6. Februar 2001             Es gilt das gesprochene Wort!

Senatsempfang für ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte

"Eine Justiz ohne ehrenamtliche Richter kann ich mir nicht vorstellen"...

... sagte der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts Wilhelm Rapp in seiner Rede bei dem Senatsempfang für ehrenamtliche Richterinnen und Richter im Rathaus am 6.2.2001. Der Präsident führte weiter aus:

"Es ist eine gute Tradition in Hamburg, daß der Senat jeweils im Abstand von etwa zwei Jahren zu einem Empfang, insbesondere für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ins Rathaus einlädt und auf diese Weise seine Wertschätzung gerade des ehrenamtlichen Elements in der Rechtsprechung zum Ausdruck bringt. ...... Neu und sozusagen eine Premiere ist heute allerdings, daß Sie selbst, sehr geehrter Herr Bürgermeister, uns empfangen und damit dieser Veranstaltung eine ganz besondere und - wie ich Sie kenne - nicht nur protokollarische Bedeutung geben. Ihr Erscheinen hier zeigt Ihre besondere Wertschätzung und Anerkennung der Justiz. Da wir einerseits Ihre terminliche Belastung erahnen können und andererseits wissen, daß die Ergebnisse unserer Arbeit gelegentlich im politischen Raum nicht nur Freude auslösen (das haben unsere Entscheidungen übrigens mit politischen Entscheidungen gemein), freuen wir uns um so mehr, daß Sie sich für diesen Empfang Zeit genommen haben.....

Die Sicherung des Rechtsfriedens ist eine der klassischen und wichtigsten Aufgaben des Staates. Ein Staat, der diese Aufgabe nicht oder schlecht erfüllt, stellt seine Existenz früher oder später selbst in Frage. Die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung, der dritten staatlichen Gewalt, ist daher ebenso bedeutsam für das Gemeinwesen wie die Funktionsfähigkeit der beiden anderen staatlichen Gewalten, Parlament und Regierung. Im demokratischen Staat setzt "Funktionsfähigkeit" aber mehr voraus als nur möglichst viel Geld (davon hat man ja bekanntlich nie genug) und Fachpersonal. Funktionsfähigkeit der staatlichen Gewalten bedeutet heute auch einen ständigen Rückkoppelungs- und Diskussionsprozess zwischen diesen Staatsgewalten und denen, in deren Namen sie ausgeübt werden, nämlich der Bevölkerung.

Deswegen ist es gut und unerläßlich, daß in weiten Bereichen der Rechtsprechung (z.B. im Strafrecht, im Verwaltungsrecht, im Arbeitsrecht und im Handelsrecht) ehrenamtliche tätige Richter, Schöffen, Handelsrichter mitwirken. Und mitwirken, das bedeutet bei uns in der Justiz nicht nur zuschauen, sondern mitdiskutieren, mitentscheiden und mitverantworten. Gerichtliche Entscheidungen werden in ganz wesentlichen Rechtsbereichen, so zum Beispiel im Strafverfahren, zu einem hohen Prozentsatz eben nicht nur von Juristen (denen übrigens in aller Regel zu Unrecht nachgesagt wird, sie könnten nur "Bedenken tragen" und "Haare spalten"), sondern auch von Bürgerinnen und Bürgern getroffen, die bereit waren, dieses schwierige und zeitaufwendige Ehrenamt auszuüben. Deswegen ist es auch falsch zu behaupten, im Strafrecht werde am Rechtsbewußtsein der Bevölkerung vorbeijudiziert. Im Gegenteil: In kaum einem anderen Rechtsgebiet sind die Bürger so direkt an den gerichtlichen Entscheidungen beteiligt und tragen sie mit. Nur ist es offenbar zweierlei über drakonische Strafen und unnachgiebige Härte zu schwadronieren oder ganz real in Bindung an die Vorgaben des Gesetzes es selbst zu verantworten, einen Menschen z.B. für längere Zeit in Haft zu schicken. Jeder, der schon einmal in einer solchen Situation gestanden hat weiß, daß diese Verantwortung manchmal nur schwer zu tragen ist. Es ist viel leichter über die persönliche Schuld anderer zu reden, als sie im Einzelfall zu wägen, um eine angemessene Strafe zu finden. Ich meine, daß die Bereitschaft, freiwillig viel Zeit zu opfern, um derartige Verantwortung zu übernehmen, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und unser aller Dank verdient.

Ich wehre mich immer dagegen, bei unseren ehrenamtlichen Richtern von Laienrichtern zu sprechen; das klingt so, als wäre da eine Schar von ein wenig tumben Leuten tätig, die letztlich vom Recht keine besondere Ahnung haben. So ist das nicht. Ehrenamtliche Han delsrichter z.B. sind keine Theoretiker sondern absolute Profis der Wirtschaft, Leute die auf eigenes Risiko erfolgreich am Wirtschaftsleben teilnehmen. Diese Erfahrungen kann man durch die besten Rechtskenntnisse nicht ersetzen. Ein anderes Beispiel: Ich selbst jedenfalls habe in meiner früheren Tätigkeit als Verwaltungsrichter viel von den ehrenamtlichen Richtern gelernt, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Vor allem eines: Die beste juristische Dogmatik, die genaueste Gesetzesexegese, die umfassendste Auswertung juristischer Literatur und die ausgefeiltesten gedanklichen Konstruktionen nützen gar nichts, wenn das Ergebnis nicht mit dem ganz normalen gesunden Menschenverstand in Einklang zu bringen ist (in aller Regel ist es das übrigens). Als Folge der schlichten Frage "Können Sie mir das mal so erklären, daß ich das verstehe" habe ich manches Mal juristische Gedankengebäude geradezu krachend zusammenbrechen sehen. Daher halte ich das ehrenamtliche Element nicht nur für unverzichtbar, sondern würde seine Ausweitung begrüßen.

Und noch aus einem anderen Grunde halte ich es für wichtig, daß ehrenamtliche Richter in der Justiz mitarbeiten: Jede zu homogene Organisation neigt dazu, eine sehr spezifisch an ihrem Tätigkeitsfeld ausgerichtete Sicht ihrer Leistungen zu entwickeln. Diese Wahrnehmung muß allerdings nicht stets mit der Realität übereinstimmen - manchmal entfernt sie sich auch von ihr. Dies gilt keineswegs nur, aber eben auch, für die rechtsprechende Gewalt. Mir fallen eine Menge von Beispielen aus dem Bereich der anderen Staatsgewalten ein, aber darum geht es heute nicht. Wichtig ist, wahrzunehmen, daß die Sicht Dritter ab und an von der Sicht innerhalb der Organisation abweicht. Und wichtig ist, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Die Justiz hat etwa seit gut zehn Jahren durchaus bemerkt, daß sich die Außensicht auf sie verändert. Unabhängig davon, ob diese Außensicht nun immer objektiv richtig, berechtigt oder unberechtigt war, hat die Justiz - wie ich finde - relativ schnell reagiert, das Selbstmitleid abgelegt und begonnen, sich "am eigenen Schopf" aus dem Sumpf zu ziehen. Unser kürzlich sehr erfolgreich beendetes Projekt "Justiz 2000" ist ein Beispiel für diese Reformbemühungen, die natürlich weitergehen.

Es war zwar nicht der einzige Anstoß, aber ich glaube, der ständige - z.T. auch recht kritische - Dialog mit den ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern in der Justiz (der aber bei uns nicht öffentlich wird, weil anders als anderswo unser Beratungsgeheimnis in aller Regel hält) war für unsere Bereitschaft zu Reformen und für unseren Willen, dabei erfolgreich zu sein, sehr wichtig.

Meine Damen und Herren, ich kann mir eine Justiz ohne ehrenamtliche Richter nicht vorstellen. Sie sorgen nicht nur dafür, daß wir Richter mit ihrer Hilfe wirklich "im Namen des Volkes" Recht sprechen können. Sie helfen mit, uns Juristen mit beiden Beinen auf der Erde zu halten - das braucht man manchmal. Und sie sind die Multiplikatoren, welche die Rechtsprechung braucht, um Akzeptanz zu finden. Das wiederum ist ein entscheidender Beitrag zur Sicherung der Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Denn Akzeptanz schafft Vertrauen. Unabhängigkeit in der Entscheidung ohne Vertrauen in der Bevölkerung ist für mich kaum vorstellbar. Nur mit diesem Vertrauen können wir unsere Aufgabe, den Rechtsfrieden zu sichern, erfüllen. Bitte helfen Sie uns weiter dabei, eine faire, eine gerechte, eine gesetzestreue, eine selbstbewußte, eine unabhängige und - zuweilen Herr Bürgermeister, Frau Senatorin - auch unbequeme Justiz zu sein."

 
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Sabine Annette Westphalen
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