Immer wieder Zweifel an der Überparteilichkeit
Vor allem bei der Ablehnung von Volksbegehrensanträgen handelten sich die Verfassungsrichter Kritik der Oppositionsparteien ein
VON HANS-PETER KASTENHUBER

NÜRNBERG – Oft genug sind die bayerischen Verfassungsrichter auch in politischen Streitfällen die letzte Instanz im Freistaat. Doch alles andere als eine politische Instanz soll der Gerischtshof dabei sein. Egal, ob die Richter die Gültigkeit einer Wahl oder die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes überprüfen, von Bürgern erhobene Popularklagen gegen Behördenentscheidungen oder die Verfassungsmäßigkeit eines Volksbegehrensantrags beurteilen müssen, stets sollen sie das in überparteilicher Unabhängigkeit erledigen – nur dem Buchstaben und dem Geist der Verfassung, aber keiner politischen Partei verpflichtet.

Erhebliche Zweifel, dass das hohe Gericht diesem Anspruch gerecht wird, erhob in der Vergangenheit immer wieder die Opposition im Landtag. Zahlreiche gegen ihre Auffassung und gegen ihr Interesse erlassene Entscheidungen nahm sie zum Anlass, der Mehrheit des Gerichts offensichtliche Nähe zur Dauerregierungspartei CSU vorzuwerfen. Diese Kritik war stets mit dem Hinweis verbunden, das Wahlverfahren, das eine Richterberufung mit einfacher Landtagsmehrheit – also den Stimmen der Regierungsfraktion – ermöglicht, lasse freilich nichts anderes als ein der CSU gewogenes Gremium erwarten. Den Verdacht, die Urteile könnten mit der ganz persönlichen politischen Vorliebe der Richter mindestens genauso viel zu tun haben wie mit den Grundsätzen des Verfassungsrechts, nährt der Umstand, dass die wenigen Mitglieder des Gerichts, die auf Vorschlag einer Oppositionspartei zu ihrem Amt gekommen waren, häufig ein abweichendes Minderheitsvotum abgaben.

Immer wieder ging es bei den umstrittenen Entscheidungen um die Ablehnung von Volksbegehrensanträgen. Gleich zwei Mal scheiterten vor dem Verfassungsgericht beispielsweise Initiativen, die die Verhinderung des Baus der atomaren Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zum Ziel hatten. Sowohl der 1985 unternommene Versuch, per Pebiszit die Bodenwöhrer Senke zum Naturschutzgebiet umzuwidmen und sie so vor einer Bebauung zu schützen, als auch das zwei Jahre später gestartete Vorhaben, die bayerischen Bürger direkt über das umstrittene Projekt abstimmen zu lassen, wurde zurückgewiesen. Begründung: Der Bau der Atomanlage falle in die Zuständigkeit des Bundes.

Weil es angeblich in die Haushaltskompetenz des Landtags eingegriffen und die staatliche Aufsichtshoheit im Schulwesen tangiert hätte, lehnten die Verfassungsrichter 1994 das Volksbegehren „Bessere Schulen“ ab, das kleinere Klassen und mehr Mitbestimmungsrechte für Eltern und Schüler durchsetzen wollte. Die Initiative „Mehr Demokratie“, die auch hinter dem jetzt anlaufenden Volksbegehren steht, hat erst in jüngster Zeit mehrfach schlechte Erfahrungen mit den höchsten bayerischen Richtern gemacht. Vorstöße, mit denen sie die von der CSU verschärften Verfahrensvorschriften für Bürger- und Volksentscheide wieder liberalisieren wollte, wurden gestoppt. Das Gericht handelte sich dabei die Kritik ein, es beschränke sich längst nicht mehr auf den Schutz der Verfassung, sondern mische sich mehr und mehr in das Gesetzgebungsgeschäft der Politik ein.

Höchst umstritten auch die Entscheidung aus dem Jahr 1988, der Grünen-Landtagsfraktion de facto einen Sitz im Sicherheitsausschuss des Landtags zu verwehren. Die Verfassungsrichter verwarfen damals eine Klage der kleinen Oppositionspartei, die in dem Beschluss der CSU-Mehrheit, den Ausschuss zu verkleinern, um so die Grünen draußen zu halten, einen Verfassungsbruch gesehen hatten.

Erfolg der FDP

Doch auch für die CSU gab es unliebsame Überraschungen. So wurde 1990 das Volksbegehren „Das bessere Müllkonzept“ mit kleinen Einschränkungen zugelassen, obwohl zuvor das Innenministerium einen Eingriff in Bundesrecht moniert hatte. Und zwei Jahre später bekam die FDP mit der Klage Recht, das große Fraktionen bevorzugende d'Hondtsche Verfahren bei der Sitzzuteilung nach Landtagswahlen durch das gerechtere Verfahren nach Hare-Niemeyer zu ersetzen.

Von höchster Stelle wurde im August 1998 bestätigt, dass das bayerische Verfahren, die Verfassungsrichter mit einfacher Mehrheit im Landtag wählen zu lassen, nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht vertrat damals aber auch die Ansicht, dass eine Wahl mit Zweidrittelmehrheit die „demokratische Legitimation“ der bayerischen Kollegen stärken würde.

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