein guter Grund, um einmal öffentlich „Danke“ zu sagen.

Dies um so mehr, als nach den heute geltenden Regelungen über die Amtszeit der hamburgischen Verfassungsrichter außer mir selbst keiner der jetzt amtierenden Kollegen eine nur annähernd so lange Dauer der Zugehörigkeit zu diesem Gericht wird erreichen können. Wie sie wissen, kann das hamburgische Verfassungsgericht keine Ehrenmitgliedschaften oder Ehrentitel verleihen. Man muss da auf andere Begriffe zurückgreifen. In einer kleinen Rede zum siebzigsten Geburtstag von Herrn. Dr. Gündisch habe ich mal – natürlich scherzhaft – für uns beide den Begriff des „verfassungsrechtlichen Fossils“ verwandt, der natürlich insofern unscharf ist, weil hoffentlich keiner von uns den Eindruck von Versteinerung macht.  Gleichwohl: Mit einer Amtszeit von 26 Jahren ist und bleibt Herr Dr. Gündisch mit Abstand das dienstälteste Mitglied des Gerichts. Länger war kein Verfassungsricher im Amt und auch künftig wird – jedenfalls nach der derzeitigen Gesetzeslage – keiner länger amtieren. Ich selbst werde ihn in meiner verbleibenden Amtszeit nicht mehr einholen können. Und auch die 16 Jahre von Herrn Dr. Grambow sind nach heutigem Recht nicht mehr zu toppen. Deswegen bitte ich ihn herzlich, doch in unseren kleinen und exklusiven Kreis der „Fossilien“ einzutreten, auch wenn er natürlich einem verfassungsgerichtsgeschichtlich jüngeren Zeitalter zuzurechnen ist.

Lieber Herr Dr. Gündisch, es ist mir ein wenig schwer gefallen, Ihre langjährige Tätigkeit in unserem Gericht mit kurzen Worten gebührend zu würdigen. Nicht etwa, weil es nicht genug zu sagen gäbe – wenn man über zwanzig Jahre zusammengearbeitet hat, dann ist nicht der Mangel an Fakten sondern die Fülle der Erinnerungen das Problem. Wie soll man das alles in eine einigermaßen im Zeitrahmen bleibende Rede fassen? Sehen Sie daher bitte über die Lückenhaftigkeit meiner Ausführungen hinweg; ich muss mich auf das Wesentliche beschränken.

 

Aus dem öffentlichen Leben unserer Stadt in den vergangenen  Jahrzehnten sind Sie nicht wegzudenken. Sie waren viele Jahre ein souveräner und geschätzter Abgeordneter der Bürgerschaft. Ihre Fähigkeiten als Debattenredner wurden von den Einen bewundert von anderen gelegentlich auch gefürchtet. Als Mitglied der Deputation der Justizbehörde haben Sie auch Verantwortung in der Exekutive wahrgenommen und im Richterwahlausschuss die Personalpolitik in der hamburgischen Justiz mitgestaltet. Wenn ein solcher homo politicus  dann auch noch ein brillanter Jurist ist, dann ist er im Verfassungsgericht, das ja eine Schnittstelle zwischen Politik und Rechtsprechung ist, genau richtig. Denn ein Verfassungsrichter sollte nicht nur Verfassungsrechtler, sondern in gleichem Maße auch Profi der Verfassungswirklichkeit sein. Sie sind es und haben Ihre Erfahrungen aus der Politik und der parlamentarischen Arbeit in unsere Entscheidungen eingebracht. Diese politische Dimension der Beratung, Abwägung und Entscheidung ist in einem Verfassungsgericht, das ja in aller Regel politische Sachverhalte an den Normen des Verfassungsrechts zu messen hat, von erheblicher Bedeutung. Aber beraten und entscheiden ist ja in einem Gericht (manche sagen: leider) nicht alles. Manchmal ist man Berichterstatter. Das ist dann das harte Pflichtprogramm. Man muss Beratungen und Verhandlungen vorbereiten, umfangreiche schriftliche Voten vorlegen, sich der Diskussion mit den Kollegen stellen, eine schließlich gefundene Entscheidung begründen, sich mit juristischen und – schlimmer noch – sprachlichen Einwänden gegen die eigenen Formulierungen auseinandersetzen. Das ist schwere, Zeit und manchmal auch wohl Nerven raubende Arbeit. Sie waren jederzeit bereit die mit einer Berichterstattung verbundene Arbeit zu übernehmen – sei es ein umfangreiches Verfahren auf rechtlichem Neuland (Volksgesetzgebung) oder die eher spröde Materie des Beihilferechts für Beamte. Es gab nichts, was Sie nicht mit ersichtlicher Freude an der Sache bearbeitet hätten. Obendrein waren Sie das „sprachliche Gewissen“ des Gerichts. Das ist ein etwas zwiespältiges Lob, denn gelegentlich plagt einen das Gewissen ja auch. Aber anderseits: Wie angenehm ist es dann doch, ihm zu folgen.

 

Lieber Herr Dr. Gündisch, wir alle haben stets gern mit Ihnen zusammengearbeitet. Es hat Freude gemacht mit Ihnen zu diskutieren. Ihre Sachlichkeit, Fairness und Kollegialität war beispielhaft. Kurz gesagt, die Mitglieder des Gerichts können sich das Hamburgische Verfassungsgericht ohne Sie und Ihren Erfahrungsschatz bislang noch nicht so recht vorstellen. Aber wir haben zu respektieren, dass auch die längste Amtszeit einmal zu Ende geht und nicht verlängert werden kann.  Aber ich bin ganz sicher: Ihre Arbeit im Verfassungsgericht wird weiterwirken. In unseren Beratungen wird oft der Satz „Gündisch hat dazu gesagt …“ zu hören sein. Wir alle haben Ihnen viel zu verdanken. Ich danke Ihnen im Namen des ganzen Gerichts für Ihre engagierte Mitarbeit und wünsche Ihnen für die Zukunft von Herzen alles Gute.

 

Lieber Herr Dr. Grambow, lieber Hans-Jürgen, wir beide kennen uns seit unserer gemeinsamen Schulzeit auf der Walddörferschule in Volksdorf und haben auch später eine ganze Menge gemeinsam gemacht. Deswegen entspricht eine hochoffizielle Laudatio auf Herrn Dr. Grambow auch eigentlich nicht so recht dem Kommunikationsstil, den wir miteinander pflegen. Aber Pflicht ist Pflicht – es hilft nichts, da müssen wir durch.

 

Sechzehn Jahre Mitgliedschaft im Verfassungsgericht, zuvor eine ebenfalls langjährige politische Tätigkeit als Bürgerschaftsabgeordneter, eine Vielzahl von Ehrenämtern Ihrer Partei, das ist schon eine beeindruckende Bilanz des Engagements für das Gemeinwesen. Nahezu alles, was ich eben zu Herrn Dr. Gündisch gesagt habe, könnte ich jetzt noch einmal wiederholen; Herr Dr. Grambow hat es in gleicher Weise verdient. Auch er hat nämlich mit seinen politischen Erfahrungen und mit seiner hohen juristischen Professionalität eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen des Gerichts nachhaltig beeinflusst oder selbst erarbeitet. Nahezu bis zum letzten Tag seiner Amtszeit hatte er als Berichterstatter ein größeres Verfahren zu bearbeiten – es gab also bis zum Schluss keine Schonung. Nicht nur in der praktischen Arbeit eines Verfassungsrichters war er Vorbild. Er verfügt auch – gewissermaßen exemplarisch für alle – über die wesentlichen Eigenschaften, die einen guten Verfassungsrichter ausmachen: Hoher juristischer und politischer Sachverstand, Fairness, die Bereitschaft zuzuhören und sehr sachlich zu diskutieren, Respekt vor der Leistung anderer und – ganz wichtig- die nötige Ruhe und Unaufgeregtheit gegenüber politischer Alltagshektik. Heiße Luft bleibt für ihn eben heiße Luft und das Schöne ist: Herr Dr. Grambow sagt das auch offen, klar und unmissverständlich – wenn auch stets in netter, meist hurmorvoller Form. Das Verfassungsgericht wird auch ihn künftig sicherlich vermissen. Aber die Arbeitsweise des Gerichts, die Herr Dr. Grambow in den letzten Jahren ganz entscheidend mitgeprägt hat, wird bleiben:

 

Unsere Arbeit ist, auch wenn das in der Politik zuweilen anders gesehen wird, eben keine Fortsetzung politischer Rituale mit juristischen Mitteln, sondern das Bemühen, verfassungsrechtlich zu klären, ob etwas politisch  Gewolltes auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben erlaubt ist. Das ist beileibe nicht unpolitisch (welcher Politiker hört schon gern, dass er etwas rechtlich nicht darf) aber es ist eben Rechtsprechung und nicht Politik. Wir beurteilen politisches Handeln nicht nach den Kriterien von Richtig oder Falsch von Gut oder Schlecht – das muss die Politik schon selbst entscheiden. Das ist ihre Verantwortung in unserem Staat und die Wähler haben das Urteil darüber zu fällen, ob sie dieser Verantwortung gerecht geworden ist. Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist es, die Grenzen aufzuzeigen, welche der Politik durch die Verfassung gesteckt sind. Die sind relativ weit gezogen und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass man eine ganze Menge an politischem Unfug treiben kann, bevor es wirklich verfassungsrechtlich wirklich eng wird.

 

Zurück zu Herrn Dr. Grambow: Lieber Hans-Jürgen, ich erinnere mich an einen langen Abend in einer Volksdorfer Kneipe vor vielen, vielen Jahren. Damals beschlossen wir beide – ein wenig sicherlich unter Einfluss alkoholischer Getränke – die Welt zum Besseren verändern. Realistischerweise müssen wir heute, nach rund vierzig Jahren wohl zugeben, dass die Welt eher uns verändert und sich im Übrigen nicht sonderlich bewegt hat. Wir haben zwar an ihr gezerrt, gezogen und geschoben – aber wirklich signifikant bewegt hat sie sich nicht. Trotzdem: Von Marcel Reich-Ranicki stammt der – in anderem Zusammenhang gesprochene – Satz, man müsse es wenigstens versuchen. Dafür, dass Du es gewiss nach Kräften versucht hast, will ich Dir ganz persönlich von Herzen danken und Dich bitten, mit Deinen Anstrengungen nicht nachzulassen. Vielleicht schaffen wir es ja zusammen mit Herrn Dr. Gündisch als „Fossiltrio“. Im Hamburgischen Verfassungsgericht hast Du jedenfalls in den sechzehn Jahren Deiner Amtszeit eine ganze Menge bewegt und dafür dankt Dir das gesamte Gericht mit allen seinen Richtern und Mitarbeitern.“